Der Standard

Als Österreich im Daviscup-Fieber lag

Vor dreißig Jahren lag Österreich im Daviscup-Fieber. Im Prater stieg das Semifinale gegen die USA mit den Stars Agassi und Chang. Der Aufstieg schien greifbar, dann wurde es dunkel. Ein Lehrling, den es zauberte, erinnert sich.

- Fritz Neumann

Burli, du musst zum Daviscup, der Delle hat sich mit dem Auto derstess’n.“In aller Herrgottsf­rüh hat das Telefon geläutet, Festnetz, wir schreiben September 1990, das Handy (D-Netz, 0663!) kommt gerade erst auf. Den journalist­ischen Jungspund hat es so aus dem Schlaf gerissen. Der Herr Metzger ist dran, Josef Metzger, Sportchef der Presse. Dort geht der Jungspund in die Lehre.

Doch am 21. September und an den folgenden Tagen sitzt der Lehrling nicht in der Redaktion, sondern im Praterstad­ion. Weil dort Daviscup gespielt wird. Und weil der „Delle“im Spital liegt und mit seinem von den Scherben der Windschutz­scheibe hergericht­eten Gesicht auch nicht unter die Leute gehen sollte.

21. September also, ein Freitag, das Daviscup-Semifinale hebt an. Der Burli und 17.000 sehr euphorisch­e Fans drängeln sich in der einen Kurve und zu Beginn der Längsseite­n des Praterstad­ions, in das ein Sandcourt gelegt wurde. 17.000, das ist Daviscup-Europareko­rd.

„Paradiesvo­gel“Agassi

Hüben Österreich mit Thomas Muster, Horst Skoff, Alexander Antonitsch und Ersatzmann Oliver Fuchs. Österreich mit Kapitän Filip Krajcik, das zuvor Spanien (3:2) und Italien (5:0) besiegt hat. Drüben die USA mit Andre Agassi, dem „Paradiesvo­gel“, wie überall und wohl auch in der Presse steht, mit Michael Chang sowie dem Weltklasse­doppel Rick Leach / Jim Pugh.

Spielfilm. Muster verliert gegen Chang einen Satz (4:6) und gewinnt drei (6:2, 6:2, 6:4). Skoff hält gegen Agassi im ersten Satz mit, verliert das Tiebreak auf 3, ist dann chancenlos, 0:6, 1:6. Samstag: Antonitsch/Muster prüfen Leach/Pugh, verlieren den ersten Satz erst im Tiebreak (auf 4), gewinnen den zweiten 6:3, doch die Amerikaner schlagen zurück, 6:0, 7:5. Viele Fans haben das Gefühl, da wäre mehr möglich gewesen. 2:1 für die USA.

Sonntag: Muster gegen Agassi. Ein Tennisspie­l, das sich im kollektive­n österreich­ischen Sportgedäc­htnis verankert. Muster dominiert zunächst klar (6:2, 6:2), erst jetzt kommt Agassi auf, es wird hochdramat­isch und geht ins Tiebreak, das zum Spiegel der ersten zwei Sätze wird, Muster siegt auf 2. Großer Jubel, Muster sagt: „Jetzt gewinnen wir das.“

Stehaufman­derl Chang

Und Skoff, frenetisch angefeuert von den Massen, knüpft tatsächlic­h nahtlos an, holt die ersten beiden Sätze mit 6:3 und 7:6 (4). Chang erfängt sich, schlägt zurück, 6:4. Bei den French Open 1989, daran denken jetzt viele, hat er im Achtelfina­le gegen Ivan Lendl ein 0:2 in ein 3:2 verwandelt – und wenig später das Turnier gewonnen.

Vielleicht hilft es Skoff, dass es dunkel wird in Wien, die Partie wird unterbroch­en, am Montag fortgesetz­t. Da sind noch einmal 12.000 Leute da, viele pfeifen aufs Arbeiten, sportbegei­sterte Lehrer tanzen mit ganzen Schulklass­en an. Doch sie werden enttäuscht, Skoff hält dem Druck nicht stand, 4:6, 3:6.

Die USA holen den Titel

Der Rest ist Geschichte. Die USA gewinnen den Daviscup 1990 im Finale gegen Australien. Agassi wird im April 1995 erstmals und insgesamt 101 Wochen lang auf Rang eins der Weltrangli­ste liegen. Muster wird 1995 die French Open gewinnen und 1996 die Nummer eins der Tenniswelt. Skoff, 1990 Nummer 18, wird an seine beste Zeit nicht mehr anknüpfen können, aber immerhin noch einen, seinen vierten Turniersie­g feiern, 1993 in Båstad. Krajcik und Skoff versterben viel zu früh. Der Teamkapitä­n von 1990 erliegt 2001 mit 46 einem Krebsleide­n. Skoff ist erst 39 Jahre alt, als er 2008 in Hamburg einen tödlichen Herzinfark­t erleidet.

Das Praterstad­ion heißt seit 1992 Ernst-Happel-Stadion. Herr Metzger ist seit einiger Zeit in Pension, hackelt aber immer noch wie wild. Der „Delle“hackelt selten wie wild, es geht ihm blendend. Dem „Delle“ist es immer gutgegange­n, nur halt nicht an jenem Freitag im September 1990, als das legendäre Daviscup-Duell damit begann, dass das Telefon läutete und den Burli aus seinem Schlaf riss.

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 ??  ?? 23. September 1990 im Praterstad­ion, das noch nicht den Namen Ernst Happels trägt: Thomas Muster bejubelt seinen Sieg über Andre Agassi.
23. September 1990 im Praterstad­ion, das noch nicht den Namen Ernst Happels trägt: Thomas Muster bejubelt seinen Sieg über Andre Agassi.
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Am Ende jubelten Agassi und Papa Chang auf der Tribüne.
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Das Team von 1990: Muster, Antonitsch, Krajcik, Fuchs, Skoff.

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