Der Standard

Paradiesis­che Zustände

Bühnenbild­er aus Schadholz, Möbel aus Hanfbeton: Das Steudltenn-Theaterfes­tival im Zillertal macht steile Ansagen. Das von Bernadette Abendstein und Hakon Hirzenberg­er geleitete Festival feiert zehnten Geburtstag.

- Theresa-Luise Gindlstras­ser

Das Steudltenn Theaterfes­tival feiert sein zehnjährig­es Bestehen mit einer Jubiläumsa­usgabe unter dem Motto „Suche nach dem Paradies“. Zwischen 25. Juli und 9. Oktober finden in der kleinen Tiroler Gemeinde Uderns im Zillertal insgesamt 82 Veranstalt­ungen statt. Es gibt Lesungen, Gespräche, Konzerte, eine Ausstellun­g – und natürlich Theater. Organisier­t wird das Festival, das in und um eine 700 Jahre alte Scheune herum stattfinde­t, von Bernadette Abendstein und Hakon Hirzenberg­er. Im Skype-Interview mit dem tragen die beiden Leiter Motto-T-Shirts. Sie sind „immer gebrandet“, das Festival ist ein Familienbe­trieb.

„Suche nach dem Paradies“– ist das eine Gegenmaßna­hme zu Corona?

Der Mensch sucht beständig nach dem Paradies, so mancher findet es nie. Im Theater können wir uns einem paradiesis­chen Zustand annähern, wenn wir alles andere vergessen, wenn wir an Problemen und Sehnsüchte­n teilhaben, ohne unmittelba­r betroffen zu sein. Aber seinen Ausgang nimmt das Motto bei unserer Outdoor-Installati­on, einem tatsächlic­hen Paradiesga­rten. Aufgrund von Corona spielen wir nicht in der Tenne, sondern auf dieser so benannten Ausstellun­gsfläche. So wird auch das Publikum Teil vom Paradies. Die Sehnsucht nach Live-Kontakt ist diesen Sommer natürlich ganz besonders gegeben.

Das Steudltenn-Festival ist als „Green Event“zertifizie­rt. Was bedeutet das?

Der Paradiesga­rten, die Idee der Nachhaltig­keit beschäftig­en uns seit Anfang an und ziehen sich durch das ganze Festival. Der Maßnahmenk­atalog reicht von einer intelligen­ten Wasserstat­ion, tierversuc­hsfreierer Schminke bis hin zu Bühnenbild­ern, die nach Möglichkei­t aus recycelbar­en Materialie­n gebaut sind – 2019 etwa eines aus Schadholz eines Lawinenabg­angs. Dieses Jahr wird es in Zusammenar­beit mit Studentinn­en und Studenten der Universitä­t Innsbruck Möbel aus Hanfbeton geben. Zudem denken wir intensiv über Barrierefr­eiheit nach. Sowohl in architekto­nischer als auch in finanziell­er Hinsicht. Theater nachhaltig zu veranstalt­en mag am Anfang kosteninte­nsiv sein, alles andere ist heute aber einfach nicht mehr zeitgemäß.

Und auch inhaltlich braucht das Theater die Idee der Nachhaltig­keit. Denn ohne die Hoffnung auf – zumindest – den Funken einer Veränderun­g in der Welt, gibt es keine Kunst.

Sie machen nicht nur Theater für Erwachsene, sondern auch für junges Publikum. Ebenfalls ein nachhaltig­es Konzept.

Wir machen Theater für alle. Gerade hier im ländlichen Raum ist dieses Angebot entscheide­nd. Kinder und Erwachsene sind uns gleich wichtig, die Produktion­en werden gleich sorgfältig und aufwendig gestaltet. Sinnliches Theater regt die Kreativitä­t an, öffnet den Blick für andere Welten.

Außerdem sind Kinder nicht nur das Publikum von morgen, sondern auch schon von heute. Niemand soll in der Begegnung mit Kunst durch Langeweile abgestraft werden, wir wollen mit allem, was zur Verfügung steht, verzaubern. Übrigens: Für das Wachstum unseres Festivals waren die Kinder, die zu Hause fröhlich von der Theaterarb­eit erzählt haben, Multiplika­toren. Im ersten Jahr hatten wir 5000 Besucherin­nen und Besucher, heute, nach neun weiteren Jahren, sind wir bei über 100.000.

Für unsere U-21Schiene erarbeiten wir nämlich jedes Jahr ein neues Stück mit Kindern für Kinder. In diesem Jahr beschäftig­en wir uns mit Jules Verne und fragen im Rahmen der Produktion In 80 Tagen um die Welt ohne CO nach Mobilitäts­formen in der Zukunft.

Diesen Sommer gibt’s außerdem eine Neuinszeni­erung von Lothar Gregers Groteske „Mein Freund Kurt“. Mit diesem Stück fing 2011 alles an.

Alles in allem inszeniere ich diesen Text nun schon zum dritten Mal. Das ist etwas Besonderes. Wie heimkommen. Der Protagonis­t des Textes feilscht mit dem Tod über das Leben. Und geht dann ins Paradies. Obwohl der Tod als einzige Sicherheit im Menschenle­ben eigentlich immer gegenwärti­g ist und zudem unser Spielplan schon vor Corona feststand, hat die Pandemie das Thema der Sterblichk­eit natürlich noch einmal aktueller gemacht.

Corona ignorieren geht nicht. Von den Auflagen her sowieso nicht. Aber auch inhaltlich. Dieses Thema beschäftig­t uns alle. Wie jedes Jahr haben wir versucht, aus Eigenprodu­ktionen und Gastspiele­n ein rundes Programm zu gestalten, das vielfältig ist. Einen gemeinsame­n thematisch­en Hintergrun­d hat eben die „Suche nach dem Paradies“. Dabei ist uns der Bezug auf gesellscha­ftlich drängende Fragen wichtig. Das ist ja auch die Chance eines Festivals wie des unseren, das vergleichs­weise schnell auf Aktuelles reagieren kann.

Es braucht Humor. Und Visionen. Zum Beispiel haben wir für das Stationent­heater Der Hausversta­nd und die Eigenveran­twortung: Gespräche auf der Couch Monologe in Auftrag gegeben, die danach fragen, wie es nach Covid-19 weitergehe­n soll. Und das soll es.

tagswunsch?

Ist das ein Geburts

Ich wünsche mir, dass alle mit einem Gedanken reicher nach Hause gehen.

Dass also nach zehn Festivalja­hren mindestens zehn Gedanken mehr in der Welt sind?

Viel mehr! 100.000 Besucher heißt 100.000 neue Gedanken. Auf dass die Welt ein bisschen bunter wird.

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