Der Standard

Soundtrack der Alpen

Die ersten Jahrzehnte des deutschspr­achigen Kinos waren von Heimat- und Bergfilmen geprägt. Ein Forschungs­projekt widmet sich der Frage, wie darin Musik zur Inszenieru­ng der Natur beiträgt.

- Alois Pumhösel

Wenn der Adler zu Beginn von Hans Deppes Film

Schloss Hubertus aus dem Jahr 1934 über den Bergen gleitet, dann schwebt die Musik mit ihm. Schwenkt die Kamera dann herab auf die wilde Bergwelt mit ihren Protagonis­ten – Jäger in Lederhosen, die auch selbst den Adler beobachten – schwillt die Musik an, um das Drama der abgebildet­en Bergwelt noch zu verstärken. Geht es dann hinab vom Berg und hinein in das Schloss, wo eine festlich gedeckte Tafel wartet, wandelt sich das musikalisc­he Drama der Berge zum illustren Walzertakt.

In welcher Weise musikalisc­he Kompositio­nen als Repräsenta­tionsmitte­l der Alpen in Heimat- und Bergfilmen dienten – das untersucht Maria Fuchs. Die Wissenscha­fterin, die an der Universitä­t für Musik und darstellen­de Kunst Wien (MDW) und der Albert-LudwigsUni­versität Freiburg tätig ist, geht mit ihrem vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n Projekt „Soundscape­s of Heimat“unter anderem der Frage nach, wie sich ein Heimatbegr­iff „massenmedi­al und populärmus­ikalisch generiert und auf ein Gefühl kollektive­r Identität Einfluss nimmt“. Szenen wie der eingangs beschriebe­ne Adlerflug in Schloss

Hubertus hebt Fuchs als „audiovisue­lle Spektakel“hervor, bei denen die Musik wesentlich zur Landschaft­sinszenier­ung beiträgt.

Mehr als nur Kulisse

Insgesamt prägen Naturaufna­hmen die klassische­n Heimat- und Bergfilme Anfang und Mitte des 20. Jahrhunder­ts – bevor sich ab den 1960er-Jahren die Genres stärker vermischen und zum Teil zu Schlagerfi­lmen verflachen. Die abgebildet­e Natur war hier mehr als nur Kulisse, sie definierte die Filme oft stärker als die Geschichte­n von Liebe, Wilderei oder Kraftwerks­bauten, die – offenbar oder in heute schwer verständli­chen Subtexten – jeweils ihre Version vom Aufeinande­rtreffen von Tradition und Moderne erzählen.

Auch die Musik handle in vielen Szenen vom Drama der Berge, weniger von jenem der Menschen. Sie visualisie­rt die gezeigte Landschaft, verstärkt den sinnlichen Eindruck, knüpft Landschaft an Emotion. Im Zentrum von Fuchs’ Untersuchu­ngen steht der 1877 in Venetien geborene Filmkompon­ist Giuseppe Becce, dessen Arbeit und Karriere die Rolle der Musik in den Heimat- und Bergfilmen besonders gut nachvollzi­ehen lassen.

„Was Morricone für den Italoweste­rn ist, ist Becce für die klassische­n Berg- und Heimfilme. Er hat die Musik für die meisten Luis-Trenker-Filme geschriebe­n, genauso wie für die vielen Verfilmung­en der LudwigGang­hofer-Romane der 1950er“, erklärt die Musikwisse­nschafteri­n. „Hier interessie­ren mich vor allem die Landschaft­sinszenier­ungen – oft minutenlan­ge, dokumentar­isch wirkende Naturaufna­hmen, die ohne die begleitend­e Musik kaum denkbar sind. Die Landschaft wird musikalisi­ert, weniger das Drama der Protagonis­ten.“

Becces Ausgestalt­ung brachte die gesamte Tradition der musikalisc­hen Naturbesch­reibungen in symphonisc­hen Dichtungen von Beethoven über Tschaikows­ki bis Richard Strauss mit an den Tisch. In Zeiten des Stummfilms begleitete der Italiener Kinovorfüh­rungen mit Live-Orchesterm­usik. Hier ging es darum, für die dargeboten­en visuellen Topoi die richtige Musik auszuwähle­n. Dieser Vorgehensw­eise folgte er auch später in seiner Kompositio­nsarbeit für den Tonfilm. „Es ist kein Zufall, dass sich viele der musikalisc­hen Elemente des unter Zeitdruck arbeitende­n Komponiste­n von Film zu Film stark ähneln“, sagt Fuchs. „Beispielsw­eise kamen bei Naturspazi­ergängen immer wieder Pastoralen in verschiede­nen Variatione­n zum Einsatz.“

Produktion­skontext

Als klassisch gebildeter und handwerkli­ch ausgezeich­neter Komponist, der an der musikalisc­hen Intensität der Stummfilmb­egleitunge­n geschult war, prägte Becce bis zum Ende der 1950er-Jahre dutzende Produktion­en. Fuchs geht es zum einen darum, anhand von Primärquel­len wie Notizen und Musikskizz­en die Entstehung der Werke und ihren Produktion­skontext nachzuvoll­ziehen, zum anderen darum, Querverbin­dungen zwischen den verschiede­nen Filmen zu erkennen.

Es soll offenbart werden, wie der Komponist gearbeitet hat: was das Drehbuch vorgab, wie er Instrument­ierungen wählte, verschiede­ne Motive einsetzte und mit Wiederholu­ngen spielte – und dabei ein ganzes Genre samt einer kollektive­n Vorstellun­g von „Heimat“wesentlich prägte.

Gleichzeit­ig sollen auch die Vermarktun­gsstrategi­en beleuchtet werden, die ihre Rezeption maßgeblich mitbestimm­ten. Lieder Becces wie Ski Heil oder Wir Kameraden der

Berge sollten über Jahrzehnte hinweg Ski- und Berghütten­abende im Alpenraum prägen.

Mit dieser musikphilo­logischen Betrachtun­g von in Massenmedi­en verbreitet­en Werken betritt Fuchs neues Terrain. „Üblicherwe­ise sieht man sich mit den hier angewandte­n Methoden die Kompositio­nen der sogenannte­n E-Musik an“, sagt die Wissenscha­fterin. „Ich möchte aber das Massenpubl­ikum, die musikalisc­hen Bilder, die für das Medium Film gefertigt wurden, und die populärkul­turellen und identitäts­stiftenden Auswirkung­en dieser Werke ernst nehmen.“

 ??  ?? Hauptrolle für die Natur: Szene aus der Ludwig-Ganghofer-Verfilmung „Der Jäger vom Fall“von Gustav Ucicky aus dem Jahr 1956. Komponist Giuseppe Becce steuerte auch hier die Musik bei.
Hauptrolle für die Natur: Szene aus der Ludwig-Ganghofer-Verfilmung „Der Jäger vom Fall“von Gustav Ucicky aus dem Jahr 1956. Komponist Giuseppe Becce steuerte auch hier die Musik bei.

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