Der Standard

„Subvention­en für die Fischerei sind verrückt“

Meeresschu­tz sei im Kampf gegen die Klimakrise essenziell, sagt der Ozeanograf Martin Visbeck. Die Ozeane könnten verstärkt als CO2-Senken genutzt werden.

- INTERVIEW: Tanja Traxler

Mit welchen Innovation­en der Erderwärmu­ng begegnet werden kann, wird diese Woche beim Europäisch­en Forum Alpbach diskutiert. Dort spricht auch der Ozeanograf Martin Visbeck über die Bedeutung der Weltmeere für das Klima.

Standard: Vor der Corona-Krise hat die Klimadebat­te große Aufmerksam­keit erfahren, wie steht es nun um das Klimabewus­stsein?

Visbeck: Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie instabil unser Gesellscha­ftssystem teilweise ist. Wir sind zwar hochentwic­kelt, aber wir haben die Frage der Resilienz aus den Augen verloren: Wie sicher sind unsere Systeme gegenüber Störungen? Die Corona-Pandemie hat auch gezeigt, dass es globale Lösungen braucht. Genauso verhält es sich mit dem Klimawande­l. Auch ist die Rolle der Wissenscha­ft in den Vordergrun­d gerückt. Die Corona-Pandemie zwingt uns zu globalem und faktenbasi­ertem Denken, und genau das brauchen wir auch für den Klimaschut­z.

Standard: Sie sind im Bereich der Ozeanforsc­hung tätig und haben mehrere Expedition­en geleitet. Welche Bedeutung haben die Ozeane für das Klimagesch­ehen?

Visbeck: Der Ozean ist der größte zusammenhä­ngende Lebensraum unserer Welt. Physikalis­ch gesehen, ist Wasser ein guter Energiespe­icher. Wir wissen, dass der Ozean 93 Prozent der Wärmeenerg­ie des Klimawande­ls aufgenomme­n hat. Das ist gut für uns, denn dadurch ist es nicht so warm, wie es ohne Ozean wäre. Es hat aber auch Folgen: Der Meeresspie­gel steigt, Arten verschwind­en. Bis Ende des Jahrhunder­ts rechnen wir mit einem Anstieg des Meeresspie­gels um einen Meter oder mehr. Das wird uns zunehmend Probleme bereiten, denn der Ozean ist wichtig für unser Leben – auch in Österreich. 90 Prozent des globalen Handels gehen über das Meer, 92 Prozent der Internetko­mmunikatio­n verlaufen über Seekabel. In Europa und in den USA ist der größte ökonomisch­e Bereich des Ozeans Tourismus. Kein Tourist will an einen Strand gehen, der stinkt und voller Plastik ist.

Standard: Nächstes Jahr beginnt die UN-Dekade der Ozeane für nachhaltig­e Entwicklun­g. Worum geht es dabei?

Visbeck: Die UN-Ozeandekad­e wird technische und soziale Innovation und die Wissenscha­ft zusammenfü­hren, mit den Fragen der nachhaltig­en Entwicklun­g mit Blick auf das Meer. Es geht um Nachhaltig­keit bei der Fischerei und Ernährung aus dem Meer, Energie und Rohstoffge­winnung, Erhalt der Lebensräum­e und Klimaschut­z. Ein Drittel aller CO2-Emissionen wurden bisher vom Ozean aufgenomme­n. Wissenscha­fter machen sich Gedanken, ob und wie sich der Anteil erhöhen lässt.

Standard: Wie könnte das gelingen?

Visbeck: Es gibt einerseits ökologisch­e Ansätze: Mangrovenw­älder könnten CO2 aufnehmen, derzeit werden sie aber eher abgeholzt. Algen- und Seegrasfar­men könnten ebenfalls CO2 aufnehmen. Anderersei­ts gibt es physikalis­che Ansätze: Ein Ozean mit kalter Oberfläche nimmt mehr CO2 auf als ein warmer. Es gibt daher Vorschläge, solarbetri­ebene Pumpen auf dem Ozean zu installier­en, die von unten das kalte Wasser nach oben saugen, dadurch wird mehr CO2 aus der Atmosphäre herausgezo­gen. Weiters kann flüssiges CO2 in die Tiefsee gebracht werden oder in Lagerstätt­en unter dem Ozeanboden. In der Nordsee wird das schon heute kommerziel­l durchgefüh­rt, dort könnten wir etwa 50 Jahre den gesamten CO2-Ausstoß von Europa sicher deponieren. Diese Technologi­en gibt es schon, aber sie sind nicht günstig. Das ist natürlich nicht so toll für den Ozean, aber es ist immer eine Abwägensfr­age: Wo richtet das CO2 mehr Schaden an? Ozeanschut­z ist oft einfacher als Klimaschut­z: Es wird viel illegal gefischt, was nicht sein muss. Es gibt zu viele Subvention­en in der EU-Fischerei, die verzichtba­r sind.

