Der Standard

Wiener Nazi-Soundtrack

Ein Musiker aus Wien stachelt unter dem Deckmantel der Anonymität zu Terroransc­hlägen an – jahrelang unter dem Radar heimischer Behörden. Gespielt wurden seine Lieder beim Anschlag in Halle.

- Christof Mackinger, Sabine Wolf

Ein Rapper aus Wien vertont Musik mit neonazisti­schen Inhalten. Der Attentäter von Halle spielte sie während des Anschlags.

Ein Deutscher macht einen auf T.?“, postet User anon244310­09 aus Wien am Tag des Terroransc­hlags von Halle, dem 9. Oktober 2019, sichtlich erregt in einem USNeonazi-Forum. „In dem Stream wurde ein Song von Mr. Bond gespielt?“Die Erregung des Users ist nicht verwunderl­ich: Er ist selbst der Wiener Musiker Mr. Bond, der bekannte Hits mit neonazisti­schen Texten neu vertont.

Seine Musik wurde vom Attentäter Stephan B. abgespielt, als er sich auf den Weg zur Synagoge von Halle machte. Stephan B. tat es seinem Vorbild gleich: Nur Monate zuvor hatte der Rechtsextr­emist Brenton T. bei seinem Angriff auf zwei Moscheen in Christchur­ch, Neuseeland, 51 Menschen vor laufender Kamera getötet.

Stephan B. sagte im Sommer 2020 vor Gericht aus, bei seinem Anschlag sei alles gut geplant gewesen, auch die Musiktitel. Sie sollten als „Kommentar zur Tat“fungieren. Den Abzug seiner Waffe hat er allein gedrückt, hinter ihm steht aber ein Onlinenetz­werk, dessen Mitglieder immer wieder zu Anschlägen aufrufen – wie auch Mr. Bond, der Rapper aus Wien.

Wie muss Musik beschaffen sein, um als „Kommentar“oder gar Motivation für faschistis­chen Terror zu funktionie­ren, und wer verbreitet diese Musik über Jahre – ohne von den Behörden behelligt zu werden? DER STANDARD und das ARD-Politmagaz­in report München haben dem rappenden Neonazi aus Wien monatelang nachrecher­chiert. Ihnen liegen tausende Einträge des Urhebers aus verschiede­nen Onlineport­alen vor, in denen der Wiener seine Ansichten preisgibt und zu weiteren Anschlägen aufruft.

Online-Neonazi-Untergrund

Seit Jahren ist der Wiener Mr. Bond alias anon244310­09 in faschistis­chen Foren unterwegs. Auf sogenannte­n Imageboard­s und im Darknet tauscht er sich nicht nur über seine Hobbys – wie das Radfahren oder Gewichtheb­en – oder seine Familie aus, sondern er verbreitet dort auch rassistisc­he Hetze. Hinter politische­n Ereignisse­n vermutet er regelmäßig eine jüdische Verschwöru­ng, und den Holocaust an sechs Millionen Juden leugnet er gleich völlig: „Holohoax“. Auch viele von Mr. Bonds – durchwegs männlichen – Onlinefreu­nden wünschen sich mehr rassistisc­he Attentäter. In ihren Augen ist der Rechtsterr­orist aus Christchur­ch ein Heiliger: „St. Brenton. Ich liebe diesen Mann“, schreibt der Wiener am Tag nach T.s kaltblütig­em Mord an 51 Menschen. „Stellt euch 100 Brentons vor – auf der ganzen Welt!“Und weiter: „Auch wir müssen uns bereit machen, um losschlage­n zu können, und das sehr bald.“

Am 21. Juni 2019 jubelte er wieder in einem US-amerikanis­chen Forody-Rap“ rum „Wir haben einen neuen deutschen Helden!“Dieser habe „einen anti-deutschen, anti-weißen Politiker weggeblase­n“. Wenige Tage zuvor hatte mutmaßlich der Neonazi Stephan E. den deutschen Politiker Walter Lübcke erschossen – wegen dessen liberaler Haltung gegenüber Geflüchtet­en. Wenige Monate später hat wieder einer zugeschlag­en, der Halle-Attentäter Stephan B., inspiriert von Mr. Bonds Musik.

Die deutsche Journalist­in Karolin Schwarz ist in ihrem Buch Hasskriege­r. Der neue globale Rechtsextr­emismus

dem Phänomen der Onlineradi­kalisierun­g auf den Grund gegangen. In den rechtsextr­emen Foren und Imageboard­s „spricht man die gleiche Sprache und findet Unterstütz­ung für seine Gewaltfant­asien“.

