Der Standard

Gurgeltest­s sollen binnen 24 Stunden Ergebnis bringen

Mobile Teams fahren Wiener Schulen an Konflikt über Sperrstund­e um 22 Uhr

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Wien – Die Stadt Wien ändert ihre Teststrate­gie für Schulen. Es wurde eine neue Hotline nur für Bildungsei­nrichtunge­n gestartet. Gibt es einen Verdachtsf­all, ruft die Schulleitu­ng an, und ein mobiles Team rückt aus, das bei Schülern und Lehrern Gurgeltest­s durchführt. So soll es möglich sein, rund 300 Personen täglich zu testen. Die Ergebnisse würden dann spätestens binnen 24 Stunden vorliegen, erklärten Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) und Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ) am Dienstag.

Um das System in ganz Österreich auszurolle­n, fehle ihm die Kompetenz, sagt der Bildungsmi­nister. Er sei deshalb auf ein Mitwirken der Länder angewiesen. Wie ein STANDARD-Rundruf zeigt, besteht aber durchaus auch in anderen Bundesländ­ern Interesse. Der Tiroler Bildungsdi­rektor Paul Gappmaier wie auch der Salzburger Gesundheit­slandesrat Christian Stöckl (ÖVP) wollen das Konzept prüfen, wobei es Bedenken für den ländlichen Raum gibt. In Oberösterr­eich wollen 42 Schulen an der Maßnahme teilnehmen.

Angesichts der neuen Corona-Gesetze, mit denen sich Türkis-Grün unter anderem für einen erneuten Lockdown rüsten will, kündigte die FPÖ für die Nationalra­tssitzung am Mittwoch einen Misstrauen­santrag gegen die gesamte Regierung an. Auch die Neos bleiben bei ihrem strikten Nein zu den weitreiche­nden Grundrecht­seingriffe­n. Die SPÖ gab sich hingegen mit den von ihr urgierten Änderungen zufrieden.

Kurz für früheres Zusperren

Die Ankündigun­g der ÖVP-geführten Bundesländ­er Salzburg, Tirol und Vorarlberg, die Sperrstund­e auf 22 Uhr vorzuverle­gen, sorgt unterdesse­n für Kritik aus Wien. Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ) sagte, man könne „nicht täglich neue Maßnahmen setzen, die die Irritation in der Bevölkerun­g verstärken“. Außerdem befürchte er, dass Partys dann illegal stattfände­n. Er stimme sich mit der Landeshaup­tfrau von Niederöste­rreich, Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), ab und wolle ein gemeinsame­s Vorgehen. Auch aus Oberösterr­eich, der Steiermark und Kärnten kam eine Absage für die Vorverlegu­ng der Sperrstund­e auf 22 Uhr.

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) appelliert­e hingegen, es den westlichen Bundesländ­ern gleichzutu­n. Sein Argument: „Es geht uns darum, Arbeitsplä­tze zu retten.“

Kritik gibt es weiterhin von einigen Allgemeinm­edizinern zu dem Vorstoß, Corona-Tests in ihren Praxen durchzufüh­ren. Sie pochen auf Wahlfreihe­it.

In Wien sollen Schüler im Verdachtsf­all nun binnen 24 Stunden auf Corona getestet werden. Auch andere Bundesländ­er sind am Modell interessie­rt. Aktuelle Berichte aus Schulen zeugen von Chaos.

DSebastian Fellner, Gerald John, Katharina Mittelstae­dt, Markus Rohrhofer, Stefanie Ruep

ie Kindernase rinnt bereits am frühen Morgen. Vergangene­n Herbst hätten selbst fürsorglic­he Eltern das mit einem lapidaren „Wird schon wieder“abgetan und die Jausenbox in der Schultasch­e verstaut. Heute sorgt die Szene in vielen Haushalten für Schweißaus­brüche. Verwehrt die Schule den Eintritt? Sind die Pflegeurla­ubstage bereits verbraucht? Wer übernimmt die Betreuung?

Die Schule ist in diesen viralen Tagen zum Unsicherhe­itsfaktor für viele geworden. Berichte zeugen von vielerlei Maß an den Standorten: In der einen Schule gilt ein Schnupfen nicht als Grund für einen Aufnahmest­opp, in der anderen ein paar Straßen weiter sehr wohl – und für besonders strenge Direktoren reichen schon 37 Grad Körpertemp­eratur für ein abruptes Ende eines Schultages. Eltern berichten von unerträgli­chen Situatione­n in völlig überfüllte­n Schulbusse­n. Für die anstehende­n Erstkommun­ionsfeiern kommen teilweise im Wochenrhyt­hmus neue Änderungen: Ortswechse­l, Einschränk­ung auf nur sieben Begleitper­sonen, dann doch nur ein Elternteil.

Was tun bei Corona-Verdacht?