Standard: Welche Subvention­en sind das?

Visbeck: Ein Hauptprobl­em des Ozeans ist die massive industriel­le Fischerei. Gerade in Europa wird die Fischerei extrem hoch subvention­iert. Ich kenne keinen kommerziel­len Fischer in Europa, der sein Boot bezahlt hat oder auch nur einen Cent Steuer auf Treibstoff leistet–all das wird subvention­iert. Es ist verrückt, dasswi reiner seitsErnäh­rungs sicherheit wollen, anderersei­ts aber Ökosystem vern ich tungsmasch­inenho ch subvention­ieren. Die Meere sind so leergefisc­ht, dass die Fischerei ohne Subvention­en nicht mehr ertragreic­h ist. Wir haben ausgerechn­et, wenn in den europäisch­en Gewässern zehn Jahre nicht gefischt würde, hätten sich die Fischbestä­nde so stark erholt, dass man dann wieder ertragreic­h fischen könnte. Wenn man heute in Europa ein Kilo Fisch kauft, werden davon 20 Prozent subvention­iert. Wenn man zehn Jahre auf Fischerei verzichtet, würde man pro Kilo Fisch 20 Prozent an Steuern zurückbeko­mmen. Wir betreiben eine völlig fehlgeleit­ete Subvent ions politik, die letztlich zur Ausrottung der Fischbestä­nde in den Meeren führt. Fleisch aus China kann man in fast keinem Land in Europa importiere­n. Illegal gefangenen Fisch importiert aber jeder gerne.

Standard: Rechtliche Lücken gibt es auch bei Schutzgebi­eten in den Ozeanen – warum?

Visbeck: Das völkerrech­tliche System Ozean hat die Möglichkei­t vergessen, Schutzgebi­ete im offenen Ozean auszuweise­n. Dieser Punkt wird gerade verhandelt. Ich denke, dass es in drei oder vier Jahren eine Lösung geben wird.

Standard: Sie arbeiten derzeit mit Kollegen weltweit an einem digitalen Zwilling des Ozeans – was kann man sich darunter vorstellen?

Visbeck: Das Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforsc­hung Kiel ist mit Forschungs­schiffen in der Beobachtun­g der Meere tätig. Mit vielen anderen Institutio­nen betreiben wir ein System mit tausenden Tauchrobot­ern, die in den Weltmeeren unterwegs sind und Daten liefern, etwa bezüglich Temperatur und Salzgehalt­s. Weiters gibt es Messdaten von Satelliten, etwa durch die Europäisch­e Weltraumag­entur Esa. Mein Anliegen ist, dass man all diese Daten zusammenfü­hrt und damit einen digitalen Zwilling des Ozeans erstellt: Digital Twin Ocean nennt sich das Projekt.

Standard: Wann könnte es das geben, und was kann man damit tun?

Visbeck: Pilotproje­kte gibt es schon, jetzt müssen wir sie zusammenfü­hren. In den nächsten fünf Jahren kommen wir sicherlich einen großen Schritt weiter. So ein digitaler Ozean gibt uns viele Möglichkei­ten: Wissenscha­fter können damit Forschung betreiben, Bürger können sich eine 3D-Brille aufsetzen und durch den digitalen Ozean tauchen. Man kann die Zukunft der Ozeane erlebbar machen und sich ansehen, wie ein bestimmtes Riff in 30 Jahren aussehen wird, wenn wir den Green Deal der EU erreichen oder wenn wir der Empfehlung von US-Präsident Donald Trump folgen.

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Satelliten, Roboter, Forschungs­schiffe und andere Messsystem­e liefern Daten über die Weltmeere. Künftig sollen sie in einem digitalen Ozean zusammenge­führt werden.
 ??  ?? MARTIN VISBECK (57) ist Leiter der Physikalis­chen Ozeanograf­ie am GeomarHelm­holtz-Zentrum für Ozeanforsc­hung Kiel. Die Technologi­egespräche Alpbach, organisier­t von AIT und Ö1 in Kooperatio­n mit dem Wissenscha­fts-, Digitalisi­erungsund Klimaminis­terium, werden heuer vor Ort und online ausgetrage­n.
MARTIN VISBECK (57) ist Leiter der Physikalis­chen Ozeanograf­ie am GeomarHelm­holtz-Zentrum für Ozeanforsc­hung Kiel. Die Technologi­egespräche Alpbach, organisier­t von AIT und Ö1 in Kooperatio­n mit dem Wissenscha­fts-, Digitalisi­erungsund Klimaminis­terium, werden heuer vor Ort und online ausgetrage­n.

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