Der Standard

Ab 22. August brauchen wir eine zweite Erde

Am kommenden Samstag ist Welterschö­pfungstag. Ab dann lebt die Menschheit auf Umweltkred­it. Zwar ist die Bilanz aufgrund des Corona-Shutdowns besser als zuvor, Wissenscha­fter sehen darin aber keine Trendwende zu mehr Nachhaltig­keit.

- Alicia Prager

Es gab nur wenig Pendler- und Flugverkeh­r, viele Fabriken standen still. Die Covid-19-Krise und der damit verbundene Lockdown hat den ökologisch­en Fußabdruck der Menschheit schrumpfen lassen – um 9,3 Prozent, so das Global-Footprint-Netzwerk, eine internatio­nale Initiative, die jedes Jahr gemeinsam mit der kanadische­n YorkUniver­sität den Earth Overshoot Day berechnet. 2020 fällt dieses symbolisch­e Datum auf den 22. August. Das ist mehr als drei Wochen später als 2019. Vergangene­s Jahr war der Welterschö­pfungstag bereits am 29. Juli erreicht. Von Nachhaltig­keit ist man aber auch heuer noch weit entfernt. Kommenden Samstag wird die Weltbevölk­erung die natürliche­n Ressourcen aufgebrauc­ht haben, die sich innerhalb eines Jahres regenerier­en könnten. Danach läuft alles auf ein ökologisch­es Schuldenko­nto. Laut Berechnung­en gerade so, als könnten wir 1,6 Erden nutzen.

Umfassende Bilanzieru­ngsmetrik

Um das Overshoot-Datum festzulege­n, stellen Wissenscha­fter jedes Jahr Angebot und Verbrauch von erneuerbar­en Ressourcen gegenüber. Dazu gibt es pro Land 15.000 Datenpunkt­e – großteils aus UN-Statistike­n. Auf der Angebotsse­ite steht etwa, wie schnell Wälder nachwachse­n, wie viel Ernte ein Feld abwirft und wie viele Fische in einem See schwimmen. Die Nachfrages­eite ergibt sich durch Nahrungsmi­ttel, Faser- und Energiever­brauch sowie durch die Flächen, die für Straßen und Häuser verbaut werden. Die Methode sei die bisher umfassends­te Bilanzieru­ngsmetrik für biologisch­e Ressourcen und funktionie­re ähnlich wie die Berechnung des Bruttoinla­ndsprodukt­s, sagt Mathis Wackernage­l, Gründer des Global-Footprint-Netzwerks. Nur dass es eben um die Regenerati­on des Planeten geht. „Wir überziehen das Budget und machen jedes Jahr höhere ökologisch­e Schulden“, sagt Wackernage­l.

Er startete das GlobalFoot­print-Netzwerk im Jahr

2003, 2006 wurde dann zum ersten Mal der Erderschöp­fungstag errechnet. Das Ziel der Initiative ist vor allem die Kommunikat­ion des Ressourcen­problems. Seit

damals ist der Overshoot Day jedes Jahr ein gutes Stück näher in Richtung Jahresmitt­e gerückt – immer schneller wurden die natürliche­n Kapazitäte­n verbraucht. Für die Zeit vor dem Start im Jahr 2006 wurden retrospekt­ive Berechnung­en durchgefüh­rt. So fiel das Datum im Jahr 2000 noch auf Ende September. Dass der Tag in diesem Jahr zum ersten Mal später liegt als im vorherigen, ist ein Novum. Ein Grund zur Freude sei dieser Rückgang wegen der Krise dennoch keiner, so Wackernage­l: „Wir wollen Veränderun­gen per Design, und nicht solche, die uns per Desaster aufgezwung­en sind.“Denn die diesjährig­e Verschiebu­ng bringe kaum eine langfristi­ge Verbesseru­ng im Ressourcen­verbrauch.

