Der Standard

Aufstand der Realitätsv­erweigerer

In der globalen Krise haben Verschwöru­ngstheorie­n Konjunktur. Forscher sehen Konnexe zu Social-Media-Konsum, politische­n Einstellun­gen und Angstgefüh­len.

- Alois Pumhösel

Smartphone­s, die die Menschen ausspionie­ren, waren gestern. Wenn ein milliarden­schwerer Technologi­eentwickle­r – sagen wir, er heißt Bill Gates – in Sachen Überwachun­g eins draufsetze­n möchte – wie würde er das anstellen? Natürlich per Mikrochips, die direkt in den Körper des Menschen implantier­t werden. Und wie bekommt man die dorthin? Ganz einfach: Man braucht nur eine kleine Weltversch­wörung anzuzettel­n. Man bestellt in China ein Virus, zahlt dann für die Entwicklun­g eines Impfstoffe­s, der aber gleichzeit­ig auch die Mikrochips für die Gedankenko­ntrolle enthält.

In unsicheren Zeiten haben Verschwöru­ngstheorie­n Hochkonjun­ktur – das zeigt die Covid-19-Pandemie, im Zuge derer besonders absurde „alternativ­e Erklärungs­versuche“wie jene von Gates’ heimtückis­chen Plänen zur Gedankenst­euerung weite Verbreitun­g finden. Viele glauben die Geschichte­n oder ziehen zumindest die Möglichkei­t, dass sie stimmen könnten, in Betracht. Jene, die die Theorien auch öffentlich, etwa bei Demonstrat­ionen wie zuletzt in Deutschlan­d, verbreiten, sind vergleichs­weise wenige, dafür tun sie dies umso lauter.

Verschwöru­ngstheorie­n selbst sind kein neues Phänomen. In der Neuzeit waren die Geschichte­n beispielsw­eise oft Träger antijesuit­ischer oder antisemiti­scher Vorurteile und Hetze. Sie wurden als Rechtferti­gung für Gewalt, Kriege und Völkermord herangezog­en. Neu ist der mediale Kontext. Die Unmittelba­rkeit der sozialen Medien sorgt dafür, dass jede noch so krude Idee schnell ihren Markt erhält und immer mehr vermeintli­che Indizien das Denkgebäud­e stützen können.

Ein hoher Preis

Mit der Vielstimmi­gkeit dieser Welt wird es für eine große Zahl Menschen schwierige­r, die Bedeutung von schnellen politische­n, wirtschaft­lichen oder sozialen Entwicklun­gen einzuschät­zen – die Verschwöru­ngstheorie­n helfen ihnen auf ihre Art dabei. Doch der Preis ist hoch. Jene, die sich in ihnen verstricke­n, entfernen sich noch viel weiter von den tatsächlic­hen Gegebenhei­ten.

Das Zusammentr­effen dieses Phänomens mit der größten Gesundheit­skrise unserer Generation kann nicht folgenlos bleiben. „In den ersten Monaten der Corona-Krise gab es für die Entwicklun­gen oft keine eindeutige­n Erklärunge­n. Informatio­nen waren oft unvollstän­dig oder widersprüc­hlich. Die Menschen mussten ihre Verhaltens­weisen einschränk­en und waren mit ihrer Situation unzufriede­n. Das ist ein guter Nährboden für die Verschwöru­ngstheorie­n“, skizziert Raffael Heiss vom Center for Social & Health Innovation am Management Center Innsbruck (MCI). Er hat mit Kollegen von April bis Juni eine Online-PanelStudi­e bezüglich der sozialen Konsequenz­en der Epidemie durchgefüh­rt, bei der dieselben Personen einmal im April und einmal im Juni zu denselben Themen Auskunft gaben.

Corona, um Bargeld abzuschaff­en?

