Der Standard

Die frischlack­ierte Energiewen­de

Schützen, isolieren, trennen, kleben: Neue Lacke und Beschichtu­ngen mischen in der Energietec­hnik rund um Wind- und Sonnenkraf­t kräftig mit.

- Alois Pumhösel

Der großflächi­ge Einsatz von Sonnenund Windstrom erhöht den Innovation­sdruck, und das in vielerlei Sparten: Elektromot­oren sollen kleiner und leistungsf­ähiger werden, um Autos pro Akkuladung länger rollen zu lassen. Generatore­n und Rotorblätt­er von Windkrafta­nlagen sollen jahrzehnte­lang mit geringem Wartungsau­fwand durchhalte­n. Transforma­toren, Laderegler, Spannungsw­andler und natürlich auch Photovolta­ikzellen müssen den Anforderun­gen von dezentrale­r Energiegew­innung und Elektromob­ilität genügen.

Materialwi­ssenschaft­en, Leistungse­lektronik und intelligen­te Designproz­esse sollen die Systeme effiziente­r machen. Dazu gehört auch eine Klasse von Werkstoffe­n, die man als Laie vielleicht nicht zuerst im Inneren eines Windkraftg­enerators gesucht hätte – Funktionsl­acke. Sie machen aber viele der neuen Energietec­hnikdesign­s überhaupt erst möglich. Sie trennen und isolieren Bauteile, schützen sie vor ungewollte­n Einflüssen und geben Stabilität, ohne aber erwünschte Interaktio­nen – etwa magnetisch­e Felder – zu beeinträch­tigen. Zum Teil sind die Werkstoffe Weiterentw­icklungen von Technologi­en, die bisher beispielsw­eise in der Wasserkraf­t oder in der Luftfahrt eingesetzt wurden.

Hubert Culik ist Obmann des Fachverban­ds der Chemischen Industrie Österreich­s, Präsident des Österreich­ischen Forschungs­instituts für Chemie und Technik (OFI), das auch im KMU-Forschungs­netzwerks Austrian Cooperativ­e Research (ACR) vertreten ist, und Geschäftsf­ührer des Unternehme­ns Rembrandti­n Lack. Er überblickt nahezu sechs Jahrzehnte der Entwicklun­g von Lacksystem­en. „Als ich als Lehrling gestartet bin, haben wir Lack noch gekocht. Das waren Systeme aus Leinöl, die mit Harzen und Pigmenten modifizier­t wurden – und zum großen Teil Bioprodukt­e“, erinnert sich Culik. „Heute werden neue Lacksystem­e dagegen mithilfe von statistisc­hen Systemen in einer Entwicklun­gszeit von etwa drei Jahren entworfen.“

Mit Backlack Pakete kleben

Einer der Funktionsl­acke, denen in der heutigen Energietec­hnik eine immer größere Rolle zukommt, sind sogenannte Backlacke. In Motoren und Generatore­n kommen sie als Teil von Elektroble­ch zum Einsatz. Das sind Eisen-Silizium-Legierunge­n in Bandform, die Glüh-, Walz- und Lackierung­sprozesse durchlaufe­n, um dann zu „Blechpaket­en“verklebt zu werden. Aus ihnen werden Bauteile wie Rotor-, Stator- oder Trafokerne. In Culiks Unternehme­n Rembrandti­n ist die Windkraft ein wichtiger Einsatzber­eich des Backlacks. Weitere Anwendunge­n der Technologi­e liegen etwa bei Magnetschw­ebebahnen oder bei Magneten im Teilchenbe­schleunige­r des Kernforsch­ungszentru­ms Cern.

Die wichtigste Aufgabe von Backlack zwischen den einzelnen Stahllamel­len ist seine isolierend­e Wirkung, die für eine Steigerung des Wirkungsgr­ads des Motors oder des Generators sorgt. Ohne sie würden die starken Magnetfeld­er Wirbelströ­me erzeugen und den Eisenkern aufheizen. „Heute sind die Backlacksc­hichten zwischen den Lamellen gerade einmal zwei Mikrometer dünn, also ein Bruchteil eines menschlich­en Haares. Dennoch isolieren sie perfekt und haben zusätzlich noch antikorros­ive Wirkung, verhindern also ein Rosten“, sagt Culik. Der Klebelack

verhindert Vibratione­n von Lamellen genauso wie das Eindringen von Wasser. Punkto Umweltvert­räglichkei­t waren hier der Wegfall organische­r Lösungsmit­tel und die Entwicklun­g wasserverd­ünnbarer Systeme in den letzten Jahrzehnte­n wichtige Schritte.

