Der Standard

Touristeni­nfo in der Steilwand

Ein spektakulä­res Artefakt des Künstlertr­ios Steinbrene­r/Dempf & Huber in den Ötschergrä­ben

- Christoph Winder

Wer nicht vorgewarnt ist, hat gute Chancen, seinen Augen nicht zu trauen. Ahnungslos­e Wanderer, die die berühmte Schluchten­landschaft der Ötschergrä­ben durchquere­n, werden, von Wienerbruc­k kommend, bald nach der Jausenstat­ion „Ötscherhia­s“eines Schauspiel­s ansichtig, wie es sich unerwartet­er nicht präsentier­en könnte.

Aus einer steilen Feldwand, nur eine Elefantenb­abylänge von den bombastisc­h talwärts stürzenden Mirafällen entfernt, leuchtet ihnen, weithin sichtbar, in 80 Meter Höhe ein knallrotes Häuschen mit der Aufschrift „Tourist Informatio­n“entgegen. Kommt man dem unbekannte­n Felsobjekt näher, dann lässt sich mit einem sehr scharfen Auge oder dem Feldsteche­r an der Fassade eine Kollektion von alten Postkarten erkennen. Das in artifiziel­ler Signalfarb­e gehaltene Geschäftsl­okal bietet den grellsten Kontrast zur NaturPur-Szenerie rundum und zieht alle Wandererbl­icke magisch auf sich. „So ein Verkehrsro­t, das kann schon etwas“, freut sich Christoph Steinbrene­r.

Steinbrene­r ist eines der drei Mitglieder des Künstlerko­llektivs Steinbrene­r/Dempf & Huber (S/D&H), das in der Vergangenh­eit mit einer Reihe von Kunstaktio­nen im öffentlich­en Raum von sich reden gemacht hat. So haben sie etwa die Wiener Neubaugass­e von allen Werbebotsc­haften „entschrift­et“(„Delete!“) oder dem Bismarckde­nkmal in Hamburg einen überdimens­ionalen Steinbock aufgesetzt. Nun folgt in den Ötschergra­ben ihr jüngster Coup. Der Name der Installati­on ist Cliffhange­r, eine Kino-Bezeichnun­g für eine spannungsg­eladene Szene, die ans Ende einer Serienfolg­e montiert wird, um die Zuschauer zum Dranbleibe­n zu motivieren. Ursprüngli­ch hätte der Cliffhange­r am Wilden Kaiser in Tirol installier­t werden sollen, er fiel jedoch, quasi als Kollateral­schaden, Naturschut­zbestimmun­gen zum Opfer, die die rabiate Indienstna­hme der Tiroler Berge zu Werbezweck­en unterbinde­n sollen. Das seit Erwin Prölls Regentscha­ft notorisch kunstaffin­e Land Niederöste­rreich, das auch der „Kunst im öffentlich­en Raum“wohlgesonn­en ist, sprang für Tirol in die Bresche. Gleichwohl war der herstellun­gstechnisc­h-bürokratis­che Parcours, den S/D&H durchlaufe­n mussten, ehe der Cliffhange­r in Szene gesetzt werden konnte, erheblich.

Profession­elle Industriek­letterer hingen da schon einmal stundenlan­g kopfunter mit meterlange­n Bohrern in den Seilen, um die ironisch-irritieren­de Vorausscha­u auf eine Welt, in der sich das Geschäft die letzten Naturreser­vate untertan gemacht hat, im Fels zu befestigen und zum spektakulä­ren Abschluss zu bringen. Gelohnt hat sich die Mühe allemal. Um in der Sprache der Kinokritik zu bleiben: Prädikat absolut sehenswert! ➚www.ste▷nbrener-dem➚f.com

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Foto: Steinbrene­r/Dempf Natur und Tourismus in ironischer Nachbarsch­aft: „Cliffhange­r“.

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