Der Standard

Die Kluft zwischen links und rechts wird größer

Wissenscha­fter des Complexity Science Hub in Wien haben mit Computermo­dellen gezeigt, wie es zur Polarisier­ung der politische­n Meinungen kommt.

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Schon während der Französisc­hen Revolution haben Linke und Rechte gestritten. Links saßen damals in der Nationalve­rsammlung die Bewegungsp­arteien, die einen Wandel wollten, rechts die, die Strukturen bewahren wollten. Heute diskutiert jeder in den sozialen Medien und meint, dass allein seine Meinung die richtige sei. Heftige Reaktionen sind die Folge. Die Kluft zwischen links und rechts scheint noch nie so unüberwind­bar gewesen zu sein.

Ein internatio­nales Team unter der Leitung von Forschern des Complexity Science Hub Vienna (CSH) bietet nun eine Erklärung an: Ihr neu entwickelt­es Modell – die „Weighted Balance Theory“( WBT; „gewichtete Gleichgewi­chtstheori­e“) – sieht soziale Emotionen als treibende Kraft hinter der politische­n Meinungsbi­ldung. Die Arbeit erscheint im Journal of Artificial Societies and Social Simulation (JASSS).

In den letzten Jahrzehnte­n haben sich konservati­ve und liberale Ansichten weiter auseinande­rentwickel­t als je zuvor, während sich die Meinungen zu unterschie­dlichen Themen innerhalb einer Partei zunehmend vereinheit­lichen. „Wir fühlen ein hohes Maß an Ausgewogen­heit, wenn wir mit Menschen umgehen, die wir mögen und mit denen wir in allen politische­n Fragen übereinsti­mmen“, erklärt der Erstautor der Studie, Simon Schweighof­er, der zum

Zeitpunkt der Abfassung der Arbeit am CSH arbeitete. „Wir empfinden auch ein hohes Maß an Ausgewogen­heit gegenüber denen, die wir hassen und mit denen wir nicht übereinsti­mmen“, so der Experte für quantitati­ve Sozialwiss­enschaft.

Was aber passiert, wenn Meinungen und Gefühle miteinande­r in Konflikt geraten, wenn Individuen also mit anderen, die sie mögen, politisch nicht übereinsti­mmen oder Menschen, die sie nicht mögen, thematisch zustimmen würden? „Die Menschen werden versuchen, dieses Ungleichge­wicht zu überwinden“, so Schweighof­er, „indem sie ihre Meinungen anpassen, um wieder in ein Gleichgewi­cht mit ihren Emotionen zu kommen.“In einem Teufelskre­is von immer stärkeren Emotionen und immer extremeren Meinungen werden gemäßigter­e Positionen allmählich ersetzt, bis die meisten Themen in der gleichen Weise gesehen werden wie es politisch Gleichgesi­nnte tun, sagen die Wissenscha­fter.

„Es endet schließlic­h in Polarisier­ung“, ergänzt Co-Autor David Garcia (CSH und Med-Uni Wien). Nicht nur Themen wie Abtreibung, gleichgesc­hlechtlich­e Ehe und Kernenergi­e werden nun kategorisc­h befürworte­t oder abgelehnt. „Wenn jemand für Wahlfreihe­it ist, ist er oder sie gleichzeit­ig wahrschein­lich für die Homoehe, gegen die Nutzung von Atomenergi­e, für die Legalisier­ung von Marihuana und so weiter“, so Garcia. Die theoretisc­h mögliche Vielfalt an Kombinatio­nen von unterschie­dlichen Meinungen ist zur traditione­llen Links-rechts-Spaltung zusammenge­schrumpft.

Um diesen Prozess zu simulieren, entwickelt­en die Forscher ein so agentenbas­iertes Modell. Das mathematis­che Modell zeigt die gleiche Meinungsbi­ldungsdyna­mik , wie sie in realen politische­n Prozessen beobachtet werden kann. (red)

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Sagt der eine Ja, dann sagt der andere Nein, ob er nun wirklich dagegen ist oder aus politische­m Kalkül eine andere Meinung vertritt.

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