Starke Zunahme privater Waffen wegen Corona-Krise
Fluchtbewegung 2015 und Pandemie befeuerten Trend zur Schusswaffe
Wien – Seit Beginn der Corona-Krise werden in Österreich Woche für Woche rund eintausend neue Schusswaffen angemeldet. Die Zahl der registrierten Waffenbesitzer stieg zwischen Anfang März und Anfang August dieses Jahres laut Daten des Innenministeriums um etwa 5000 Personen. Höhere Zunahmen waren seit der Neuregelung des Zentralen Waffenregisters im Jahr 2014 nur infolge der Asylkrise 2015 zu beobachten.
Sowohl Asyl- als auch CoronaKrise können als Verstärker eines generellen Trends zur Aufrüstung der Privathaushalte verstanden werden. Denn auch abseits akuter Krisensituationen wuchs die Zahl der Kurz- und Langfeuerwaffen in den vergangenen Jahren konstant an. Ihr Bestand im Waffenregister erreicht aktuell mehr als 1,13 Millionen Exemplare. Gegenüber 2014 entspricht das einem Anstieg um 295.000 Waffen oder mehr als 35 Prozent. Auch die Zahl der Waffenbesitzer erhöhte sich in diesem Zeitraum um ein knappes Drittel.
Während die meisten Neo-Waffenbesitzer den Schießsport als Kaufmotiv angeben, vermutet Rainer Kastner, waffenpsychologischer Gutachter des Kuratoriums für Verkehrssicherheit, hinter dem Phänomen das Bedürfnis, ein subjektives Unsicherheitsgefühl zu lindern, das unabhängig von tatsächlichen Gefahren entstehe. (red)
Nicht viele Wirtschaftszweige profitieren von der Corona-Pandemie: Scheidungsanwälte womöglich und die Hersteller von Schutzmasken und Desinfektionsmitteln. Definitiv gestärkt aus der Krise hervorgehen werden die Schusswaffenproduzenten. Denn die Registrierungen neuer Kurz- und Langfeuerwaffen haben in Österreich seit dem Frühjahr noch einmal kräftig angezogen. Um die Nachfrage zu bedienen, wird in den heimischen Waffenfabriken teils in Dreischichtmodellen rund um die Uhr produziert, während sich tausende Unternehmen anderer Branchen nach wie vor in Kurzarbeit befinden.
Tausende neue Waffenbesitzer
Um etwas mehr als 22.000 Exemplare erhöhte sich der Bestand an Schusswaffen in Österreich zwischen Anfang März und Anfang August; das sind ziemlich genau tausend pro Woche. Zum Vergleich: Der Pkw-Bestand ist in Österreich im selben Zeitraum um 23.300 Fahrzeuge und damit nur marginal stärker gewachsen. Die Zahl der neu im Zentralen Waffenregister (ZWR) eingetragenen Waffenbesitzer stieg währenddessen um etwa 5000 Personen.
Eine noch deutlichere Zunahme der Waffenverkäufe war im Nachgang der Flüchtlingskrise zu erkennen. Im letzten
Quartal 2015 und im ersten Quartal 2016 wurden pro Woche durchschnittlich 1400 neue Feuerwaffen registriert.
Es war allerdings schon damals kein aus dem Nichts kommender Boom, wie ihn manche Boulevardmedien herbeizuschreiben versuchten; vielmehr handelte es sich um eine Verstärkung der bereits davor zu beobachtenden Privataufrüstung in Österreichs Haushalten.
Und die ging auch weiter, als die Asylantragszahlen 2018 und 2019 nahezu in Rekordtiefen fielen – und bevor eine globale Pandemie auch nur zu erahnen war. Seit 2014, als die Frist zur Erfassung des
Altbestands im ZWR ablief und damit das heutige Registrierungssystem in Kraft trat, stieg die Zahl der in Österreich gemeldeten Schusswaffen Jahr für Jahr konstant – insgesamt um mehr als ein Drittel. Rund 838.000 Schusswaffen waren vor sechs Jahren in Privatbesitz, heute sind es 1.132.000. Ebenfalls beständig und in Summe um ein Drittel – von 240.000 auf 320.000 – erhöhte sich die Zahl der Waffenbesitzer (siehe Grafik).
Das Bedürfnis, zu Hause eine Waffe zu haben, scheint sich als Phänomen der Gegenwart also auch ganz ohne manifeste Krise zu verstärken. Das beherrschende
Motiv dahinter sei laut den Waffenbesitzern selbst die sportliche Betätigung. Rainer Kastner, der im Kuratorium für Verkehrssicherheit waffenpsychologische Gutachten durchführt, bekommt am öftesten zu hören, dass sich Personen um eine Waffenbesitzkarte (siehe Wissen) bemühen, weil sie sich im Schießsport betätigen wollen. Rund jeder zweite Antragsteller führe diesen Grund an. „Die Schießsportvereine müssten übergehen“, sagt Kastner. Tatsächlich vermutet er dahinter ein vorgeschobenes Motiv, weil dem wirklichen Antrieb, dem Begegnen eines diffusen, subjektiven Unsicherheitsgefühls, ein soziales Stigma anhaftet.
Kaum rationale Einflussfaktoren
Ob dieses Gefühl begründet ist, spiele kaum eine Rolle, sagt Kastner. So habe sich die Zahl der Wohnraumeinbrüche in den letzten sechs Jahren halbiert, als rationaler Einflussfaktor werde das bei der Überlegung, sich eine Schusswaffe anzuschaffen, meist nicht wahrgenommen. Viel stärker wiege der Wunsch, in einer als labil erlebten Zeit emotionale Ausgeglichenheit herzustellen. „Wenn man nicht weiß, wie es morgen ausschaut“, so Kastner, „kann das Wissen, dass man sich im Fall der Fälle schützen kann, das Gefühl von Unbehagen durchaus abschwächen“.