ZITAT DES TAGES
Am ersten von vier Tagen hielt die ehemalige First Lady Michelle Obama eine mitreißende Rede beim Wahlkonvent der US-Demokraten. Für eine Überraschung sorgte der Republikaner John Kasich, der sich für Joe Biden ins Zeug legte.
„Wir müssen für Joe Biden stimmen, als hinge unser Leben davon ab.“
Die ehemalige First Lady der USA, Michelle Obama, warnt von einer zweiten Amtszeit von Donald Trump
Empathie, sagt Michelle Obama am ersten Abend des Wahlparteitags der Demokraten, über Empathie habe sie oft nachgedacht in dieser Pandemie. Wenn man sehe, dass jemand leide oder zu kämpfen habe, gehe man auf diese Person zu. So bringe man es auch seinen Kindern bei, doch zurzeit erlebten die Kinder des Landes, was passiere, wenn man aufhöre, voneinander dieses Mitgefühl einzufordern.
In bitteren Worten beschreibt die ehemalige First Lady, wozu schrankenloser Egoismus im pandemiegeplagten Amerika führt. Sie spricht von Leuten, „die im Supermarkt herumschreien, nicht bereit, eine Maske zu tragen, um uns alle zu schützen“. Sie skizziert ein Anspruchsdenken, das besage, dass nur bestimmte Leute in dieses Land gehörten, Gier gut und Gewinnen alles sei, „denn solange du die Oberhand hast, kann dir egal sein, was mit den anderen geschieht“.
Nicht nur politisch bleibe die Nation hinter den Erwartungen zurück, sondern auch in Charakterfragen, fasst sie zusammen, um in schnörkelloser Prosa zum politischen Wandel aufzurufen.
„Trump ist der Falsche“
„Lassen Sie es mich so ehrlich und klar sagen, wie es nur geht: Donald Trump ist der falsche Präsident für unser Land. (...) Wenn wir irgendeine Hoffnung haben, dieses Chaos zu beenden, dann müssen wir für Joe Biden stimmen, als hinge unser Leben davon ab.“
Der Adressat reagiert am nächsten Morgen mit einem Tweet, der für seine Verhältnisse zurückhaltend klingt, eher belehrend als wütend. Jemand möge Michelle Obama bitte erklären, schreibt Trump, dass Donald J. Trump nicht hier wäre, wenn ihr Mann einen besseren Job gemacht hätte. Mit der Gardinenpredigt der First Lady a. D. endet der erste von vier Kongresstagen, die rein virtuell über die Bühne gehen.
Rein virtuelles Programm
Keine Menschenmassen in einer Halle, kein Applaus, keine stehenden Ovationen, keine Buhrufe. Moderatorin Eva Longoria, bekannt aus der TV-Serie Desperate Housewives, führt durch das zweistündige Programm, als wäre es eine ZoomKonferenz. Die hat so ihre Tücken, mal ruckelt das Bild, mal fällt der Ton aus. Aber die Reden sind weniger zahlreich und kürzer als sonst, was nur wenige kritisieren. Und auch im rein virtuellen Format gibt es Reden, die unter die Haut gehen.
Da ist Kristin Urquiza, eine junge Frau aus Arizona, deren einst aus Mexiko eingewanderter Vater im Alter von 65 Jahren an den Folgen von Covid-19 starb. Nach den Worten seiner Tochter nahm er das Virus nicht ernst genug, nachdem der Präsident die Gefahr heruntergespielt hatte. Er ging mit Freunden in eine Karaoke-Bar und steckte sich an. „Er hatte nur eine einzige Vorerkrankung: Donald Trump zu vertrauen“, klagt Kristin Urquiza. „Und dafür hat er mit seinem Leben bezahlt.“
Andrew Cuomo, der Gouverneur New Yorks, der Klartext redete, als sich das Ausmaß der Seuche abzuzeichnen begann, beklagt die tiefen politischen Schluchten der Republik. „Nur ein starker Körper kann das Virus besiegen, und unsere innere Spaltung hat ihn geschwächt.“Trump, betont er, habe diese Gräben nicht geschaffen, vielmehr hätten die Gräben den Präsidenten Trump hervorgebracht. „Aber er hat alles noch schlimmer gemacht“, wettert Cuomo und stimmt ein Loblied auf Joe Biden an, den Brückenbauer.
Biden, der Versöhner, der Menschenfreund., der Leidgeprüfte, der schon deshalb zum Mitgefühl fähig ist, weil er nach einer Serie persönlicher Schicksalsschläge genau weiß, was Familien durchmachen, die durch das Coronavirus einen Angehörigen verloren haben. Biden, das Kontrastprogramm zum Egomanen im Oval Office – das ist schon am ersten Abend das Thema.
