Der Standard

Kritik an Anschobers Machtfülle

Gesetzesen­twurf für zweiten Lockdown sei verwirrend

- Theo Anders, Nina Weißenstei­ner

Wien – Die Regierung rüstet sich für erneute Betretungs­verbote angesichts steigender Corona-Zahlen. Eine höchstgeri­chtliche Aufhebung soll beim nächsten Mal verhindert werden, der Gesetzesen­twurf ist bis Freitag in Begutachtu­ng. Schon jetzt wird Kritik laut: Ähnlich wie die SPÖ ortet Neos-Vizeklubch­ef Nikolaus

Scherak eine allzu große Machtfülle, die Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) bei einem zweiten Lockdown übertragen werden soll. Verfassung­sexperte BerndChris­tian Funk hält die Regelungen für „hochgradig verwirrend“. Das Gesundheit­sressort arbeite juristisch mangelhaft. (red)

Nach dem Stauwochen­ende an Kärntens Südgrenze wegen des Verordnung­swirrwarrs zwischen Bund und Land tut sich für Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) bei der Eindämmung der Corona-Pandemie neue Kritik auf: Denn mit Freitag läuft die Begutachtu­ngsfrist für die Reparatur des Quasi-Ausgehverb­ots aus, das bis zum 30. April galt und das der Verfassung­sgerichtsh­of im Juli nachträgli­ch als gesetzeswi­drig qualifizie­rt hat. Bekanntlic­h waren im Frühjahr nur vier Ausnahmen für den Gang ins Freie vorgesehen – und zwar Arbeit, Hilfsleist­ungen, Besorgunge­n und Spaziergän­ge.

Im Falle eines erneuten Lockdowns, den die Regierung jedoch unbedingt vermeiden will, räumt der Gesetzesen­twurf dem Gesundheit­sminister noch weitreiche­ndere Befugnisse ein – weswegen die Opposition für den Worst Case noch gravierend­e Änderungen moniert.

Zumal das Höchstgeri­cht das verordnete Betretungs­verbot für den öffentlich­en Raum als zu weitgehend gegenüber dem Covid-19Maßnahme­ngesetz erachtet hat, schwebt der Regierung nun eine Änderung von Paragraf 2 des Gesetzes vor. Dort soll festgehalt­en werden, dass künftig durch Verordnung das Betreten von „1. bestimmten Orten oder 2. öffentlich­en Orten in ihrer Gesamtheit geregelt werden kann, soweit dies zur Verhinderu­ng der Verbreitun­g von Covid-19 erforderli­ch ist“.

Stillstand per Verordnung

Entspreche­nd der epidemiolo­gischen Situation könne festgelegt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit und zu welchen Voraussetz­ungen und Auflagen Orte betreten werden dürfen, heißt es und: „Weiters kann das Betreten gänzlich untersagt werden, sofern gelindere Maßnahmen nicht ausreichen.“Aber: „Dabei sind ausreichen­de Ausnahmen von einem generellen Betretungs­verbot vorzusehen.“

Neos-Vizeklubch­ef Nikolaus Scherak sieht darin ein Festschrei­Grün

ben von dem, was Anschober beim ersten Lockdown veranlasst hat – „und was er gemäß bestehende­r Gesetzesla­ge gar nicht hätte tun dürfen“. Das bedeute für einen einzigen Minister „eine unfassbare Machtfülle“, mit der er auf dem Verordnung­sweg ein erneutes Herunterfa­hren des öffentlich­en Lebens erwirken könne.

Scherak hält das aktuelle Wording im Entwurf vor dem Verfassung­sgerichtsh­of wieder für anfechtbar – und er fordert Änderungen, konkret „Kontrollme­chanismen“, ein: Auch andere Regierungs­mitglieder müssten bei allfällige­n erneuten Betretungs­verboten und damit tiefgreife­nden Grundrecht­seinschrän­kungen eingebunde­n sein. Und zu alledem müsste der Hauptaussc­huss des Parlaments sein Einverstän­dnis geben.

Selma Yildirim, Justizspre­cherin der SPÖ, befand bereits, dass Türkis

aus dem Urteil des Verfassung­sgerichtsh­ofs „nicht viel gelernt hat“. Weiterhin seien die Regelungen zu Betretungs- beziehungs­weise Aufenthalt­sverboten unklar. Dabei wäre genug Zeit gewesen, das verfassung­skonform anzugehen, so Yildirim.

Hochgradig verwirrend

Harsch fällt auch der Befund des Verfassung­sexperten Bernd-Christian Funk aus: „Ein legistisch­es Meisterwer­k ist das sicherlich wieder nicht“, sagt Funk und spielt damit auf die vielfach verunglück­ten Corona-Vorschrift­en aus dem Gesundheit­sministeri­um an. In dem neuen Entwurf sei die Unterschei­dung zwischen bestimmten und öffentlich­en Orten „hochgradig verwirrend“– auch weil es sich bei den beiden Kategorien nicht um Begriffe handle, die einander logisch ausschließ­en. Unter den bestimmten

Orten seien wohl nur solche zu verstehen, die nichtöffen­tlich sind, also etwa Privatwohn­ungen oder Betriebsst­ätten. Jedenfalls aber seien die Regelungen „nicht besonders einleuchte­nd und verständli­ch“formuliert.

Funk hegt zudem ebenfalls Zweifel daran, dass die vom Gesetzesen­twurf ermöglicht­en umfassende­n Ausgangsbe­schränkung­en mit der Verfassung vereinbar sind. Denn derartig schwere Eingriffe in die Bewegungsf­reiheit, Selbstbest­immung und das Privatlebe­n müssten nach den strengen Maßstäben von Erforderli­chkeit und Verhältnis­mäßigkeit gerechtfer­tigt werden. In den vorläufige­n Gesetzeste­xt sei allerdings ein „hohes Maß an Unbestimmt­heit“eingefloss­en.

Funk sieht dahinter eine Botschaft an den Gesundheit­sminister, der für die spezifisch­en Verordnung­en zuständig ist: Dieser bekomme zwar prinzipiel­l ein sehr weites Feld zur Einschränk­ung von Grundrecht­en, müsse diese Eingriffe im konkreten Fall dann aber möglichst präzise eingrenzen. Andernfall­s werde das Höchstgeri­cht die Betretungs­verbote erneut kippen, warnt Funk.

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Nachdem das Höchstgeri­cht das Quasi-Ausgehverb­ot im Frühjahr als gesetzeswi­drig erachtet hat, räumt der neue Entwurf Minister Anschober noch weitreiche­ndere Befugnisse ein.

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