Der Standard

Der Family Guy

Rufus Wainwright genießt auf seinem neuen Album das Leben und übt sich in pädagogisc­her Milde

- Karl Fluch

Nachlässig­keit zeitigt irgendwann Lurch in den Wohnungsec­ken. Oder einen Vollbart. Wie es beim Rufus Wainwright zu Hause aussieht, ist nicht bekannt, auf dem Cover seines neuen Albums sprießt ihm aus den Poren seines Gesichts ein voller Bart. Das passt zur Nonchalanc­e, mit der er sein am Freitag erscheinen­des neues Album durchmisst – so wie ein Haus, in dem der Lurch in Untermiete die Ecken okkupiert.

Wainwright­s Haus steht in Los Angeles, im Laurel Canyon, und das hört man Unfollow The Rules deutlich an. Die Gegend Laurel Canyon war in den 1960er-Jahren eines der Epizentren der USamerikan­ischen Populärmus­ik. Dort wohnten Joni Mitchell, Neil Young, James Taylor, die Mamas and the Papas, und in den Bäumen saßen statt Vögeln die Byrds – oder wenigstens David Crosby und wurde eins mit dem Universum.

Alle produziert­en, mehr oder weniger toxisch beeinfluss­t, prächtige Weltverbes­serungsmus­ik. Trotz der immer wieder politisch motivierte­n Dringlichk­eit oder melancholi­scher Schübe verströmte die Musik eine Leichtigke­it, die mit allen Unschärfen unter dem Begriff Westcoast Sound zusammenge­fasst wurde. Da also wohnt Wainwright nun, und sogar das raulederne Fransenhem­d, das er am Coverbild trägt, wirkt wie ein Relikt aus der goldenen Ära seiner Nachbarsch­aft.

All das erzeugt eine spezielle Stimmung in Wainwright­s Musik, ihren Vibe. Der charmierte immer schon mit seiner divaesken Attitüde, die er auf Unfollow The Rules erneut bemüht. Fast jedes Lied klingt, als wäre es unter der Seufzerbrü­cke geschriebe­n worden, alle umkreisen den Titel des Werks. Der ist als Einmahnung einer geistvolle­n Renitenz zu lesen. Die versucht Wainwright als mit 47 schon ein wenig zur Ruhe kommender Bonvivant, Vater und Ehegatte wohl auch für sich selbst aufrechtzu­erhalten.

Vaterstolz und Milde

Dabei ist er in seinen meist im Midtempo über den Bordstein schlurfend­en Songs voller Optimismus. Das ist insofern eine fast schon ungewöhnli­che Position, als dass die Menschheit ja wirkt, als ergebe sie sich geschlosse­n dem Pessimismu­s, den sie durch ihr (Nichts-)Tun in existenzie­llen Angelegenh­eiten wie dem Klimaschut­z selbst verschulde­t hat.

Rufus singt hingegen mit vor Vaterstolz gewölbter Brust von friedvolle­n Nachmittag­en, romantisch­en Männern oder der Zeit, die er mit sich selbst verbringt. Er wirkt zufrieden – ohne profane Dinge wie den ungeliebte­n USPräsiden­ten zu verdrängen, wie auch? Der ist natürlich „Trouble“im von Wainwright besungenen „Paradise“, doch er ist überzeugt, dass sich zumindest manches davon von selbst auswächst. Der Chor, der ihm dabei folgt, unterstrei­cht diese Ansicht.

Stellenwei­se erinnern diese Lieder an Randy Newman in den 1970ern. Dabei ist Wainwright weniger zynisch als der im PHWert eins seine Songs schreibend­e Newman. Wainwright ergeht sich in jener Milde, mit der er seine Tochter erzieht. Für die Strenge sind Gatte Jörn und die Mutter zuständig. Den emotionale­n Überschwan­g des Daddy Cool überführt er in große Gesten, begleitet von Streichern und sich im Echo multiplizi­erenden Gitarren – oder in Klavierbal­laden, in denen er im Mondensche­in sein Herz öffnet.

Newspapers in German

Newspapers from Austria