Rot-grüne Bildpolitik im Wiener Wahlkampf
Kleiner Anlass, große Fotos: Fast die gesamte Stadtregierung marschierte zum Pressetermin auf. Das riecht nach Wahlkampf
Fast alle waren sie da, alle bis auf einen. Beinahe die gesamte Wiener Stadtregierung marschierte am Dienstagvormittag im 20. Bezirk auf. Nein, nicht für die Feier einer geschlagenen Wahl, auch nicht für eine Wahlkampfveranstaltung – und noch nicht einmal für einen Spatenstich.
Selbst wenn: Beim letzten großen Wiener Spatenstich – dem für das Wien-Museum – waren gerade einmal zwei Mitglieder der Stadtregierung anwesend: Bürgermeister Michael Ludwig und Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (beide SPÖ).
Anlass für den Termin am Dienstag war jedoch nicht mehr – und selbstverständlich auch nicht weniger – als die Präsentation eines Übereinkommens. Sperriger Titel, inhaltlich überschaubar. Am Nordwestbahnhofareal entsteht ein neuer Stadtteil, der letzte dieser Art: 44 Hektar groß, 6500 Wohnungen, 5000 Arbeitsplätze, neun Bildungseinrichtungen. Nun wurde das Infrastrukturübereinkommen zwischen der Eigentümerin ÖBB und der Stadt unterzeichnet.
Das ist ein großer Brocken und wird die Stadt bis zur Fertigstellung 2033 verändern. Doch die Details waren größtenteils bekannt, sie eignen sich aber hervorragend, um mitten im Wien-Wahlkampf traute Einigkeit in der Regierung zu zelebrieren. Da werden die anwesenden Mitglieder der Stadtregierung einzeln verlesen und beklatscht, da spricht der rote Bürgermeister von einem „Filetstück“an Bauland im lebenswerten Wien, und da erzählt die grüne Vizebürgermeisterin Birgit Hebein von der „geballten Kraft“, mit der man das Projekt auf die Beine gestellt habe.
Tatsächlich steckt für Rot ebenso wie für Grün das Beste aus beiden Welten drin, da kommt der Sozialbau nicht kürzer als die Verkehrsreduktion und vice versa.
Doch in Wahrheit geht es um das, was auf der anderen Raumhälfte passiert, den Teil, in dem Journalistinnen und Journalisten aufmarschieren und wo schneller als im Sekundentakt Serienbilder geschossen werden. Wie auch nicht: Fast die gesamte Regierung auf einem Bild – schön aufgereiht, Hebein und Ludwig vorn, die Stadträtinnen und -räte dahinter – das ist selten.
Dass Köpfe statt Parteien als wahlentscheidend angesehen werden, ist nicht erst bekannt, seitdem klar ist, dass Michael Ludwig namentlich auf dem Wahlzettel stehen wird oder seitdem Birgit Hebein sich regelmäßig bei der Eröffnung diverser Pop-up-Projekte ablichten lässt.
Die Lücke nutzen
Doch hinter Terminen – das war nicht der erste und nicht der letzte – wie diesen steckt mehr: Rot-Grün will damit eine Lücke nutzen, die sich auftut zwischen einer untergetauchten FPÖ und einer ÖVP, deren einzig große Frage im Wahlkampf bisher war, ob Spitzenkandidat Gernot Blümel nach der Wahl Finanzminister bleiben wird oder nicht. Die demonstrierte Einigkeit ist ein Symbol dafür, dass weder Erzfeind Heinz-Christian Strache noch die Neos, die aktuell versuchen, im linken Wasser zu fischen, der Regierung gefährlich werden können.
Die Taktik scheint vorerst zu funktionieren: Eine rot-grüne Mehrheit ist laut Umfragen sicher.