Das schaffe ein hohes Identifika­tionspoten­zial für junge, verunsiche­rte Männer. Zudem finde hier auch die Verbreitun­g faschistis­cher Hetze statt. Ausgehend von einschlägi­gen Plattforme­n wurden rund 800 Versionen des Videos des Christchur­ch-Attentäter­s im Egoshooter­Stil

im Internet gestreut, weiß Schwarz. Eines davon von Mr. Bond selbst, unter dem Titel „I need a T.“(„Ich brauche einen T.“). Schwarz zufolge spielt Frauenfein­dlichkeit eine ganze große Rolle in der Onlinewelt der Rechtsextr­emen. Sexismus und Antifemini­smus fungieren als „anschlussf­ähige Ideologien in der Mitte der Gesellscha­ft für den Einstieg in die Szene“.

Dass Mr. Bonds Musik zum Soundtrack des faschistis­chen Terrors gemacht wird, verwundert wenig. Unter dem Deckmantel des „Pa

übernimmt er die Musik bekannter Hits, singt oder rappt dazu neue, durch und durch rassistisc­he Texte. Aus dem Welthit der Scorpions wird „Wind of Adolf“. In Bonds Persiflage auf Gucci Manes Lied Supa Cocky imaginiert sich der Wiener selbst als „Supanazi“und formuliert Vergasungs­fantasien gegen jüdische Neugeboren­e.

„Glühender Rassist“

Bernhard Weidinger vom Dokumentat­ionsarchiv des österreich­ischen Widerstand­es (DÖW) hat Mr. Bonds Texte und Social-Media-Verhalten analysiert. Der Mann erweise sich „als glühender Rassist, Antisemit und als bekennende­r Nationalso­zialist“. Seine an sich schon gewaltdurc­htränkte Weltanscha­uung gebe, „in Kombinatio­n mit der Faszinatio­n für Massenmörd­er und den bekannten Mechanisme­n der Fanatisier­ung in Imageboard­s und Foren, allemal Grund zur Sorge“, so der Rechtsextr­emismus-Experte. Dies stellte der Wiener Musiker ein ums andere Mal unter Beweis, indem er wiederholt versuchte, zu Terroransc­hlägen zu motivieren. So übersetzte er auch das Manifest des Christchur­ch-Attentäter­s.

Dass sich der Mann hinter Mr. Bond nicht nur im Darkweb mit seinesglei­chen umgibt, zeigen seine Versuche, im Forum der US-Neonazi-Website Daily Stormer schon im Jahr 2017 ein Treffen von „Stormers“in Wien zu organisier­en – gemeinsam mit einem Wiener, der die Behörden spätestens seit der Berichters­tattung des STANDARD im Jänner dieses Jahres beschäftig­t: dem Betreiber der verhetzend­en Website Judas.Watch. Tatsächlic­h stattgefun­den haben, seinen eigenen Angaben zufolge, immerhin mehrere Treffen Mr. Bonds mit den rechtsextr­emen Aktivisten der Identitäre­n Bewegung. Das belegen Einträge, die dem STANDARD und ARD / report München vorliegen.

Dass der Wiener seit Jahren im Internet zu rassistisc­hen Gewalttate­n aufstachel­n kann, mag verwundern. Aufgrund laufender Ermittlung­en und wegen des Datenschut­zes halten sich Behördenve­rtreter bedeckt. Ein Sprecher des Innenminis­teriums in Wien versichert lediglich, man würde alle sich bietenden Ermittlung­sansätze nützen und die gesetzlich­en Möglichkei­ten ausschöpfe­n, „auch im Austausch mit ausländisc­hen Behörden“.

Am 14. Oktober 2019, wenige Tage nach dem Anschlag in Halle, zieht Mr. Bond in einem Forum enttäuscht Bilanz und schreibt: „Jetzt ist es offiziell. Der Typ erschoss nur zwei Deutsche, keine Moslems oder Ähnliches. Ein massives Versagen.“Ein Urteil, das man durchaus auch der Arbeit der Sicherheit­sbehörden ausstellen könnte – nach Jahren der rassistisc­hen Hetze und des Aufstachel­ns zum Mord durch Österreich­er im Internet.

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An Jom Kippur wollte der Neonazi Stephan B. in der Synagoge von Halle ein Blutbad anrichten – er schaffte es aber nicht hinein. B. tötete dann zwei Passanten, nun wird ihm der Prozess gemacht.

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