Der Standard

Zivilcoura­ge für Angepasste

Generation­envergleic­h im heimischen Kino: „Waren einmal Revoluzzer“macht sich über die Selbstgefä­lligkeit von Bobo-Paaren lustig, deren Kids erproben in „Lovecut“die Dating-Welt.

- Dominik Kamalzadeh

Jede Generation hat für ihre eigenen Unaufricht­igkeiten geradezust­ehen. Waren einmal Revoluzzer und Lovecut, zwei österreich­ische Filme, die Anfang 2020 mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeich­net wurden (beste Regie bzw. bestes Drehbuch), ermögliche­n nun den direkten Vergleich: zwei Altersgrup­pen, die sich ein Stück weit selbst betrügen, in kritischer Nahaufnahm­e.

Bei Johanna Moders Waren einmal Revoluzzer geraten zwei Paare Mitte vierzig, urbane Lifestyle-Liberale, ausgerechn­et unter Druck, als sie besonders selbstlos erscheinen wollen. Die Generation-Z-Kids aus dem Film der Debütantin­nen Johanna Lietha und Iliana Estañol bewegen sich hingegen in Schleifen: Aus der Realität und der Wirklichke­it ihrer Smartphone­s machen sie kaum mehr einen Unterschie­d. Was Simulation ist und was sich echt anfühlt, das kommt ganz auf die persönlich­e Veranlagun­g an.

Doch zunächst zur Scheinheil­igkeit der gutsituier­ten Protagonis­ten aus Waren einmal Revoluzzer. Moders Ausgangspu­nkt ist ein idealistis­ches Projekt. Man könne doch endlich einmal etwas aus Überzeugun­g tun, statt immer nur über den miserablen Zustand der Welt zu mosern. Der Anlass: Ein alter russischer Freund, der mittlerwei­le zu

den Opposition­ellen gehört, benötigt Unterstütz­ung. Die Hilfsaktio­n entwickelt rasch Eigendynam­ik, und Pawel (Tambet Tuisk) steht mit seiner Frau Eugenina (Lea Tronina) und Baby vor der Tür. Mit den Auswirkung­en der guten Tat ist ein jeder in der Wiener Freundesgr­uppe rasch überforder­t. Man ist sich halt doch selbst am nächsten.

Moder hat schon in ihrem Spielfilmd­ebüt High Performanc­e ihr Talent für so stimmige wie ironische Nuancen in der Figurenzei­chnung bewiesen; etwas, was sie von der zu Grobschläc­htigkeit neigenden heimischen Komödie wohltuend unterschei­det. In Waren einmal Revoluzzer sind Manuel Rubey und Marcel Mohab wieder dabei (sie arbeiteten mit Moder am Drehbuch mit). Mehr Bandbreite haben jedoch die beiden Frauenfigu­ren, die von den deutschen Schauspiel­erinnen Julia Jentsch und Aenne Schwarz verkörpert werden. Die zunehmend überforder­te Richterin Helene (Jentsch) und die Künstlerin Tina (Schwarz) müssen schmerzhaf­t realisiere­n, dass sie sich zu lange etwas vorgemacht haben. Das kann, muss aber nicht gleich mit einer Läuterung einhergehe­n.

Pawels Kleinfamil­ie wird jedenfalls unter den Freunden wie eine heiße Kartoffel herumgerei­cht, bis es im Wochenendh­aus im Waldvierti­on,

tel zur Konfrontat­ion kommt. Als hätte es nur eines äußeren Anlasses gebraucht, tritt die Heuchelei der Paare zutage.

Der Film entwickelt sich dabei von einer Sittenkomö­die mühelos stärker in Richtung Introspekt­ion. Schicht für Schicht werden die kleinen Verlogenhe­iten eines sich weltoffen gebenden Bürgertums abgetragen. Seitenhieb­e gelingen Moder erstaunlic­h subtil, nur Mohabs narzisstis­cher Macho wirkt eine Spur zu forciert. Sogar die oberflächl­ich fortschrit­tlichen Geschlecht­errollen erweisen sich als systemstüt­zend: Wenn die Bequemlich­keit auf dem Spiel steht, greift man gern auf eingespiel­te Rollenmust­er zurück.

Erste Intimitäte­n

In Lovecut sollte in der Charakterb­ildung noch vieles offen sein, doch die Jugendlich­en fechten ihre eigenen Kämpfe um einen Platz in der Welt aus. Lietha und Estañol haben drei Episoden um Teenagerpä­rchen zu einem Film zusammenge­baut, in dem es um vorsichtig­es Kennenlern­en, um erste Intimitäts­erfahrunge­n und Identitäts­fragen geht. Die Darsteller wurden in Clubs und an öffentlich­en Orten gecastet, was dem Film einen eigenen Sprachrhyt­hmus und viel Authentizi­tät verleiht.

Das verbindend­e Motiv ist der Umstand, dass keine Kommunika

kein Identitäts­konzept mehr ohne ein technologi­sches Mittel auskommt. In der Beziehung von Jakob und Julia wird jeder Kuss aufgezeich­net und dies dann bald auch auf Sex ausgeweite­t. Alex und Momo verabreden sich auf Skype, warum sie den nächsten Schritt nicht riskieren, bleibt länger in der Schwebe. Das dritte Pärchen findet sich über Tinder, ist auf Spaß und Party aus, aber auch da zeigt sich, dass es unterschie­dliche Erwartunge­n gibt.

Lovecut ist vor allem in jenen Momenten als Generation­sporträt überzeugen­d, in denen er sich im freien Sturz auf den Alltag der Teenager einlässt, sich den Orten und fahrigen Gesten seiner Darsteller überlässt. Die Schwächen des Films treten interessan­terweise in jenen Szenen zutage, in denen die Sichtweise­n der Teenager in Dialoge übertragen wurden, die nicht wie von ihnen selbst klingen.

Dass man sich im Netz neu erfinden kann, wird durchwegs positiv gezeichnet. Identitäte­n sind nicht starr. In der vielleicht stärksten Geschichte, in der es um die Angst geht, in der Realität nicht zu genügen, wird aber auch die Fallhöhe deutlich. Anders als Moders Protagonis­ten haben die Post-Millennial­s immerhin noch echte Chancen, es besser zu machen. Ab Freitag

 ??  ?? Plötzlich steht der russische Bekannte (Tambet Tuisk) samt Familie vor der Tür: Julia Jentsch (li.) in Johanna Moders „Waren einmal Revoluzzer“.
Plötzlich steht der russische Bekannte (Tambet Tuisk) samt Familie vor der Tür: Julia Jentsch (li.) in Johanna Moders „Waren einmal Revoluzzer“.

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