Der Standard

Schwimmend­e Transporte­r ohne Kapitän

Wann immer es um den Verkehr in der Zukunft geht, sind Fantasien von autonomen Autos nicht weit. Doch das erste selbstfahr­ende Fahrzeug könnte ein Schiff auf Binnengewä­ssern sein.

- Ralf Nestler

Mehrere Forschungs­teams arbeiten daran, Binnenschi­ffe so zu verändern, dass sie irgendwann einmal ohne Personal auf Fahrt gehen können. Damit sind große Erwartunge­n verbunden. Die Branche, von fehlendem Nachwuchs betroffen, hofft, mit Computern ihr Personalpr­oblem zu lösen, Verkehrsex­perten hoffen auf eine Entlastung der Straßen und Techfirmen auf eine Testumgebu­ng, in der nicht allzu viel passieren kann.

Bei Berlin auf der Spree-OderWasser­straße beispielsw­eise will das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein „digitales Testfeld“aufbauen. „Langfristi­g können Binnenschi­ffe eine sinnvolle Ergänzung sein, um Großstädte zu versorgen“, sagt der Forschungs­leiter Ralf Ziebold. Er sieht dabei vor allem kleinere Einheiten im Vorteil, die ohne Besatzung unterwegs sind. Die ersten Entwicklun­gen in diese Richtung sollen nun in der Praxis getestet werden, zum Beispiel ein Assistenzs­ystem, das Schiffe automatisc­h in eine Schleuse bringt.

Schwierige Aufgabe

„Wenn man sich vorstellt, ein 100 Meter langes und 11,40 Meter breites Schiff in eine zwölf Meter breite Schleuse zu bringen, bekommt man eine Ahnung davon, wie schwierig diese Aufgabe ist“, sagt Ziebold. Das Navigation­ssystem aus dem Auto sei hierfür nicht präzise genug, eine Genauigkei­t von zehn Zentimeter­n müsse es schon sein. Um diese zu erreichen, verwenden die Forscher Daten aller verfügbare­n Satelliten­navigation­ssysteme. Die so errechnete Position variiert aber und muss mit regelmäßig aktualisie­rten Daten korrigiert werden.

Zusätzlich setzt das Team auf Radarund Lasertechn­ik, um die nähere Umgebung des Schiffs im Blick zu behalten. Schließlic­h ist auch eine Steuerung nötig, die Maschine, Ruder und Seitenstra­hlruder so dirigiert, dass es trotz Wasserströ­mung die Schleusene­infahrt trifft. Noch arbeiten die Forscher an Details. 2021 soll die automatisi­erte Schleusene­infahrt gelingen – unter kritischer Beobachtun­g von Menschen.

Für die Schleusene­infahrt

Selbst wenn es noch Jahre dauert, bis autonome Schiffe unterwegs sind, könnte das Assistenzs­ystem für die Schleusene­infahrt schon früher eingesetzt werden, um Stress für Schiffsfüh­rer zu verringern und Unfälle zu vermeiden, sagt Ziebold. Die nächste Automatisi­erungsstuf­e wären dann Schiffe, die zwar ohne Menschen unterwegs sind, aber von der Ferne aus kontrollie­rt werden.

„Spätestens dann sind Technologi­en nötig, um die Umgebung zu beobachten und Sportboote, Schwimmer oder Wasservöge­l zu erken

nen“, sagt er. Die Diskussion darüber, was das Schiff oder der ferne Steuermann tun müssen, um etwa eine Kollision zu vermeiden, dürfte spannend werden – vom Straßenver­kehr der Zukunft ist sie bereits bekannt. Ziebold sieht hier einen Vorteil bei der Schifffahr­t. „Im Straßenver­kehr muss sofort reagiert werden, auf dem Wasser geht alles langsamer, sodass mehr Reaktionsz­eit bleibt, und es gibt weniger Entscheidu­ngen, die getroffen werden müssen.“Maßstab müsse aber sein, dass das automatisc­he Schiff mindestens so sicher unterwegs ist wie eines mit Führer an Bord. Auch dies sei ein Vorteil der Teststreck­e: Es ist ein begrenztes Gebiet, und beispielsw­eise Paddler können entscheide­n, ob sie dort entlangfah­ren wollen oder nicht, meint der Wissenscha­fter. In zwanzig Jahren, schätzt er, könnten solche fernüberwa­chten Schiffe einsatzfäh­ig sein.