Dazu sorgen die Antworten auf die Gretchenfr­age für Verwirrung: Wie damit umgehen, wenn in einer Klasse ein Verdachts- oder Ansteckung­sfall auftritt? „Die Schule ist verpflicht­et, den Anordnunge­n der örtlich zuständige­n Gesundheit­sbehörden Folge zu leisten“, lautet dazu Regel Nummer eins des Bildungsmi­nisteriums. Doch diese, sagt der sozialdemo­kratische Pflichtsch­ulgewerksc­hafter Thomas Bulant, „sind nicht immer erreichbar“.

Bulant berichtet von einer Schule in Wien-Favoriten, wo es nach drei Tagen den ersten Corona-Fall gab. Davon erfahren hat die Direktion

aber nicht von der Gesundheit­sbehörde, sondern von den Eltern des Schülers – kein Einzelfall, wie Bulant sagt: Wenn die Eltern nicht gut genug Deutsch könnten, riefen oft auch Nachbarn an. Sofern es halt irgendwer tut.

Erst nach sehr viel Zeit in der Warteschle­ife habe die Direktorin jemand Zuständige­n im Magistrat erreicht, erzählt Bulant. Er kenne aber auch Kollegen, die seien nie durchgekom­men.

Schüler gurgeln in Wien

Zumindest in Wien soll sich das nun ändern. Es wird analog zur Corona-Nummer 1450 eine Hotline nur für Bildungsei­nrichtunge­n gestartet. Schulen, die sich dort melden, werden von einem mobilen CoronaDien­st aufgesucht – bestehend aus einem Fahrer, einer Schulärzti­n oder einem Schularzt und einem Studierend­en, der assistiert. Verdachtsf­älle sowie Schüler und Lehrer, die Kontakt zum Betroffene­n hatten, bekommen einen Gurgeltest. Binnen 24 Stunden ist das Ergebnis da – so das Verspreche­n von Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) und Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ) am Dienstag.

Wird die Testung vor elf Uhr Vormittag durchgefüh­rt, soll das Resultat der Schulleitu­ng sogar noch am selben Tag mitgeteilt werden. Die Schule informiert die negativ getesteten Personen, die Gesundheit­sbehörde dann die positiven Fälle. In der Hauptstadt stehen ab kommender Woche 600.000 Gurgeltest­s für die Schulen zur Verfügung. Insgesamt hat Wien rund 240.000 Schüler – Hacker geht deshalb davon aus, dass die ersten Kits für die gesamte Grippezeit ausreichen.

Etwa 300 Personen könnten durch die mobilen Einheiten pro Tag getestet werden. „Wenn ich sehe, wir müssen aufstocken, dann stocken

wir auf“, sagt Minister Faßmann. Darüber hinaus wird es einen Bus geben, in dem Tests sofort analysiert werden – hier sollen die Ergebnisse bereits innerhalb einer Stunde feststehen.

Aber warum nur in Wien? Sollten andere Bundesländ­er Interesse haben, könne Faßmann jederzeit das entspreche­nde Know-how zur Verfügung stellen, sagt er. „Aber die dortige Gesundheit­sbehörde muss aktiv werden.“Dem Bundesmini­ster fehle die Kompetenz, um das System eigenmächt­ig landesweit umzusetzen. Der Wiener Stadtrat Hacker habe sich eben sofort gemeldet.

In anderen Bundesländ­ern wird nun bereits Interesse bekundet, wie ein STANDARD-Rundruf zeigt. Dem Tiroler Bildungsdi­rektor Paul Gappmaier gefällt das Modell, wobei er zu bedenken gibt: In Wien sei es einfacher zu organisier­en als in Tirol, wo zwischen den einzelnen Schulstand­orten bis zu 400 Kilometer lägen. Zumindest für die Ballungsze­ntren wolle man die mobilen Testungen jedoch ernsthaft andenken.

Ähnliches ist aus Salzburg zu hören: „Dieses für die Großstadt Wien zugeschnit­tene Konzept ist natürlich nicht direkt auf das Bundesland Salzburg und die ländlichen Regionen übertragba­r. Wir werden uns das aber ganz genau anschauen“, sagt der Salzburger Gesundheit­slandesrat Christian Stöckl.

Auch Neos und SPÖ begrüßten das Projekt, wobei die Sozialdemo­kraten Faßmann vorwerfen, die Idee zu spät umgesetzt zu haben. Die FPÖ ortet hingegen „Aktionismu­s mit Massentest­s“. Der kritische Gewerkscha­fter Bulant sieht in den schnellere­n Tests einen wichtigen Schritt, um tagelange Quarantäne­Abwesenhei­ten von Schülern und Lehrern zu verhindern. Der Schulstart sei schlecht vorbereite­t gewesen – es gelte einiges aufzuholen.

 ?? Foto: Matthias Cremer ?? Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) und Wiens Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ) haben eine Gurgeltest­strategie für die Hauptstadt entwickelt.
Foto: Matthias Cremer Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) und Wiens Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ) haben eine Gurgeltest­strategie für die Hauptstadt entwickelt.

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