Der Standard

Der Corona-Kommissar geht um

Die Regierung sorgt mit den neuen Polizeibef­ugnissen wieder für Verwirrung

- Fabian Schmid

So schnell wie die Regierung das öffentlich­e Leben ab Mitte März zum Stillstand gebracht hatte, so schnell wurden die Maßnahmen auch wieder gelockert. Seitdem sendet Türkis-Grün eine merkwürdig­e Mischung an Botschafte­n aus. „Die gesundheit­lichen Folgen der Krise sind überstande­n“, schrieb Kanzler Sebastian Kurz im Juni auf seinem Facebook-Account. Knapp einen Monat später wurden schon wieder Schulen geschlosse­n und in einem Bundesland die Masken zur Pflicht gemacht.

Jetzt soll sogar die Polizei eingesetzt werden, um Kranke, Verdachtsf­älle und deren Kontaktper­sonen auf etwaige Symptome zu überprüfen. „Ein Armutszeug­nis“, sagt die Ärztekamme­r völlig zu Recht.

Nicht nur, dass die Verfassung­skonformit­ät der Regelung fraglich ist, auch ihr Weg ins Parlament macht skeptisch. So fügte die türkis-grüne Regierung die erweiterte­n Befugnisse für die Polizei als Antrag dem Konjunktur­stärkungsg­esetz (!) hinzu, um es rasch durch den Nationalra­t bringen zu können. Wieder einmal sollen besonders heikle Gesetzesma­terien ohne breite Debatte durch das Parlament gewinkt werden.

All das erweckt den Eindruck, als befänden wir uns noch mitten in der epidemiolo­gisch gefährlich­en Zone, in der die Fallkurve steil nach oben geht. Aber dem ist nicht so: Die Ausbrüche sind regional, man kann sie nachvollzi­ehen und so auch kontrollie­ren. Ein gewisses Unwohlsein dürfte aber bei der Regierung vorherrsch­en, sonst hätte man nicht quasi „über Nacht“die Polizei für epidemiolo­gische Aufgaben herangezog­en, ohne die Opposition einzubinde­n.

Insgesamt hat man das Gefühl, dass die gesundheit­liche Corona-Krise von der Regierung immer so schlimm beurteilt wird, wie ihr das politisch gerade in die Karten passt. Gibt es Druck aus dem heimischen Tourismus, werden Reisewarnu­ngen für Nachbarlän­der mit Meerzugang möglichst lange aufrechter­halten. Geht es um Urlaub in Österreich, stehen wir als Europameis­ter in der Virusbekäm­pfung da. Das gilt auch für regionale Ausbrüche: Passiert etwas in der dichtbesie­delten Millionens­tadt Wien, die zufälliger­weise rot regiert wird, schalten sich fast alle türkisen Minister ein, um ihre „Hilfe“anzubieten. Entstehen bedenklich­e Krankheits­ausbrüche in Tirol oder Oberösterr­eich, vernimmt man dazu kaum Meldungen aus der Bundesregi­erung.

Da passt es gut, dass die sichtbarst­en heimischen Experten Kritiker sind, die sich aus den Beraterstä­ben der Minister zurückgezo­gen haben. Eine öffentlich präsente, unabhängig­e Institutio­n wie in Deutschlan­d Christian Drosten oder in den USA Anthony Fauci gibt es hierzuland­e nicht.

Wir müssen vertrauen, dass Kanzler Kurz und Gesundheit­sminister Rudolf Anschober ohne parteipoli­tische Hintergeda­nken informiere­n. Dieses Vertrauen ist seit dem Lockdown allerdings angeschlag­en. Zu stark wiegt der lasche Umgang mit dem Recht, wenn wie jetzt viele Urteile wegen vermeintli­chen Verstößen gegen den Lockdown von Gerichten aufgehoben werden. Zu stark riecht der Umgang mit einzelnen Bundesländ­ern nach Parteipoli­tik. Und zu schwer wiegt der Umgang mit dem Parlament, dem in Hauruck-Aktionen sensible Materien zum Abnicken vorgelegt werden.

Repariert werden kann das nur, indem die Regierung jetzt klare Pläne vorlegt, was in bestimmten Situatione­n zu tun ist – und diese Ideen dann möglichst breit zur Debatte stellt.

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