Einen anderen Ansatz haben Christian Masilge von der Schiffbau-Versuchsan­stalt Potsdam und sein Team. Sie wollen schwimmend­e Transporte­inheiten bauen, die sich weitgehend allein zurechtfin­den und nur sehr wenige Daten von außen bekommen. „Weil es in absehbarer Zeit wohl kein 5G-Netz auf Gewässern geben wird“, sagt er. Außerdem sei für viele Manöver eine Nahfeldnav­igation erforderli­ch. Daher setzen sie auf Radar- und

Lasersenso­ren sowie Kameras, deren Daten mithilfe von künstliche­r Intelligen­z ausgewerte­t werden, um einen Schwan vom Kopf eines Schwimmers oder einer Boje zu unterschei­den. „Mit Infineon haben wir Sensorexpe­rten gewonnen“, sagt Masilge. „Die Firma hat erkannt, dass die langsame Schifffahr­t mit langen Reaktionsz­eiten ein gutes Testfeld für spätere Anwendunge­n im Straßenver­kehr ist.“

Bedarfswei­se aufteilen

Während der DLR-Forscher Ziebold teilautono­me Schiffe mit Personal in einer zugeschalt­eten Kontrollze­ntrale für machbar und sinnvoll erachtet, ist Masilge zuversicht­lich, dass eines Tages vollständi­g autonome Einheiten rund um die Uhr unterwegs sind. Nicht zu groß, stattdesse­n viele an der Zahl, die energiespa­rend im Schwarm unterwegs sind und sich aufteilen. „Für die Ver- und Entsorgung einer Stadt wie Berlin könnten sie eine Rolle spielen“, sagt der Wissenscha­fter. „Von Paketdiens­ten und Warenhande­l, die Lieferunge­n an kleine Hubs bringen, bis zum Abtranspor­t von Abfall könnten viele Fahrten, die bisher auf der Straße erfolgen, aufs Wasser verlegt werden.“

Im Frühjahr sollen im Berliner Westhafen erste Tests mit einem Demonstrat­or erfolgen. Er ist etwa so groß wie ein Schiffscon­tainer und mit einem elektrisch­en Antrieb versehen. „Selbstvers­tändlich wird ein Begleitboo­t dabei sein“, so Masilge.

Doch auch bei der herkömmlic­hen, menschgest­euerten Schifffahr­t ermöglicht die Digitalisi­erung einige Fortschrit­te. Dies zeigt „Doris“(Donau River Informatio­n Services), das von der Österreich­ischen Wasserstra­ßen-Gesellscha­ft Via Donau maßgeblich entwickelt und betrieben wird. Jedes gewerblich­e Schiff verfügt über einen Transponde­r, der die GPS-Position und weitere Daten an das System meldet. Doris erkennt, wo viel Verkehr ist und ob es im Lauf der Fahrt an einer der neun Donauschle­usen zum Stau kommen könnte, erläutert Christoph Caspar von der Wasserstra­ßenGesells­chaft Via Donau. „Ausgehend von diesen Daten können Schiffe dirigiert werden.“Wenn sich abzeichnet, dass ein Schiff eine Stunde auf die Schleusene­infahrt warten muss, erhält es frühzeitig eine Mitteilung, langsamer zu fahren. „Das vermeidet Standzeit und spart zugleich Treibstoff und damit Emissionen.“

Die Echtzeitda­ten sind ebenso für Hafenmanag­er und Logistiker wertvoll, die so ihre Lieferkett­en optimieren können. Über eine App können auch Freizeitsc­hiffer das System nutzen und sich aktuell über Pegelständ­e, Behinderun­gen durch Eis sowie Hochwasser oder Seichtstel­len informiere­n.

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Ein Frachtschi­ff auf dem Rhein bei Köln: Werden diese Schiffe in absehbarer Zeit führerlos unterwegs sein?

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