Tschetschenen protestieren in Wien
Als Reaktion auf den jüngsten Mordfall versammelten sich Dutzende vor der russischen Botschaft. Viele hätten Angst, dass ihre Familie verfolgt werde, wenn sie hier demonstrieren, sagt der Organisator der Kundgebung.
Mehr als die bis zu 50 angekündigten Teilnehmer waren es dann doch, vielleicht doppelt so viele. Drei Tage nach dem Mord an Mamichan U. alias Martin B. in Gerasdorf reagiert die tschetschenische Community mit einer Kundgebung nahe der russischen Botschaft in Wien-Landstraße.
„Russische Mörder raus aus Europa“, steht da auf den Schildern, „Demokratie statt Putin“und „Tschetschenen sind keine Tauschware“. Manche, die sie halten, sind keine zehn Jahre alt, auch viele Frauen sind da. Sie tragen lange schwarze Röcke, die Männer Sonnenbrille. Einzelne verstecken sich zusätzlich hinter
Kappen und Kapuzen. Viele aus der tschetschenischen Community hätten zu viel Angst, um herzukommen, vermutete schon im Vorfeld der Organisator Khuseyn Iskhanov, tschetschenischer Exilpolitiker und Vorsitzender des Kulturvereins Ichkeria. „Sie fürchten, dass ihr Foto in Tschetschenien auftaucht und dann ihre Familie dort bedroht wird“, sagte er gegenüber dem STANDARD.
Er kritisiert außerdem, dass Tschetschenen in Wien nun wegen des Mordes und der damit verbundenen medialen Aufmerksamkeit in ein schlechtes Licht gerückt werden. Medien erinnern etwa wieder an jene Tschetschenen, die im Vorjahr ein Bombenattentat auf den Stephansplatz geplant hatten. Aber von den etwa 35.000 Tschetschenen in Österreich, sagt Iskhanov, seien viele um Integration bemüht. „80 Prozent unserer Kinder waren nie in der Heimat“, sagt er, „ihre Muttersprache ist Deutsch.“
Die Redner und Rednerinnen, unter ihnen junge Vereinsmitglieder, wiederholen allesamt: Der Mord sei politisch motiviert gewesen. „Aber wir haben keine Angst, dass uns das passiert“, sagt eine junge Frau, „keine Angst, unsere Meinung zu äußern.“Der getötete B. war ein bekannter Kritiker des brutalen tschetschenischen Regionalpräsidenten Ramsan Kadyrow. Er war außerdem mehrfach vorbestraft und hatte angegeben, Informant mehrerer Staatsdienste, darunter des österreichischen, zu sein. Martin B.s Bruder soll laut Iskhanov von Kadyrow getötet worden sein, seine Mutter habe man gezwungen, den Leichnam in einem Berg Toter zu identifizieren.
Wer der wahre Täter im Fall B. ist, ist für die Anwesenden bei der Kundgebung klar: der russische Präsident Wladimir Putin, Kadyrow sei nur sein Handlanger. Seit den Neunzigern, sagt Iskhanov, seien in Europa 19 Tschetschenen ermordet worden, nun bereits zwei von ihnen in Österreich. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) ließ am Dienstag per Aussendung wissen, dass er Hintermänner in der Sache vermute – die
Ermittlungen, insbesondere zum Motiv, würden laufen.
In einer Resolution, die die Redner verlesen, fordern sie die Aufklärung der Tat, einen Abschiebestopp für geflüchtete Tschetschenen und Ermittlungen dazu, inwiefern die russische Botschaft in den Fall verwickelt sei. „Nieder mit dem Mörder Putin“, schreit ein Redner so laut, dass es selbst der Botschafter hören dürfte.
Dort wartet man aktuell auf eine Bestätigung, ob es sich bei den zwei gefassten Tatverdächtigen um russische Staatsbürger handelt. Sollten die beiden Flüchtlinge sein, unterlägen sie der Zuständigkeit Österreichs und nicht Russlands.