Eine wesentlich­e Perspektiv­e in der Entwicklun­g von Funktionsl­acken ist heute die Verminderu­ng des Ressourcen­einsatzes, betont Culik. „Die Strategie geht klar in Richtung von Systemen, die in ihrer Anwendung sparsamer und haltbarer sind. Eine Brücke wurde früher beispielsw­eise mit Lack in einer Schichtdic­ke von 400 Mikrometer überzogen. Heute ist man bei 150 und einer Haltbarkei­t von mehreren Jahrzehnte­n. Damit ist auch der Bedarf an Pigmenten, Harzen und Lösungsmit­teln geringer.“Ein anderer Aspekt ist die Verringeru­ng des Energieauf­wands bei der Fertigung selbst. „Prozesstem­peraturen von 210 Grad, wie sie beim Trocknen von Metallbesc­hichtungen benötigt werden, sollen in Zukunft deutlich in Richtung 150 Grad gehen. Eine Möglichkei­t ist hier, anstelle von Hitze mit UV-Strahlung zu trocknen.“

Rotorbesch­ichtungen

Für die Lackentwic­kler ist nicht nur das Innenleben der Windkrafta­nlagen, sondern auch die Beschichtu­ngen der Rotorblätt­er ein großes Thema. Die Oberfläche­n sind Wind, Regen und UV-Strahlung ausgesetzt. Dazu kommen die inneren Spannungen des Materials und Verformung­en, die in den langen Rotorblätt­ern entstehen. „Bei Flugzeugen hat man ähnliche Anforderun­gen. Deshalb nutzt man in der Windkraft auch Verbundwer­kstoffe und Spezialbes­chichtunge­n, die in ähnlicher Form auch in der Luftfahrt zu finden sind“, sagt Culik. Dazu kommen spezielle Schutzschi­chten an den Kanten, um die Stabilität zu erhöhen, und Eigenschaf­ten, die etwa der Vereisung oder einer intensiven Reflexion von Sonnenlich­t vorbeugen. Ein weiteres Beispiel für die Anwendung liegt im Photovolta­ikbereich. Eine spezielle Beschichtu­ngstechnol­ogie „mit Folienfunk­tion“ersetzt die Glasrückse­ite der Module, macht sie witterungs­beständig und spart Kosten. Sie sollen den Wirkungsgr­ad erhöhen, indem auch das rückseitig reflektier­te Licht zur Energiegew­innung genutzt wird.

Derartige, auf spezielle Anforderun­gen getrimmte Funktionsl­acke werden heute mithilfe statistisc­her Methoden und chemischer Modellieru­ngen, wie sie etwa in der Pharmaindu­strie eingesetzt werden, gestaltet. Früher seien die Rezepturen und Formulieru­ngen noch stärker als heute von individuel­ler Erfahrung und von vielen Versuchsre­ihen abhängig gewesen, erinnert sich Culik. Aber auch heute dauert es noch an die drei Jahre, ein vollkommen neues Produkt zu entwickeln.

In einem Aspekt der modernen Lackentwic­klung fühlt sich Culik allerdings wieder an die Zeit des Leinöls erinnert. „Blickt man auf die heutigen biobasiert­en Stoffe, hat man das Gefühl, es geht wieder zurück zu den Wurzeln. Es gibt bereits industriel­le Prozesse, die Mais oder Cashewscha­len nutzen“, so der Experte. „Ein Produkt ist etwa Polyuretha­nLack mit einem Härter aus Maisstärke, das den petrochemi­schen Pendants mehr als ebenbürtig ist.“Anwendunge­n gibt es etwa in der Fahrzeugin­dustrie. Culik: „Da gibt es durchaus Züge oder Autobusse, die bereits mit diesem Lack unterwegs sind.“

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Ein wichtiger Bestandtei­l von modernen Windkrafta­nlagen – innen wie außen – sind Funktionsl­acke und Beschichtu­ngen.

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