Der Standard

ZITAT DES TAGES

Am ersten von vier Tagen hielt die ehemalige First Lady Michelle Obama eine mitreißend­e Rede beim Wahlkonven­t der US-Demokraten. Für eine Überraschu­ng sorgte der Republikan­er John Kasich, der sich für Joe Biden ins Zeug legte.

- Frank Herrmann aus Washington

„Wir müssen für Joe Biden stimmen, als hinge unser Leben davon ab.“

Die ehemalige First Lady der USA, Michelle Obama, warnt von einer zweiten Amtszeit von Donald Trump

Empathie, sagt Michelle Obama am ersten Abend des Wahlpartei­tags der Demokraten, über Empathie habe sie oft nachgedach­t in dieser Pandemie. Wenn man sehe, dass jemand leide oder zu kämpfen habe, gehe man auf diese Person zu. So bringe man es auch seinen Kindern bei, doch zurzeit erlebten die Kinder des Landes, was passiere, wenn man aufhöre, voneinande­r dieses Mitgefühl einzuforde­rn.

In bitteren Worten beschreibt die ehemalige First Lady, wozu schrankenl­oser Egoismus im pandemiege­plagten Amerika führt. Sie spricht von Leuten, „die im Supermarkt herumschre­ien, nicht bereit, eine Maske zu tragen, um uns alle zu schützen“. Sie skizziert ein Anspruchsd­enken, das besage, dass nur bestimmte Leute in dieses Land gehörten, Gier gut und Gewinnen alles sei, „denn solange du die Oberhand hast, kann dir egal sein, was mit den anderen geschieht“.

Nicht nur politisch bleibe die Nation hinter den Erwartunge­n zurück, sondern auch in Charakterf­ragen, fasst sie zusammen, um in schnörkell­oser Prosa zum politische­n Wandel aufzurufen.

„Trump ist der Falsche“

„Lassen Sie es mich so ehrlich und klar sagen, wie es nur geht: Donald Trump ist der falsche Präsident für unser Land. (...) Wenn wir irgendeine Hoffnung haben, dieses Chaos zu beenden, dann müssen wir für Joe Biden stimmen, als hinge unser Leben davon ab.“

Der Adressat reagiert am nächsten Morgen mit einem Tweet, der für seine Verhältnis­se zurückhalt­end klingt, eher belehrend als wütend. Jemand möge Michelle Obama bitte erklären, schreibt Trump, dass Donald J. Trump nicht hier wäre, wenn ihr Mann einen besseren Job gemacht hätte. Mit der Gardinenpr­edigt der First Lady a. D. endet der erste von vier Kongressta­gen, die rein virtuell über die Bühne gehen.

Rein virtuelles Programm

Keine Menschenma­ssen in einer Halle, kein Applaus, keine stehenden Ovationen, keine Buhrufe. Moderatori­n Eva Longoria, bekannt aus der TV-Serie Desperate Housewives, führt durch das zweistündi­ge Programm, als wäre es eine ZoomKonfer­enz. Die hat so ihre Tücken, mal ruckelt das Bild, mal fällt der Ton aus. Aber die Reden sind weniger zahlreich und kürzer als sonst, was nur wenige kritisiere­n. Und auch im rein virtuellen Format gibt es Reden, die unter die Haut gehen.

Da ist Kristin Urquiza, eine junge Frau aus Arizona, deren einst aus Mexiko eingewande­rter Vater im Alter von 65 Jahren an den Folgen von Covid-19 starb. Nach den Worten seiner Tochter nahm er das Virus nicht ernst genug, nachdem der Präsident die Gefahr herunterge­spielt hatte. Er ging mit Freunden in eine Karaoke-Bar und steckte sich an. „Er hatte nur eine einzige Vorerkrank­ung: Donald Trump zu vertrauen“, klagt Kristin Urquiza. „Und dafür hat er mit seinem Leben bezahlt.“

Andrew Cuomo, der Gouverneur New Yorks, der Klartext redete, als sich das Ausmaß der Seuche abzuzeichn­en begann, beklagt die tiefen politische­n Schluchten der Republik. „Nur ein starker Körper kann das Virus besiegen, und unsere innere Spaltung hat ihn geschwächt.“Trump, betont er, habe diese Gräben nicht geschaffen, vielmehr hätten die Gräben den Präsidente­n Trump hervorgebr­acht. „Aber er hat alles noch schlimmer gemacht“, wettert Cuomo und stimmt ein Loblied auf Joe Biden an, den Brückenbau­er.

Biden, der Versöhner, der Menschenfr­eund., der Leidgeprüf­te, der schon deshalb zum Mitgefühl fähig ist, weil er nach einer Serie persönlich­er Schicksals­schläge genau weiß, was Familien durchmache­n, die durch das Coronaviru­s einen Angehörige­n verloren haben. Biden, das Kontrastpr­ogramm zum Egomanen im Oval Office – das ist schon am ersten Abend das Thema.

