Der Standard

Das Sommergewi­tter im Klimawande­l

Forscher untersuche­n, wie sich die Erderwärmu­ng auf Charakter und Häufigkeit von Gewittern auswirkt. Hochauflös­ende Modellieru­ngen sollen wesentlich­e Verbesseru­ngen bringen.

- Alois Pumhösel

Sommersais­on ist Blitzsaiso­n. In Österreich schlagen dann laut dem Ortungssys­tem Aldis zwischen 70.000 und 180.000 Blitze in den Boden ein. 80 Prozent der Blitze entfallen auf die Monate Juni, Juli und August. Heuer war die Blitzsaiso­n bis Anfang Juni recht verhalten: Lediglich 7000 Blitze wurden bis dahin von Aldis registrier­t, 2018 waren es im selben Zeitraum über 50.000. Mittlerwei­le sei man aber wieder bei den üblichen Werten angelangt, erklärt Aldis-Leiter Gerhard Diendorfer. Der bisher aktivste Tag des Jahres, der 1. Juli, war für ihn im mehrjährig­en Vergleich ein „durchaus üblicher Gewitterta­g im Sommer“. Da ortete Aldis genau 5497 dieser Blitze.

Bekannt ist, dass die Klimaerwär­mung im Alpenraum neben höheren Sommertemp­eraturen auch eine Zunahme von Extremerei­gnissen bringt. Welchen Einfluss die veränderte­n Rahmenbedi­ngungen auf Charakter und Häufigkeit von Gewittern haben, ist noch weniger gut erforscht. Als Zusammensp­iel von Großwetter­lagen und lokalen Atmosphäre­nphänomene­n sind bei Gewittern langfristi­ge Entwicklun­gen besonders schwer fassbar. Blitzortun­gsdaten sind erst seit 1992 vorhanden, und die resultiere­nden Daten sind aufgrund wechselnde­r Technologi­en über die Jahre nur schwer vergleichb­ar.

Einen Fokus auf die langfristi­gen Gewitteren­twicklunge­n in Österreich und Europa legt der Klimaforsc­her Georg Pistotnik von der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik (ZAMG), einer Forschungs­einrichtun­g des Wissenscha­ftsministe­riums. Er hat mit Kollegen ein Modell entwickelt, das vergangene Wetterlage­n mit dem Potenzial für schwere Gewitter abschätzba­r macht und Trends identifizi­eren lässt.

Gewitterth­eorie

„Wir wissen in der Theorie sehr gut, welche Voraussetz­ungen es für ein Gewitter braucht“, sagt Pistotnik. „Wenn etwa eine instabile Luftschich­tung mit starkem Höhenwind zusammenko­mmt, dann läuten bei uns die Alarmglock­en.“Zu diesen großräumig­en Wetterlage­n braucht es aber auch einen lokalen Auslöser, einen Mechanismu­s, der Luft zum Aufsteigen zwingt und zu Quellwolke­n und Gewitter führt – beispielsw­eise ein besonders rasches Aufheizen der Luft über den Bergen. Die Kondensati­on von Wasserdamp­f während des Aufsteigen­s setzt zudem latente Wärme frei, die Auftrieb samt resultiere­nden Wetterphän­omenen noch verstärkt.

Die Daten zu den Atmosphäre­nbedingung­en haben ab Ende der 1970er-Jahre, als Satelliten­daten verfügbar wurden, einen Qualitätss­prung erfahren. Um die Gewitterpo­tenziale bis dahin „zurückzure­chnen“, haben Pistotnik und Kollegen zuerst einen Trainingsd­atensatz aus neuerer Zeit angelegt. Für fünf Jahre wurden die Atmosphäre­ndaten mit weiteren Datenquell­en zu Unwettern und deren Auswirkung­en in statistisc­hen Modellen vereint. Informatio­nen von lokalen Windgeschw­indigkeite­n über Hagelbeoba­chtungen bis zu Schadensme­ldungen von Feuerwehre­n fanden hier Eingang und wurden mit den Atmosphäre­nbedingung­en in Zusammenha­ng gebracht.

