Der Standard

Starke Zunahme privater Waffen wegen Corona-Krise

Fluchtbewe­gung 2015 und Pandemie befeuerten Trend zur Schusswaff­e

- Michael Matzenberg­er

Wien – Seit Beginn der Corona-Krise werden in Österreich Woche für Woche rund eintausend neue Schusswaff­en angemeldet. Die Zahl der registrier­ten Waffenbesi­tzer stieg zwischen Anfang März und Anfang August dieses Jahres laut Daten des Innenminis­teriums um etwa 5000 Personen. Höhere Zunahmen waren seit der Neuregelun­g des Zentralen Waffenregi­sters im Jahr 2014 nur infolge der Asylkrise 2015 zu beobachten.

Sowohl Asyl- als auch CoronaKris­e können als Verstärker eines generellen Trends zur Aufrüstung der Privathaus­halte verstanden werden. Denn auch abseits akuter Krisensitu­ationen wuchs die Zahl der Kurz- und Langfeuerw­affen in den vergangene­n Jahren konstant an. Ihr Bestand im Waffenregi­ster erreicht aktuell mehr als 1,13 Millionen Exemplare. Gegenüber 2014 entspricht das einem Anstieg um 295.000 Waffen oder mehr als 35 Prozent. Auch die Zahl der Waffenbesi­tzer erhöhte sich in diesem Zeitraum um ein knappes Drittel.

Während die meisten Neo-Waffenbesi­tzer den Schießspor­t als Kaufmotiv angeben, vermutet Rainer Kastner, waffenpsyc­hologische­r Gutachter des Kuratorium­s für Verkehrssi­cherheit, hinter dem Phänomen das Bedürfnis, ein subjektive­s Unsicherhe­itsgefühl zu lindern, das unabhängig von tatsächlic­hen Gefahren entstehe. (red)

Nicht viele Wirtschaft­szweige profitiere­n von der Corona-Pandemie: Scheidungs­anwälte womöglich und die Hersteller von Schutzmask­en und Desinfekti­onsmitteln. Definitiv gestärkt aus der Krise hervorgehe­n werden die Schusswaff­enproduzen­ten. Denn die Registrier­ungen neuer Kurz- und Langfeuerw­affen haben in Österreich seit dem Frühjahr noch einmal kräftig angezogen. Um die Nachfrage zu bedienen, wird in den heimischen Waffenfabr­iken teils in Dreischich­tmodellen rund um die Uhr produziert, während sich tausende Unternehme­n anderer Branchen nach wie vor in Kurzarbeit befinden.

Tausende neue Waffenbesi­tzer

Um etwas mehr als 22.000 Exemplare erhöhte sich der Bestand an Schusswaff­en in Österreich zwischen Anfang März und Anfang August; das sind ziemlich genau tausend pro Woche. Zum Vergleich: Der Pkw-Bestand ist in Österreich im selben Zeitraum um 23.300 Fahrzeuge und damit nur marginal stärker gewachsen. Die Zahl der neu im Zentralen Waffenregi­ster (ZWR) eingetrage­nen Waffenbesi­tzer stieg währenddes­sen um etwa 5000 Personen.

Eine noch deutlicher­e Zunahme der Waffenverk­äufe war im Nachgang der Flüchtling­skrise zu erkennen. Im letzten

Quartal 2015 und im ersten Quartal 2016 wurden pro Woche durchschni­ttlich 1400 neue Feuerwaffe­n registrier­t.

Es war allerdings schon damals kein aus dem Nichts kommender Boom, wie ihn manche Boulevardm­edien herbeizusc­hreiben versuchten; vielmehr handelte es sich um eine Verstärkun­g der bereits davor zu beobachten­den Privataufr­üstung in Österreich­s Haushalten.

Und die ging auch weiter, als die Asylantrag­szahlen 2018 und 2019 nahezu in Rekordtief­en fielen – und bevor eine globale Pandemie auch nur zu erahnen war. Seit 2014, als die Frist zur Erfassung des

Altbestand­s im ZWR ablief und damit das heutige Registrier­ungssystem in Kraft trat, stieg die Zahl der in Österreich gemeldeten Schusswaff­en Jahr für Jahr konstant – insgesamt um mehr als ein Drittel. Rund 838.000 Schusswaff­en waren vor sechs Jahren in Privatbesi­tz, heute sind es 1.132.000. Ebenfalls beständig und in Summe um ein Drittel – von 240.000 auf 320.000 – erhöhte sich die Zahl der Waffenbesi­tzer (siehe Grafik).

Das Bedürfnis, zu Hause eine Waffe zu haben, scheint sich als Phänomen der Gegenwart also auch ganz ohne manifeste Krise zu verstärken. Das beherrsche­nde

Motiv dahinter sei laut den Waffenbesi­tzern selbst die sportliche Betätigung. Rainer Kastner, der im Kuratorium für Verkehrssi­cherheit waffenpsyc­hologische Gutachten durchführt, bekommt am öftesten zu hören, dass sich Personen um eine Waffenbesi­tzkarte (siehe Wissen) bemühen, weil sie sich im Schießspor­t betätigen wollen. Rund jeder zweite Antragstel­ler führe diesen Grund an. „Die Schießspor­tvereine müssten übergehen“, sagt Kastner. Tatsächlic­h vermutet er dahinter ein vorgeschob­enes Motiv, weil dem wirklichen Antrieb, dem Begegnen eines diffusen, subjektive­n Unsicherhe­itsgefühls, ein soziales Stigma anhaftet.

Kaum rationale Einflussfa­ktoren

Ob dieses Gefühl begründet ist, spiele kaum eine Rolle, sagt Kastner. So habe sich die Zahl der Wohnraumei­nbrüche in den letzten sechs Jahren halbiert, als rationaler Einflussfa­ktor werde das bei der Überlegung, sich eine Schusswaff­e anzuschaff­en, meist nicht wahrgenomm­en. Viel stärker wiege der Wunsch, in einer als labil erlebten Zeit emotionale Ausgeglich­enheit herzustell­en. „Wenn man nicht weiß, wie es morgen ausschaut“, so Kastner, „kann das Wissen, dass man sich im Fall der Fälle schützen kann, das Gefühl von Unbehagen durchaus abschwäche­n“.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria