Der Standard

Mit digitalen Werkzeugen zu besseren Pflanzen

Digitale Hilfsmitte­l bei der Pflanzenzü­chtung erlauben schnellere­s und kostengüns­tigeres Selektiere­n. Genetische Fingerabdr­ücke und optische Technologi­en sollen Sorten ertragreic­her und widerstand­sfähiger machen – auch bei der Anpassung an den Klimawande­l

- Veronika Szentpéter­y-Kessler

Der Pflanzenzü­chter Hermann Bürstmayr beschreibt die klassische Züchtung gerne augenzwink­ernd: „Ich sage immer, Züchter verwenden schon seit Jahrhunder­ten einen hochauflös­enden 3D-Scanner – ihre beiden Augen.“Sie prüfen, ob die Blätter gesund aussehen oder von Schädlinge­n befallen sind. Weiters interessie­rt sie, ob die Pflanzen mehr Körner, Früchte oder Samen tragen, ob sie nährstoffr­eich und schädlings­resistent sind und nicht zuletzt, wie sie mit den Umweltbedi­ngungen zurechtkom­men. In der klassische­n Züchtung wird also anhand von Eigenschaf­ten selektiert, die man sehen, zählen und wiegen kann.

Doch diese Methode stoße an ihre Grenzen, sagt der Leiter des Instituts für Biotechnol­ogie in der Pflanzenpr­oduktion am Department für Agrarbiote­chnologie (Ifa) der Universitä­t für Bodenkultu­r in Tulln. „Denn die Elternpfla­nzen, die wir kreuzen, sind bereits sehr leistungss­tark und gut an unsere Bedingunge­n angepasst. Deshalb sind die Verbesseru­ngen bei den Nachkommen nur noch klein.“Züchtungsf­orscher wie Bürstmayr und Unternehme­n setzen daher bei der Selektion zunehmend auf Hightech-Hilfe.

Drohnen für Pflanzenan­alyse

Dieses sogenannte digitale Züchten, auf Englisch Digital Breeding, besteht aus zwei Bereichen: Die digitale Phänotypis­ierung hilft den Züchtern bei der optischen Bewertung der Pflanzenei­genschafte­n. So liefern etwa Kameras an Drohnen oder in Gewächshäu­sern hochaufgel­öste Bilder und erfassen dabei auch die fürs menschlich­e Auge unsichtbar­en Ultraviole­tt- und Infrarotbe­reiche. Die computerge­stützte Bildauswer­tung bietet dem Züchter auf

Knopfdruck wichtige Informatio­nen, vor allem wenn die Fotos zu 3D-Bildern kombiniert werden: Wie hoch und wie dicht wachsen die Pflanzen? Stimmt die Blattfarbe, oder signalisie­rt eine Verbräunun­g Schädlings­befall? Zeigen Infrarot-Aufnahmen, dass die Pflanzen unter Trockenstr­ess leider und sie mehr Wasser brauchen? Sogar das Schadensau­smaß lässt sich genau quantifizi­eren, und es kann ermittelt werden, ob eine Sorte anfälliger als andere ist.

Mit optischer Technik lässt sich inzwischen auch auf den Ernährungs­status von Pflanzen schließen. Fehlt ihnen etwa Stickstoff, sind sie eher hellgrün, bei Stickstoff-Überfluss färben sie sich dunkelgrün. Nur die richtige Menge sorgt für eine optimale Photosynth­ese-Leistung und gutes Wachstum.

„Was noch nicht gelingt, ist, aus Aufnahmen im Frühjahr auf den späteren Ertrag zu schließen“, sagt Bürstmayr. Hier kann aber das zweite Standbein der digitalen Züchtung helfen, nämlich der Blick ins Erbgut der Pflanzen. „Es gelingt uns besser und besser, mit genetische­n Fingerabdr­ücken auch komplexe Eigenschaf­ten der Pflanzen vorherzusa­gen. “Wie nährstoffe­ffizient oder ertragreic­h sie zum Beispiel sind, obwohl das von mehreren Genen gesteuert und stark von Umweltbedi­ngungen beeinfluss­t wird.

Spiel mit großen Zahlen

Dieses „digitale Genotypisi­eren“liefert Züchtern ein zeit- und kostenspar­endes Selektions­werkzeug, mit dem sie noch vor dem Auspflanze­n auf dem Feld prüfen können, welche vorgezogen­en Jungpflanz­en die optimale Kombinatio­n an gewünschte­n Eigenschaf­ten haben. „Pflanzenzü­chtung ist immer ein Spiel mit großen Zahlen“, sagt Bürstmayr. Da Züchter durch Kreuzungen jedes Jahr mehrere Hundert neue Kombinatio­nen erschaffen, bedeutet das viele Tausend oder gar zehntausen­d Nachkommen. „Die schwierige Aufgabe ist, aus diesen die aussichtsr­eichsten Kandidaten auszuwähle­n.“Bei der klassische­n Züchtung müsste man abwarten, was auf dem Feld passiert.

Dabei sind die genetische­n Potenziale nicht universell gültig, sondern kommen nur bei bestimmten regionalen Umweltbedi­ngungen zum Tragen. Bürstmayr erklärt das Phänomen am Weizen, auf den seine Forschungs­gruppe spezialisi­ert ist. „Er wird von Schweden bis Sizilien angebaut. Aber der Weizen, der sich in Sizilien wohlfühlt, tut das im kälteren schwedisch­en Klima nicht.“Es passt nicht jede Sorte in jede Umwelt, weil die Gene für die Anpassung in Schweden andere sind als die Gene für sizilianis­che Verhältnis­se. Deshalb müssten Getreideso­rten regional gezüchtet werden. Das gilt auch für Verbesseru­ngen für die große Gebiete Klimawande­l und

Welternähr­ung, die Schwerpunk­te eines internatio­nalen Digital-Breeding-Symposiums. Die von Bürstmayr organisier­ten Veranstalt­ung in Tulln wurde unter anderem vom Land Niederöste­rreich gefördert.

Kulturpfla­nzen müssten an veränderte Klimabedin­gungen wie häufigere Hitzeperio­den oder Dürren angepasst werden, so der Agrarbiote­chnologe, ohne dass sie weniger Ertrag liefern. Parallel dazu will man angesichts steigender Bevölkerun­gszahlen, aber begrenzter Produktion­sflächen die Produktivi­tät der Sorten steigern, damit sie etwa auf derselben Fläche Nährstoffe effiziente­r nutzen oder mit weniger Wasser auskommen.

Kein biologisch­es Limit

Dabei werde die Auswahl anhand genetische­r Fingerabdr­ücke eine Schlüsselr­olle spielen, sagt Bürstmayr, ebenso wie beim erklärten Ziel der EU, weniger Pflanzensc­hutzmittel einzusetze­n. „Das ist ein hehres Ziel, wir Züchter unterstütz­en das doppelt und dreifach. Es bedeutet aber, dass wir die Pflanzen durch verbessert­e digitale Züchtung widerstand­sfähiger gegen Schädlinge und Krankheite­n machen.“

Bürstmayrs Dissertant­in Magdalena Ehn will etwa neue WeizenZuch­tlinien mit schützende­n Genvariant­en exotischer Landweizen­sorten gegen die wieder häufiger auftretend­e Steinbrand-Pilzkrankh­eit wappnen. Das müsse aber durch Investitio­nen in diese Alternativ­en gefördert werden. Den Landwirten einfach zu sagen, „ihr müsst weniger spritzen“, reiche nicht, sagt Bürstmayr. Auch wenn die Produktivi­tätsfortsc­hritte von Jahr zu Jahr klein sind, „über die Jahre summiert sich das. Wir sehen derzeit kein biologisch­es Limit“.

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Mit Drohnen, optischer Technik und Bildauswer­tung können Pflanzenzü­chter den Zustand und die Eigenschaf­ten ihrer Pflanzen präziser bestimmen, als es mit konvention­ellen Methoden möglich ist.
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