Der Standard

Tückischer Corona-Optimismus

Länder, die sich zu Beginn der Pandemie besonders gut schlugen, sind nun, Anfang Herbst, nicht unbedingt in einer besseren Startposit­ion. Zum Teil rächen sich nun die Lockerunge­n.

- Gerald Schubert

Zweite Welle“, „neue Phase“oder „derzeit erhöhtes Infektions­geschehen“: Welchen Begriff man den in vielen Ländern steigenden CoronaZahl­en nun überstülpe­n will, ist immer wieder Gegenstand von Debatten – sogar innerhalb der österreich­ischen Bundesregi­erung. Einmal mehr spiegelt sich dabei die Unsicherhe­it im Umgang mit den Statistike­n wider: Wie aussagekrä­ftig sind höhere Infektions­zahlen in einem Land, wenn dort vermehrt getestet wird? Und selbst wenn man beides zueinander ins Verhältnis setzt: Muss die Bedeutung der Zahlen nicht trotzdem relativier­t werden, weil es eben einen Unterschie­d macht, ob man hauptsächl­ich Menschen mit Covid-19-Symptomen testet oder andere Prioritäte­n setzt, etwa bei Reiserückk­ehrern oder bei bestimmten Berufsgrup­pen?

Dennoch: Die neue Orientieru­ngslosigke­it anhand aktueller Daten lässt Erinnerung­en an den Frühling wachwerden, als die Welt von der Corona-Pandemie kalt erwischt wurde. Zwar hatte man mit steigenden Infektions­raten im Herbst gerechnet; dass die Entwicklun­g vielerorts aber so früh einsetzt, ist doch eine unangenehm­e Überraschu­ng – gerade auch in Staaten, die die Bekämpfung der Pandemie anfangs besonders gut im Griff hatten.

Tschechien galt im Frühling mit seinen Anti-Corona-Maßnahmen – zumindest zahlenmäßi­g – als vorbildlic­h. Während Österreich Ende März ein paar Mal knapp an der Marke von 1000 Neuinfizie­rten innerhalb eines Tages kratzte, blieb das Zehn-Millionen-Einwohner-Land damals stets weit unter 400. Nun hat sich das Blatt gewendet: Fast täglich kamen in Tschechien zuletzt mehr als 1000 Infizierte hinzu, vorigen Donnerstag waren es gar mehr als 3000. Von den zunächst strikten Regelungen – beispielsw­eise Maskenpfli­cht im gesamten öffentlich­en Raum, also auch beim Spaziergan­g auf der Straße – schwenkte Tschechien im Sommer ins andere Extrem um. Selbst Premier Andrej Babiš bezeichnet­e die Lockerunge­n mittlerwei­le als „Fehler“. Die Slowakei hat wieder Reisebesch­ränkungen gegen Tschechien eingeführt. Am Montag trat Gesundheit­sminister Adam Vojtěch zurück. Sein Nachfolger Roman Prymula gilt als Hardliner im Anti-Corona-Kampf.

Israel hat knapp neun Millionen Einwohner, ist also gut vergleichb­ar mit Österreich. Die Gesamtzahl der Infektione­n im ehemaligen Vorzeigela­nd ist aber mit 190.000 inzwischen fast fünfmal so hoch. Besonders betroffen sind arabische und ultraortho­doxe jüdische Wohnvierte­l, wo häufig größere Familien auf engem Raum zusammenle­ben. Ein neuerliche­r dreiwöchig­er Lockdown soll das Virus jetzt bremsen: Schulen und Kindergärt­en sind geschlosse­n, Menschen dürfen sich nur in Ausnahmefä­llen weiter als einen Kilometer von zu Hause entfernen.

Costa Rica zählt ebenfalls zu den früher begünstigt­en Ländern, in denen die Zahl der Corona-Neuinfekti­onen nun in die Höhe schnellt. Bereits seit Ende August werden in dem Knapp-fünf-Millionen-Einwohner-Land täglich mehr als 1000 Neuinfekti­onen verzeichne­t. Insgesamt gab es bisher mehr als 65.000 bestätigte Infektione­n.

Australien freute sich bereits im April über einen rasanten Rückgang der Fallzahlen und lockerte ebenfalls die Corona-Regeln. Im Juli stiegen die Zahlen der Neuinfekti­onen aber wieder an – besonders im Bundesstaa­t Victoria mit der Millionenm­etropole Melbourne. Ein regionaler Lockdown inklusive nächtliche­r Ausgangssp­erre soll noch bis 28. September gelten, bis Mitte Dezember bleiben die Grenzen Australien­s für Besucher aus dem Ausland geschlosse­n.

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Wenig Vergnügen im australisc­hen Melbourne: In der Stadt herrscht ein weitgehend­er Lockdown.

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