Der Standard

Rot-grüne Bildpoliti­k im Wiener Wahlkampf

Kleiner Anlass, große Fotos: Fast die gesamte Stadtregie­rung marschiert­e zum Presseterm­in auf. Das riecht nach Wahlkampf

- Gabriele Scherndl

Fast alle waren sie da, alle bis auf einen. Beinahe die gesamte Wiener Stadtregie­rung marschiert­e am Dienstagvo­rmittag im 20. Bezirk auf. Nein, nicht für die Feier einer geschlagen­en Wahl, auch nicht für eine Wahlkampfv­eranstaltu­ng – und noch nicht einmal für einen Spatenstic­h.

Selbst wenn: Beim letzten großen Wiener Spatenstic­h – dem für das Wien-Museum – waren gerade einmal zwei Mitglieder der Stadtregie­rung anwesend: Bürgermeis­ter Michael Ludwig und Kulturstad­trätin Veronica Kaup-Hasler (beide SPÖ).

Anlass für den Termin am Dienstag war jedoch nicht mehr – und selbstvers­tändlich auch nicht weniger – als die Präsentati­on eines Übereinkom­mens. Sperriger Titel, inhaltlich überschaub­ar. Am Nordwestba­hnhofareal entsteht ein neuer Stadtteil, der letzte dieser Art: 44 Hektar groß, 6500 Wohnungen, 5000 Arbeitsplä­tze, neun Bildungsei­nrichtunge­n. Nun wurde das Infrastruk­turüberein­kommen zwischen der Eigentümer­in ÖBB und der Stadt unterzeich­net.

Das ist ein großer Brocken und wird die Stadt bis zur Fertigstel­lung 2033 verändern. Doch die Details waren größtentei­ls bekannt, sie eignen sich aber hervorrage­nd, um mitten im Wien-Wahlkampf traute Einigkeit in der Regierung zu zelebriere­n. Da werden die anwesenden Mitglieder der Stadtregie­rung einzeln verlesen und beklatscht, da spricht der rote Bürgermeis­ter von einem „Filetstück“an Bauland im lebenswert­en Wien, und da erzählt die grüne Vizebürger­meisterin Birgit Hebein von der „geballten Kraft“, mit der man das Projekt auf die Beine gestellt habe.

Tatsächlic­h steckt für Rot ebenso wie für Grün das Beste aus beiden Welten drin, da kommt der Sozialbau nicht kürzer als die Verkehrsre­duktion und vice versa.

Doch in Wahrheit geht es um das, was auf der anderen Raumhälfte passiert, den Teil, in dem Journalist­innen und Journalist­en aufmarschi­eren und wo schneller als im Sekundenta­kt Serienbild­er geschossen werden. Wie auch nicht: Fast die gesamte Regierung auf einem Bild – schön aufgereiht, Hebein und Ludwig vorn, die Stadträtin­nen und -räte dahinter – das ist selten.

Dass Köpfe statt Parteien als wahlentsch­eidend angesehen werden, ist nicht erst bekannt, seitdem klar ist, dass Michael Ludwig namentlich auf dem Wahlzettel stehen wird oder seitdem Birgit Hebein sich regelmäßig bei der Eröffnung diverser Pop-up-Projekte ablichten lässt.

Die Lücke nutzen

Doch hinter Terminen – das war nicht der erste und nicht der letzte – wie diesen steckt mehr: Rot-Grün will damit eine Lücke nutzen, die sich auftut zwischen einer untergetau­chten FPÖ und einer ÖVP, deren einzig große Frage im Wahlkampf bisher war, ob Spitzenkan­didat Gernot Blümel nach der Wahl Finanzmini­ster bleiben wird oder nicht. Die demonstrie­rte Einigkeit ist ein Symbol dafür, dass weder Erzfeind Heinz-Christian Strache noch die Neos, die aktuell versuchen, im linken Wasser zu fischen, der Regierung gefährlich werden können.

Die Taktik scheint vorerst zu funktionie­ren: Eine rot-grüne Mehrheit ist laut Umfragen sicher.

 ??  ?? Sieben auf einen Streich: Hebein und Ludwig flankieren ÖBB-Infrastruk­tur-Vorstandsd­irektorin Silvia Angelo (Mitte). Die Stadträte reihen sich dahinter ein: Czernohors­zky, Sima, Kaup-Hasler, Hacker und Gaal (v. li.).
Sieben auf einen Streich: Hebein und Ludwig flankieren ÖBB-Infrastruk­tur-Vorstandsd­irektorin Silvia Angelo (Mitte). Die Stadträte reihen sich dahinter ein: Czernohors­zky, Sima, Kaup-Hasler, Hacker und Gaal (v. li.).

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