KOPF DES TAGES
Büchner-Preis an die große Poetin Elke Erb
Wenn Elke Erb durch die „unerfreuliche Industrie-Landschaft“der DDR fuhr, hielt sie sich nicht an die Schlote, an die grauen Fassaden der Städte. Ihr Blick fiel unwillkürlich auf die „kleinen pelzigen Huflattichblüten in den Gräben“, auf die Hagebutten, aus denen ihre Mutter in Zeiten von Mangel und Not die vitaminreiche Masse für selbstgemachtes Konfekt gewann.
Nach Ostdeutschland (Halle an der Saale) übersiedelte Erb, kaum elfjährig, 1949. Ihr Vater, ein Literaturwissenschafter, meinte, sich für den moralisch höherwertigen deutschen
Staat entschieden zu haben. Als eine von drei Töchtern betätigte Erb sich als Landarbeiterin, studierte u. a. Slawistik und verdingte sich als Lektorin. Die eng reglementierte Arbeit empfand die Hochsensible durchaus als Fron; Reisen nach Polen und vor allem Georgien eröffneten ihr ein unermessliches Reich der Freiheit, eben dasjenige der Poesie – insofern Erb auch früh zu übersetzen begann und u. a. Texte von Marina Zwetajewa in ein ungemein farbiges Deutsch übertrug.
Das Leben dieser neben Sarah Kirsch wichtigsten ostdeutschen Lyrikerin entbehrte durchaus nicht der kritischen Momente. Ihre Nähe zur Bürgerbewegung bescherte ihr die besondere Aufmerksamkeit der Staatssicherheit. Literaturmandarine wie Hermann Kant betrieben – erfolglos – ihren Ausschluss aus dem DDRSchriftstellerverband.
Alles Marktschreierische hat und hätte sich die Sprachkünstlerin ohnedies verbeten. Erb, bis Ende der 1970er mit dem Dichterkollegen Adolf Endler verheiratet (ein Sohn), übersiedelte zeitweise auch in die Niederlausitz. Alle äußeren Eindrücke dort und anderswo schienen geeignet, ihre Kindheitslandschaft, die „EifelSelbst-Welt“, schlagartig neu zu erhellen.
Und so ist Elke Erb, die Präzisionspoetin, bis heute für nachrückende Generationen ein Vorbild geblieben. Ihr erster Band Gutachten, Poesie und Prosa erschien 1975. Erbs faszinierendes Zettelwerk strotzt vor originellen Epiphanien: Anverwandlungen einer vegetabilen Welt.
Ihr Motto könnte folgende Notiz aus dem Band Crux (Urs Engeler Editor, 2003) bilden: „15.9.99 (Eisenbahn) / Erkennen will ich, nicht genarrt sein. Blind!“Das über diverse Verlage verstreute Werk Erbs sollte nun, nach der Zuerkennung des Georg-BüchnerPreises 2020, endlich leichter greifbar werden. Für die Jury ist Erb eine „unverdrossene Aufklärerin“. Poesie? Eine „politische und höchst lebendige Erkenntnisform“.