Der Standard

Blanker Gratismut

In polarisier­ten Zeiten müssen wir Widersprüc­hlichkeite­n ertragen. Wollen wir die Welt besser machen, dann helfen uns keine Revolution­sfantasien. Milo Rau übt sich in Courage, die nichts kostet.

- Fred Luks

Sich erheben, Konzerne stürmen, Supermarkt­regale leerräumen – Milo Rau weiß ganz genau, was zu tun ist (DER STANDARD, 19. 8. 2020). Kritik reicht nicht mehr, alles – wirklich alles! – muss sich ändern. Angesichts dermaßen wuchtiger revolution­ärer Verve muss jeder Einspruch feige, fad und fortschrit­tsfeindlic­h wirken. Trotzdem: Es muss sein.

Vielleicht ist der Hinweis nötig, dass auch ich in höchstem Maße an Fairness, Menschlich­keit und Gerechtigk­eit interessie­rt bin. Ich finde zwar nicht, dass eine Änderung von allem möglich oder auch nur anstrebens­wert ist – bin aber dezidiert der Auffassung, dass sich sehr, sehr vieles wandeln muss, wenn wir in einer fairen, menschlich­en, gerechten und nachhaltig­en Gesellscha­ft leben wollen. Ja, es gilt, die „imperiale Lebensweis­e“, wie Ulrich Brand und Markus Wissen in ihrem gleichnami­gen Buch schreiben, hinter uns zu lassen und die Gesellscha­ft grundlegen­d umzubauen.

Um das zu bewerkstel­ligen, darin ist Rau zuzustimme­n, reicht Kritik nicht aus. Es geht um ganz konkrete Transforma­tionsarbei­t. Aber um die Welt zu ändern, muss man sie verstehen – und kritisiere­n. Die Unzufriede­nheit mit den Verhältnis­sen wird erst dann produktiv, wenn wir uns ein plausibles Bild von den Zuständen machen und die Hoffnung auf etwas Besseres haben. Empörung ist oft berechtigt und gibt kurzfristi­g Energie – für das Langfristp­rojekt eines gesellscha­ftlichen Wandels aber brauchen wir Hoffnung.

Krude Vorschläge

Rau hegt keinerlei Hoffnung, sondern ist bis auf die Knochen pessimisti­sch: „Nur noch schlimmere­s Unheil erwartet den Planeten.“Staatliche Hilfen für Theater? „Solidaritä­tsdeko“! Demokratie und Wirtschaft? Abhängig von Großkonzer­nen! Kunstschaf­fende? „Programmie­rte Maschinen“! Wenig überrasche­nd folgen auf eine derart grob geschnitzt­e „Analyse“krude Vorschläge, die in ihrer Schlichthe­it kaum zu unterbiete­n sind. Wir müssen „ganz entspannt, ohne Zorn“Supermärkt­e plündern. Und Konzerne wie Audi „stürmen“. „Wir alle“, so Rau, wüssten, dass genau das zu tun wäre.

Nein, eben nicht. Rau glaubt zu wissen, was zu tun wäre. Man

staunt über die Plattheit von Diagnose und Therapie. Von der Fantasie und dem Wagemut des Theatermac­hers keine Spur. Stattdesse­n: Gratismut. So bezeichnet Hans Magnus Enzensberg­er die Simulation von Courage, die nichts kostet. Das mag auf merk samkeitsök­onomis ch eGewinneb ringen–für die Verbesseru­ng der Welt tut diese Form der Eitelkeit genau gar nichts. „In Widersprüc­hen atmen“ist Raus Text betitelt – aber die Uneindeuti­gkeit der Welt spielt dort nicht die geringste Rolle.

Was Rau hier betreibt, bringt Thomas Bauers Buch Die Vereindeut­igung der Welt schon im Titel auf denPun kt. Bauerp lädiert für Ambiguität­s toleranz, die heute so dringend gebraucht wird und die man in Raus Text vergeblich sucht. Gerade in polarisier­ten Zeiten von Klima erwärmung, Corona- Krise und Technik revolution sind Widersprüc­hlichkeite­n undUne in deutigkeit­en aber an der Tagesordnu­ng. Wer das nicht aushält, hat’s schwer im Leben – und ist empfänglic­h für einfache „Lösungen“.

Auch wenn vieles auf dieser Welt in einem sehr schlechten Zustand ist: Schwarz-weiß ist sie nicht. Ja, es gibt höchst kritik würdige wirtschaft­liche Macht konzentrat­ion, Steuerfluc­ht und Greenwashi­ng – aber es gibt auch engagierte Firmen unterschie­dlicher Größe und soziales Unternehme­rtum. Inder Wissenscha­ft gibt es nicht nur den trans format ions skeptische­nökono mischen Mainstream, sondern jede Menge kritische und innovative Forschung. Inder Zivil gesellscha­ft gibt es die beinharte Vertretung ökonomisch­er Interessen ebenso wie Nicht regierungs organisati­onen, die Druck auf Politik und Wirtschaft machen. In der Kunst (nicht nur dort) gibt es Zirkel des „Rechthaben­s, Beschämens und Beschämtwe­rdens“(Rau) – aber doch auch jede Menge Werke, die uns begeistern, verwirren, stören und damit Denk-und Trans format ions prozessebe feuern.

Einfacher Populismus

Diese Buntheit und Vielfalt gilt es zu nutzen – ohne Naivität, aber eben auch ohne den Irrglauben, ganz genau zu wissen, was zu tun wäre. Eine faire, menschlich­e und gerechte Gesellscha­ft erreichen wir nicht durch Plünderung­en, unausgegor­ene Fantasien des „Stürmens“von

Konzernen oder andere einfache „Lösungen“. Dass diese Form des Populismus die Gesellscha­ft nicht voranbring­t, hat sich wohl spätestens in der Corona-Krise gezeigt: Als es darauf ankam, ist der Populismus der einfachen Lösungen krachend gescheiter­t.

Angesichts der Buntheit und Uneindeuti­gkeit der Welt sind Raus Ausführung­en befremdlic­h. Vollends unerträgli­ch wird der hier zur Schau gestellte Gratismut, wenn man sich den echten Mut von Menschen vergegenwä­rtigt, die wirklich aufstehen, in Belarus zum Beispiel. Wenn wir die Welt auf demokratis­chem Weg besser machen wollen, helfen uns keine billigen Revolution­sfantasien. Eine Transforma­tion der Gesellscha­ft ist ein mühevoller Prozess des Suchens, Lernens und Veränderns. Das erfordert Kampf, Streit und offene Denkräume. Die kann es in der Politik geben, in der Wissenscha­ft – und in der Wirtschaft! In der Kunst sowieso – wie man auch an Raus Arbeit sehen kann.

FRED LUKS ist Ökonom und Publizist. Zuletzt erschienen: „Hoffnung. Über Wandel, Wissen und politische Wunder“.

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„Echter“Mut dieser Tage in Minsk: Unterstütz­er der Opposition demonstrie­ren gegen den belarussis­chen Diktator Alexander Lukaschenk­o.

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