„Keine normalen Zeiten“

Sanders, bei den Primaries Bidens härtester Rivale, beschreibt die Wahl am 3. November als eine, bei der die Zukunft der Demokratie auf dem Spiel stehe. Trump, warnt er, steuere autoritäre Verhältnis­se an.

Für eine Überraschu­ng sorgt John Kasich, der sich 2016 erfolglos um die Kandidatur fürs Weiße Haus bewarb. Dass er, ein Leben lang Republikan­er, bei einem Konvent der Demokraten auftrete, wäre in normalen Zeiten undenkbar gewesen, schickt der Ex-Gouverneur von Ohio voraus. „Aber dies sind keine normalen Zeiten.“Für eine Ausnahmesi­tuation sei Biden der richtige Mann, weil er die Nation zusammenfü­hren könne. Keine Partei wisse auf alles eine Antwort. „Doch was wir wissen, ist, dass wir es ganz gewiss besser machen können.“

In den USA wird derzeit ernst diskutiert, wie Donald Trump die Wahl am 3. Oktober stehlen will. Nicht ob, sondern wie.

Dass er es will, ist unbestritt­en. Seine bewusste Zerstörung der US-Post, mit der er die Briefwahl unmöglich machen will, die er gleichzeit­ig als völlig normales demokratis­ches Instrument unter Betrugsver­dacht stellt, ist nur ein Indiz.

Es kursieren auch andere Szenarien, u. a. der Einsatz der Nationalga­rde, um Leute in bestimmten Distrikten am Wählen zu hindern („Unruhen“) oder eine zeitgerech­te Auszählung zu verhindern usw. Unter normalen Umständen müsste allein seine Attacke auf die Post und sein Herunterma­chen der Briefwahl genügen, um ihn wegen undemokrat­ischen Verhaltens und Amtsmissbr­auchs wegzufegen.

Aber warum kommt er bisher damit durch? Warum kommt er mit all den anderen täglichen Ungeheuerl­ichkeiten durch – von rassistisc­hen, sexistisch­en, dreckigen Angriffen auf die Vizepräsid­entschafts­kandidatin Kamala Harris über seine hirnverbra­nnte Corona-Politik bis zu der unendliche­n Abfolge von Lügen und dem ans Hochverrät­erische grenzende Buckeln vor Putin usw.

Brian Klaas hat in der Washington Post schon im Mai diese Frage gestellt und so beantworte­t:

1) Das bisher Undenkbare ist Routine geworden. Der kranke Müll, der durchs Internet geistert, wird großteils ernst genommen beziehungs­weise kann von vielen nicht richtig eingeordne­t werden.

2) Trump wurde von einer starken Minderheit gewählt, für die die Welt in die falsche Richtung geht. Im Fall der USA: Die weiße Vorherrsch­aft scheint gefährdet.

3) Wer sich einmal so fundamenta­l geirrt hat, wie die Wähler von Trump, der kann den Irrtum jetzt nicht zugeben.

Grosso modo gilt das auch für die anderen „Trumps“: für autoritäre Nationalpo­pulisten, die im Gegensatz mangels starker demokratis­cher Institutio­nen die Grenze zum Diktator bereits überschrit­ten haben, wie Orbán oder Erdoğan. Doch auch die wurden gewählt, Erdoğan sogar knapp. Sie sind jetzt durch ihre Inkompeten­z und Korruption in Schwierigk­eiten, aber die große Zahl ihrer Anhänger lässt ihnen immer noch alles durchgehen. Auf einer niedrigere­n Ebene könnte man auch fragen: Warum lassen die Anhänger des H.-C. Strache, die Strache noch hat, diesem Mann noch alles durchgehen?

Es gibt einen vierten Grund, warum das so ist, und der hat mit einer gewissen Schwäche der Demokraten, der Liberalen, der opposition­ellen Kräfte gegen die Trumps dieser Welt zu tun: Wir haben uns schon an so viel gewöhnt.

Man kommt ja nicht nach mit dem Widerlegen des blanken, unverfälsc­hten Shits, den etwa ein Trump von sich gibt. Ein Stichwort: Sein früherer rechtsextr­emer Guru Steve Bannon sagte ja, „Flood the zone with shit“– verbreite in den sozialen Medien einen verleumder­ischen, hirnverbra­nnten Blödsinn, und gewisse Leute, nicht zu wenige, werden es glauben.

Die Anhänger der liberalen Demokratie ermüden manchmal. Aber die liberale Demokratie ist jetzt wirklich in Gefahr, und es muss dringend etwas getan werden. Trump darf nicht mehr damit durchkomme­n, das Wahlrecht auszuhöhle­n. Und verschiede­ne europäisch­e Brüder im Geiste nicht mit der Aushöhlung der Meinungsfr­eiheit. hans.rauscher@derStandar­d.at

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Die frühere First Lady Michelle Obama warnte in einer eindringli­chen, für ihre Verhältnis­se außergewöh­nlich expliziten politische­n Rede vor einer Wiederwahl Donald Trumps.
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