„Keine normalen Zeiten“
Sanders, bei den Primaries Bidens härtester Rivale, beschreibt die Wahl am 3. November als eine, bei der die Zukunft der Demokratie auf dem Spiel stehe. Trump, warnt er, steuere autoritäre Verhältnisse an.
Für eine Überraschung sorgt John Kasich, der sich 2016 erfolglos um die Kandidatur fürs Weiße Haus bewarb. Dass er, ein Leben lang Republikaner, bei einem Konvent der Demokraten auftrete, wäre in normalen Zeiten undenkbar gewesen, schickt der Ex-Gouverneur von Ohio voraus. „Aber dies sind keine normalen Zeiten.“Für eine Ausnahmesituation sei Biden der richtige Mann, weil er die Nation zusammenführen könne. Keine Partei wisse auf alles eine Antwort. „Doch was wir wissen, ist, dass wir es ganz gewiss besser machen können.“
In den USA wird derzeit ernst diskutiert, wie Donald Trump die Wahl am 3. Oktober stehlen will. Nicht ob, sondern wie.
Dass er es will, ist unbestritten. Seine bewusste Zerstörung der US-Post, mit der er die Briefwahl unmöglich machen will, die er gleichzeitig als völlig normales demokratisches Instrument unter Betrugsverdacht stellt, ist nur ein Indiz.
Es kursieren auch andere Szenarien, u. a. der Einsatz der Nationalgarde, um Leute in bestimmten Distrikten am Wählen zu hindern („Unruhen“) oder eine zeitgerechte Auszählung zu verhindern usw. Unter normalen Umständen müsste allein seine Attacke auf die Post und sein Heruntermachen der Briefwahl genügen, um ihn wegen undemokratischen Verhaltens und Amtsmissbrauchs wegzufegen.
Aber warum kommt er bisher damit durch? Warum kommt er mit all den anderen täglichen Ungeheuerlichkeiten durch – von rassistischen, sexistischen, dreckigen Angriffen auf die Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris über seine hirnverbrannte Corona-Politik bis zu der unendlichen Abfolge von Lügen und dem ans Hochverräterische grenzende Buckeln vor Putin usw.
Brian Klaas hat in der Washington Post schon im Mai diese Frage gestellt und so beantwortet:
1) Das bisher Undenkbare ist Routine geworden. Der kranke Müll, der durchs Internet geistert, wird großteils ernst genommen beziehungsweise kann von vielen nicht richtig eingeordnet werden.
2) Trump wurde von einer starken Minderheit gewählt, für die die Welt in die falsche Richtung geht. Im Fall der USA: Die weiße Vorherrschaft scheint gefährdet.
3) Wer sich einmal so fundamental geirrt hat, wie die Wähler von Trump, der kann den Irrtum jetzt nicht zugeben.
Grosso modo gilt das auch für die anderen „Trumps“: für autoritäre Nationalpopulisten, die im Gegensatz mangels starker demokratischer Institutionen die Grenze zum Diktator bereits überschritten haben, wie Orbán oder Erdoğan. Doch auch die wurden gewählt, Erdoğan sogar knapp. Sie sind jetzt durch ihre Inkompetenz und Korruption in Schwierigkeiten, aber die große Zahl ihrer Anhänger lässt ihnen immer noch alles durchgehen. Auf einer niedrigeren Ebene könnte man auch fragen: Warum lassen die Anhänger des H.-C. Strache, die Strache noch hat, diesem Mann noch alles durchgehen?
Es gibt einen vierten Grund, warum das so ist, und der hat mit einer gewissen Schwäche der Demokraten, der Liberalen, der oppositionellen Kräfte gegen die Trumps dieser Welt zu tun: Wir haben uns schon an so viel gewöhnt.
Man kommt ja nicht nach mit dem Widerlegen des blanken, unverfälschten Shits, den etwa ein Trump von sich gibt. Ein Stichwort: Sein früherer rechtsextremer Guru Steve Bannon sagte ja, „Flood the zone with shit“– verbreite in den sozialen Medien einen verleumderischen, hirnverbrannten Blödsinn, und gewisse Leute, nicht zu wenige, werden es glauben.
Die Anhänger der liberalen Demokratie ermüden manchmal. Aber die liberale Demokratie ist jetzt wirklich in Gefahr, und es muss dringend etwas getan werden. Trump darf nicht mehr damit durchkommen, das Wahlrecht auszuhöhlen. Und verschiedene europäische Brüder im Geiste nicht mit der Aushöhlung der Meinungsfreiheit. hans.rauscher@derStandard.at