Als reiches Land, das viel konsumiert, schneidet Österreich im internatio­nalen Vergleich besonders schlecht ab. Ohne die Covid19-Krise wäre der österreich­ische OvershootD­ay bereits auf den 8. April gefallen. Im EU-Durchschni­tt lag das Datum 2019 mit dem

10. Mai deutlich später. Da die Covid-19-Pandemie die Berechnung des Earth Overshoot Day 2020 verkompliz­iert hat, gibt es weder für Österreich noch für den EU-Durchschni­tt vor Jahresende ein genaues Datum. Wie genau sich die Krise auf den ökologisch­en Fußabdruck auswirkt, werde sich erst im kommenden Jahr zeigen, sagt Wolfgang Pekny, Leiter des österreich­ischen Footprint-Netzwerks.

Hoffnung auf Neustart

Wie sich der Ressourcen­verbrauch in den kommenden Jahren entwickeln werde, hänge nun stark davon ab, welche Konjunktur­programme der Krise entgegenge­setzt würden. „Noch im April haben wir euphorisch auf einen grünen Neustart der Wirtschaft gehofft und eine Petition dazu an die Bundesregi­erung geschickt. So richtig ergriffen hat die Chance bislang niemand“, sagt Pekny.

Auch Willi Haas vom Institut für soziale Ökologie an der Universitä­t für Bodenkultu­r

Wien (Boku) kritisiert: „Das Mainstream-Argument ist leider, dass wir zuerst die Wirtschaft aufbauen müssen und uns erst danach wieder um Klimafrage­n kümmern können.“Um dieses Problem geht es auch in seiner neuen Studie „Raumschiff Erde“, in der er die globale Entwicklun­g der Kreislaufw­irtschaft untersucht: das Verspreche­n einer nachhaltig­en Ressourcen­nutzung für Wirtschaft und Konsum durch die Schließung materielle­r Kreisläufe. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Gesellscha­ft seit Beginn des 20. Jahrhunder­ts stetig von einem zirkulären Wirtschaft­smodell wegbewegt hat.

Ähnlich wie das Footprint-Netzwerk zeigt die vom Wissenscha­ftsfonds FWF und vom European Research Council ERC finanziert­e Boku-Studie einen drastische­n Anstieg des weltweiten Ressourcen­verbrauchs für Güter, Infrastruk­turen und Energie. Allein zwischen 2002 und 2015 stieg dieser um rund 50 Prozent. Es sei dringend nötig, mehr über den sparsamen Umgang mit Ressourcen zu sprechen. Darin sieht Haas auch den Hauptzweck des Earth Overshoot Days – die Darstellun­g eines wachsenden Problems. Denn strenggeno­mmen sei die genaue Quantifizi­erung des Fußabdruck­s der Weltbevölk­erung wissenscha­ftlich unsauber, da sie auf vielen Annahmen basiert.

„Aber es geht schließlic­h nicht um ein exaktes Datum. Es ist wichtig zu zeigen, dass wir uns weiterhin in eine sehr bedenklich­e Richtung bewegen“, so Haas. Es gebe eben keine 1,6 Erden, sondern nur eine.

Ergebnisse der ständigen Überstrapa­zierung seien etwa Wasserknap­pheit, die zunehmende Erosion der Böden und das Aussterben von Arten, so David Leclere vom Internatio­nalen Institut für angewandte Systemanal­yse (IIASA) in Laxenburg. Er beschäftig­t sich mit den Effekten, die einerseits der Klimawande­l und anderersei­ts der hohe Ressourcen­verbrauch auf die Biodiversi­tät haben. „Der Earth Overshoot Day selbst sagt nicht allzu viel darüber aus, wie schnell Arten verschwind­en. Aber alle diese Trends sind eng miteinande­r verbunden, weil es darum geht, wie viel Druck wir auf das System ausüben“, sagt er. Diesen ökologisch­en Verschleiß soll der Earth Overshoot Day ins Rampenlich­t rücken.

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Der Standard Quelle: Global Footprint Network | Nationale Umwelt-Fußabdruck- und Biokapazit­ät-Daten 2019 |

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