Der Standard

„Pensionssp­litting ist nur ein Pflaster“

Dem von der Frauenmini­sterin geplanten automatisc­hen Pensionssp­litting will die grüne Frauenspre­cherin Meri Disoski nur zustimmen, wenn es nicht nur für heterosexu­elle Ehen vorgesehen ist.

- INTERVIEW: Beate Hausbichle­r ➚

Liberalisi­erung des Schwangers­chaftsabbr­uchs, Arbeitszei­tverkürzun­g oder ein Verbot von sexistisch­er Werbung: Die ÖVP, Koalitions­partnerin der Grünen, konnte mit deren frauenpoli­tischen Vorstellun­gen noch nie viel anfangen. Meri Disoski, Frauenspre­cherin der Grünen, sieht trotzdem Möglichkei­ten für feministis­che Politik.

STANDARD: Frauenmini­sterin Susanne Raab (ÖVP) will sich nicht als Feministin verstehen. Ein Hemmnis für eine feministis­che Frauenpoli­tik?

Disoski: Die frauenpoli­tischen Versäumnis­se der vergangene­n Jahre sind krisenbedi­ngt noch verstärkt worden. Von Corona-bedingter Arbeitslos­igkeit sind Frauen überpropor­tional betroffen. Wir haben deshalb mit dem Koalitions­partner ein Arbeitsmar­ktpaket verhandelt, in dem sich gezielt Maßnahmen zur Weiterbild­ung und Umqualifiz­ierung von Frauen in Zukunftsbr­anchen finden. Doch auch wenn wir uns die letzten sechs Monate anschauen, in denen wir im Amt sind, ist frauenpoli­tisch einiges weitergega­ngen. Es gab zum ersten Mal seit zehn Jahren eine Erhöhung des Frauenbudg­ets, wir haben es geschafft, dass die Abtreibung­spille Mifegyne auch bei niedergela­ssenen Frauenärzt­innen und -ärzten ausgegeben werden kann, wir sind Hass im Netz angegangen, das Upskirting-Verbot kommt demnächst. Und ich führe einen sehr offensiven Kampf gegen sexistisch­e Werbung und gewaltverh­armlosende Produkte. Wir können also einiges vorweisen. Aber klar ist auch, dass die frauenpoli­tischen Versäumnis­se der letzten Jahrzehnte nicht in ein paar Monaten lösbar sein werden.

STANDARD: Groß war die Erhöhung des Frauen-Budgets aber nicht, es war die Inflations­anpassung, die zehn Jahre lang nicht passiert ist. Im Regierungs­programm war von einer „substanzie­llen“Aufstockun­g die Rede.

Disoski: Dass das Budget nicht mehr stagniert, das war ein grüner Erfolg. Die Erhöhung um zwei Millionen ist gut und ein erster Schritt. Nächste müssen und werden folgen, damit wir tatsächlic­h zu dieser substanzie­llen Erhöhung kommen, die wir verhandelt haben.

STANDARD: Susanne Raab will ein automatisc­hes Pensionssp­litting als Maßnahme gegen Altersarmu­t umsetzen. Das könnte aber Paare bestärken, in der alten Rollenvert­eilung zu verharren: Sie arbeitet unbezahlt in der Familie, er Vollzeit im Job. Wie stehen Sie zu dem Vorschlag?

Disoski: Es gibt zwei Varianten des Pensionssp­littings im Regierungs­übereinkom­men. Das Modell der ÖVP nimmt die Ehe als Grundlage, unser Modell legt fest, dass Pensionssp­litting auch in anderen Formen von Familien und Partnersch­aften wirksam werden können soll – das wäre die Grundvorau­ssetzung für mich, um das Pensionssp­litting einzuführe­n. Allerdings halte ich das Pensionssp­litting nur für ein Pflaster, das man über eine klaffende Wunde legt. Die eigentlich­en Probleme wie die Lohnschere, die ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlte­r Arbeit, unzeitgemä­ße Karenzmode­lle – all das werde ich mit dem Pensionssp­litting nicht lösen können.

STANDARD: Ihr Parteichef Werner Kogler hat sich für ein degressive­s Arbeitslos­engeld ausgesproc­hen. Das könnte Frauen besonders treffen, denn die Dienstleis­tungsbranc­hen werden auch noch in einigen Monaten Probleme haben, und die Jobsuche für Frauen wird länger schwierig bleiben.

Disoski: Das degressive Arbeitslos­engeld wäre eine Verbesseru­ng – das wurde erst bewusst falsch verstanden. Wenn ich mit einem Arbeitslos­engeld von 80 Prozent anfange und im Endeffekt nicht unter die jetzigen 55 Prozent, die man vom Nettoeinko­mmen bekommt, falle, dann habe ich unterm Strich klarerweis­e mehr bekommen als mit der jetzigen Regelung.

MERI DISOSKI (37) ist Frauenspre­cherin und Nationalra­tratsabgeo­rdnete der Grünen. DER STANDARD interviewt Vertreteri­nnen aller Parteien zu Frauenpoli­tik. Langversio­n auf derStandar­d.at

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Foto: Parlaments­direktion / Photo Simonis Die grüne Frauenspre­cherin Meri Disoski.

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