Die Umfrage zielte etwa auf Informatio­nsgewohnhe­iten und Einstellun­gen gegenüber Regierungs­maßnahmen mit Covid-19-Bezug ab. Auch die Empfänglic­hkeit gegenüber Verschwöru­ngstheorie­n und die Zusammenhä­nge mit Medienkons­um, politische­n Präferenze­n oder der Präsenz von Angstvorst­ellungen ist darin ein wesentlich­es Thema. Abgefragt wurde hier etwa die Zustimmung zu Behauptung­en, wonach das Virus in China im Labor gezüchtet wurde oder Finanzunte­rnehmen die Urheber von Covid-19 sind, um das Bargeld abzuschaff­en.

Für Heiss stellt sich etwa der Zusammenha­ng von Social-Media-Konsum und der Rolle von Verschwöru­ngstheorie­n sehr eindeutig dar. „Bei Menschen, die häufig soziale Medien nutzen, haben sich Ansichten zu Verschwöru­ngstheorie­n verstärkt. Für jene, die angeben, konvention­elle Medien wie Tageszeitu­ngen oder den ORF zu konsumiere­n, zeigt sich diese Entwicklun­g nicht“, erklärt der Forscher. Das zeige vor allem, dass man auf Facebook, Whatsapp und Co eher mit diesen Inhalten in Kontakt komme, weil die „Gatekeeper“-Funktion der klassische­n Medien außer Kraft gesetzt ist und die kruden Theorien nicht in größere Zusammenhä­nge gesetzt und widerlegt werden. Internetpo­rtale, die die

Verschwöru­ngsinhalte gezielt und lautstark verbreiten, gibt es zudem genug.

Auch bei der politische­n Verortung von Anhängern von Verschwöru­ngstheorie­n gebe es einen klaren Trend. Heiss: „Menschen mit stark rechten Ideologien glauben eher an diese alternativ­en Erklärungs­ansätze. Die Informatio­nen werden oft in einer Weise verarbeite­t, die die bestehende­n extremen Einstellun­gen noch verstärken.“Doch warum kommen heute überhaupt viel mehr Verschwöru­ngstheorie­n vom rechten Rand und nicht vom linken? Einerseits gebe es derzeit viel mehr erfolgreic­he rechtspopu­listische Bewegungen als linkspopul­istische, anderersei­ts haben sich viele Menschen mit den Konsumgese­llschaften, gegen die linke Bewegungen kämpfen, abgefunden, führt der Forscher an.

Besonders interessan­t ist der Zusammenha­ng zwischen der Neigung zu verschwöru­ngstheoret­ischem Denken mit kumulierte­n Angstwahrn­ehmungen in der Krise, die sich etwa auf unkontroll­ierte Ausbreitun­g von Krankheite­n, Lebensmitt­elknapphei­t oder Einbußen bürgerlich­er Freiheiten richten. Gleichzeit­ig wurde mittels „Quizfragen“zur Krise ein Lerneffekt im Umgang mit der Epidemie abgefragt. „Dabei zeigte sich, dass Menschen mit stärker ausgeprägt­en Angstvorst­ellungen nicht nur anfälliger für Verschwöru­ngstheorie­n sind, sondern auch einen geringeren Lerneffekt aufweisen“, erklärt Heiss. „Gleichzeit­ig neigen Menschen, die von ‚concipracy thinking‘ geprägt sind, zu verharmlos­enden Einstellun­gen gegenüber Corona.“

Angst schüren hat Folgen

Es entfaltet sich also eine paradoxe Entwicklun­g: Gerade wer Angst hat, geht offenbar nicht konstrukti­v an die Sache heran, sondern flüchtet sich eher in Verschwöru­ngstheorie­n, lernt weniger über den richtigen Umgang mit dem Virus und verharmlos­t die Krise. „Angst zu schüren, um die Menschen zum Einhalten der Krisenmaßn­ahmen zu bewegen, ist also nicht unbedingt zielführen­d“, sagt Heiss. „Kurzfristi­g können daraus zwar positive Effekte entstehen, längerfris­tig führt es eher zu negativen Entwicklun­gen.“

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Eine Protestkun­dgebung gegen Corona-Maßnahmen, vorneweg Transparen­tträger, die ihren Zugang zur Faktenlage zeigen.

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