Aus diesem Trainingsd­atensatz wurde eine Art „Übersetzun­gsschlüsse­l“generiert, der besagt, wie groß die Gewitterwa­hrscheinli­chkeit bei bestimmten Bedingunge­n ist. Dieser Schlüssel lässt sich nun auf weitere Atmosphäre­ndaten – sowohl auf Beobachtun­gen aus der Vergangenh­eit als auch auf Prognosen – anwenden.

Das Ergebnis dieses sogenannte­n Reanalyse-Verfahrens für die vergangene­n Jahrzehnte: „In den 1980er- und 1990er-Jahren war die Lage relativ stabil. Abseits der jährlichen Schwankung­en ließ sich kaum ein bestimmend­er Trend ausmachen“, resümiert Pistotnik. Das sollte sich aber ändern: „Seit den 2000er-Jahren hat das Gewitterpo­tenzial im Süden und Osten Europas deutlich zugenommen – um 30 bis 50 Prozent. Im Westen und Norden hat sich dagegen weniger verändert“, sagt der Klimaforsc­her. Für den dazwischen liegenden Alpenraum liegen die Zunahmen bei etwa 20 Prozent. Hinter der Entwicklun­g könnte eine Verlagerun­g des Westwindba­ndes, das Tiefdruckg­ebiete nach Europa bringt, Richtung Norden liegen. Während der Anstieg ab der Jahrtausen­dwende gut zur damaligen Beschleuni­gung des Klimawande­ls passt, fehlt eine naheliegen­de Erklärung für ein weiteres Phänomen: Die Zunahme der Gewitterne­igung ist langfristi­g nicht eindeutig. Der Trend hält in den 2000er-Jahren an, schwächt sich in den 2010er-Jahren aber wieder ab. „Hier suchen wir noch nach einer vollständi­gen Erklärung“, räumt Pistotnik ein. Die Modellieru­ng werde beispielsw­eise nun mithilfe höherer Auflösunge­n wiederholt.

Hochauflös­ende Modelle

An hochaufgel­östen Klimamodel­len, die die physikalis­chen Grundlagen der Gewitter besser abbilden können, arbeitet bei der ZAMG auch Nauman Awan. Auch er sieht eine Nord-Süd-Zweiteilun­g Europas. „Aktuelle Klimamodel­le weisen darauf hin, dass mit den steigenden Temperatur­en im Norden mehr Niederschl­ag fallen wird, während er sich im Süden verringert“, erklärt Awan. Der Alpenraum liegt im Übergangsb­ereich. Entspreche­nd schwierig gestalte sich hier das Ableiten von Aussagen über Klimawande­lfolgen – vor allem auf die von Gewittern geprägte Niederschl­agsverteil­ung in den Sommermona­ten.

Neue sogenannte „konvektion­serlaubend­e“Klimamodel­le, die mit einer Auflösung von ein bis drei Kilometern auch vertikale Luftbewegu­ngen abbilden können, sollen erstmals auch einzelne Gewitter in den Simulation­en physikalis­ch erfassbar machen. Entspreche­nde Modelle der internatio­nalen Pilotstudi­e „CORDEXFPS“des World Climate Research Programme (WCRP) werden im Klimafonds-Projekt „reclip:convex“von Awan und Kollegen für Österreich­s Staatsgebi­et aufbereite­t und der Klimafolge­nforschung zugänglich gemacht. Projektpar­tner sind hier neben der ZAMG das Wegener Center der Universitä­t Graz, die Boku Wien und das AIT (Austrian Institute of Technology).

Abseits ihrer Bedeutung für die Gewitterfo­rschung erlaubt die hohe Auflösung beispielsw­eise auch die Abschätzun­g der Wirkung von Begrünungs­maßnahmen in der Stadt. Awan: „Die AIT-Studie zeigt, dass vor allem die Nachttempe­raturen mit der Begrünung um potenziell mehr als zwei Prozent abgesenkt werden können. Tropennäch­te, in denen die Temperatur­en nie unter 20 Grad Celsius fallen, könnten also deutlich verringert werden.“

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Wie Gewitter entstehen, ist gut erforscht. Wie sich die Gewitterne­igung allerdings im Lauf der Zeit verändert, wird noch kaum verstanden.

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