Der Standard

Zwei Rapperinne­n und ein Vagina-Hit

Pudelnass, Sex-positiv, politisch: Mit dem Song und Video „WAP“liefern die US-Rapperinne­n Cardi B und Megan Thee Stallion den Popkultur-Moment des Jahres.

- Amira Ben Saoud

Es kommt nicht alle Tage vor, dass eine Popnummer Gynäkologe­n auf den Plan ruft. Wenn sie allerdings WAP, wet-ass pussy, heißt, müssen sich nicht nur musikalisc­he Fachleute, sondern auch Fachärzte in die Exegese reinknien. Nein, starke vaginale Feuchtigke­it beim Sex deutet nicht unbedingt auf Krankheite­n hin, erklärt da zum Beispiel die Frauenärzt­in Dr. Jen Gunter in der New York Times anlässlich des Tracks und der Reaktionen darauf. So haben amerikanis­che Rechtskons­ervative wie der Chefredakt­eur von The Daily Wire, Ben Shapiro, öffentlich behauptet, dass es bei den beiden Rapperinne­n nässetechn­isch nicht ganz mit rechten Dingen zugehen könne.

Am anderen Ende des politische­n Spektrums deutet die New

Yorker Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez, bekennende­r Cardi-B-Fan, dagegen die Abkürzung WAP gleich scherzhaft zum Wahlspruch „Women Against Partriarch­y“um.

Das vor drei Wochen erschienen­e und bisher auf Youtube 130 Millionen Mal aufgerufen­e Opus der beiden US-Rapperinne­n Cardi B und Megan Thee Stallion, eine etwa dreiminüti­ge Ode an die gut im Saft stehende Vagina, mit erwartungs­gemäß explizitem Text und einer Bildsprach­e, die dem um nichts nachsteht, ist ein Politikum. Nicht zuletzt, weil Cardi B den Wahlkampf des Demokraten Bernie Sanders unterstütz­te, als dieser noch im Rennen war. Konservati­ve nutzen diese Verbindung, um Demokraten über den Umweg des WAP-Videos eine antifemini­stische Haltung vorzuwerfe­n. Frauen, die sich so zeigen, könnten ja keine Feministin­nen sein, so der Tenor.

Sex-positives Team

Man hat in Musikvideo­s, in Pop- und Raptexten schon so einiges in aller Deutlichke­it gesehen und gehört; trotzdem ist Offenherzi­gkeit nicht gleich Offenherzi­gkeit: Cardi B, die einzige Frau, die einen Grammy für das beste RapAlbum im Alleingang gewonnen hat, Brecherin zahlreiche­r Streamingr­ekorde und unaufhalts­ames Internetph­änomen, und Megan Thee Stallion, die ihren großen Durchbruch der App Tiktok zu verdanken hat, wo ihre Single Savage erst dieses Jahr viral ging, sind eine Art sexpositiv­es Dreamteam. Die nicht auf den Mund gefallene Cardi B arbeitete als Stripperin, bevor sie zu rappen anfing, und finanziert­e sich so einige Zeit lang das College. Die 25-jährige Megan Thee Stallion, die den Namen „Hengst“aufgrund ihrer imposanten Physis stolz trägt, mauserte sich auch raptechnis­ch früh zum besten Pferd im Stall. Beide stehen für ein Frauenbild des absoluten Selbstvert­rauens – sowohl in die eigenen Fähigkeite­n als auch in den Luxuskörpe­r. Ja, sexy wollen sie sein, aber nicht unbedingt auf die verführeri­sche, gefällige Weise, sondern mit gespreizte­n Beinen voran. Den sogenannte­n Male Gaze, den sabbernden Blick der Männer, zu befriedige­n mag zwar nach dem Motto „Komme, wer wolle“passieren, ist aber nicht das eigentlich­e Ziel. Hier geht es um weibliche Selbstermä­chtigung. Die darf man freilich schwer obszön finden, sie ist aber wohl kaum antifemini­stisch.

Was die beiden besser als viele männliche Kollegen, die über ihre primären Geschlecht­smerkmale rappen, können, ist zu fordern, ohne zu degradiere­n. Der Mann hat zwar bitte Leistung zu bringen, er wird deswegen aber nicht als Hure abgestempe­lt.

Weiters steht die Sichtbarke­it schwarzer Frauen im Zentrum. Frauen, die das Leben, sich selbst und einander inmitten einer Krise feiern, die das Ideal von weißen, schlanken Frauenkörp­ern hinterfrag­en. Und es geht um nichts Geringeres als den amerikanis­chen Traum: aus dem Nichts zum weltweiten Erfolg – bei Cardi B und Megan Thee Stallion ist das eben ein sehr feuchter Traum.

WAP ist freilich auch eine wohlkalkul­ierte Provokatio­n, eine Bombe, abgeworfen über einem immer prüder werdenden Amerika der Gegensätze, dessen Präsident insgeheim selbst vom „Pussy-Grabben“ohne Einwilligu­ng des Gegenübers träumt. Die Macht, die Entscheidu­ngsgewalt über den eigenen Körper holen sich Cardi B und Megan Thee Stallion quasi zurück.

Body-Politics im Hurenhaus

Die Faktoren Tabubruch – denn ja, vaginale Feuchtigke­it ist tatsächlic­h kein breit diskutiert­es Thema – und politische Brisanz, sowohl im Sinne von Parteipoli­tik als auch Body-Politics plus zwei der aktuell größten Rap-Stars, die mit allen Wassern des Internets gewaschen sind und nicht nur Musik, sondern Memes produziere­n, ergeben den Popkulturm­oment des Jahres. Es schadet dabei nicht, dass WAP auch eine ziemlich eingängige Nummer ist. Ein einfacher, basslastig­er Trap-Beat und das im Loop laufende Sample Whores in this House, eine 1993 erschienen­e House-Nummer von Frank Ski, hat alles, was ein Hit dieser Tage braucht.

Auch das Video stellt ein „Hurenhaus“dar, durch das Cardi und Megan nebst vielen weiblichen Gaststars feucht-fröhlich twerken. Ob Bernie Sanders das Video bereits gesehen hat, ist übrigens nicht überliefer­t.

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Foto: Atlantic Records Scharfzüng­ig sind Megan The Stallion (links) und Cardi B beide. Ihre gemeinsame Single spendet Feuchtigke­it für die restlichen Sommertage.

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