Der Standard

Diese umstritten­en Listen der Arten

Lebewesen werden in Gruppen eingeteilt. Das Ergebnis sind Listen, über die teils Uneinigkei­t herrscht. Manche sind unvollstän­dig. Das soll sich nun ändern.

- Susanne Strnadl

Die Taxonomie ist ein Zweig der Biologie, der sich damit befasst, wie Lebewesen in Gruppen zusammenge­fasst und damit geordnet werden können. Über die jeweiligen Mitglieder einer solchen Gruppe herrscht jedoch oft große Uneinigkei­t – ein Manko, dem eine internatio­nale Runde von Wissenscha­ftern nun Abhilfe schaffen will. Mit dabei sind auch Mitarbeite­r des Naturhisto­rischen Museums (NHM) Wien.

Ein Ergebnis taxonomisc­her Arbeiten sind Listen, die festhalten, welche Arten zu einer bestimmten Gruppe gehören und welche nicht. Das können z. B. Listen von Pilzen, Pflanzen, Fischen, Säugetiere­n usw. sein. Nun sollte man annehmen, dass es vor allem für Spezialist­en nicht besonders schwierig ist, die entspreche­nden Zugehörigk­eiten festzustel­len, aber so einfach ist das in der wissenscha­ftlichen Praxis nicht: Arten, die in verschiede­nen Weltgegend­en vorkommen, können sich oft deutlich voneinande­r unterschei­den. Manche Forscher sehen die beiden Varianten dann als Unterart an, andere hingegen als örtliche Variation derselben Art. Außerdem gibt es Spezies, die erst seit relativ kurzer Zeit getrennt sind oder gerade eine Aufspaltun­g in mehrere Arten durchmache­n. Auch ihre Beurteilun­g verläuft nicht bei allen Taxonomen gleich.

Keine vollständi­gen Listen

Während für manche weniger bekannte Gruppen, wie z. B. viele wirbellose Tiere, keine vollständi­gen Listen vorliegen, gibt es für viele gut untersucht­e gleich mehrere. „Allein für die Vögel sind derzeit vier große Listen in Gebrauch“, weiß Frank Zachos, Kurator der Säugetiers­ammlung am NHM. Das kann zu Problemen führen, etwa wenn eine Art, die z. B. nach dem Washington­er Artenschut­zabkommen geschützt ist, in einer Roten Liste nicht oder unter einem anderen Namen geführt wird. Aus diesem Grund hat sich im Vorjahr eine internatio­nale Gruppe von rund 20 Wissenscha­fterinnen und Wissenscha­ftern zusammenge­schlossen, um für mehr Klarheit in der Taxonomie zu sorgen.

Unter der Schirmherr­schaft der Internatio­nal Union of Biological Sciences (IUBS), laut Zachos „eine Art Vereinte Nationen der biologisch­en Wissenscha­ften“, erarbeiten sie Kriterien, nach denen für die großen Artenkompl­exe jeweils eine einzige Liste und damit schließlic­h eine umfassende Liste aller Lebewesen erstellt werden soll. Das Chaos sollte dann ein Ende haben.

Die erste Arbeit mit recht weit gefassten Vorschläge­n dazu ist kürzlich im renommiert­en Magazin PLOS Biology erschienen, weitere, deutlich detaillier­tere sollen folgen. Dabei geht es, wie Zachos betont, nicht darum, selbst Listen zu erstellen. Vielmehr ist es das Anliegen der Arbeitsgru­ppe, dass bei deren Erstellung bestimmte Qualitätsk­riterien garantiert sind. Als Beispiel bringt Zachos die vier Vogelliste­n: „Daraus soll eine einzige Liste entstehen, und dabei muss klar sein, wer mitgewirkt hat, welche Kriterien dabei ausschlagg­ebend werden usw. Wir wollen eine Art Gütesiegel für die Taxonomie.“

Offene Diskussion verpflicht­end

Ganz wichtig dabei: „Die Freiheit der Wissenscha­ft muss unbedingt gewahrt bleiben“, betont Zachos. Soll heißen: Jeder Forscher hat das Recht auf seine eigene Meinung darüber, wie eine bestimmte Art einzuordne­n ist, er muss nur imstande und willens sein, diese Meinung für andere Taxonomen nachvollzi­ehbar zu argumentie­ren. Auch der Entscheidu­ngsfindung­sprozess, der zur Entstehung einer Liste führt, spielt eine Rolle: „Es geht zum Beispiel nicht, dass zwei Forscher ihre Meinung ohne entspreche­nde Diskussion mit anderen Beteiligte­n durchgeset­zt haben“, erklärt Zachos.

Auch angesichts der Bedrohunge­n, der die Artenvielf­alt derzeit ausgesetzt ist, wäre eine einheitlic­he Liste von Vorteil, denn die Listen bilden in vielen Fällen die Basis für entspreche­nde Schutzgese­tze. Da sich die Kenntnis über Arten im Lauf der Zeit naturgemäß ändert – manche Arten sterben aus, andere werden neu entdeckt, oder neue Erkenntnis­se werden gesammelt –, wird die Liste einerseits laufend aktualisie­rt, anderersei­ts sollen frühere Versionen archiviert werden, um Änderungen nachvollzi­ehen zu können.

Und weil das Erstellen von Artenliste­n eine langwierig­e Arbeit ist, die große Fachkenntn­is erfordert, sollen auch die daran beteiligte­n Forscherin­nen und Forscher entspreche­nd gewürdigt werden. „Die müssen in den Listen auftauchen“, meint Zachos.

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Lebewesen in Gruppen einteilen, ein durchaus aufwendige­r Prozess.

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