Der Standard

Wie Schnecken Schwermeta­lle entgiften

Weichtiere haben im Lauf der Evolution einen Mechanismu­s entwickelt, mit dem sie ganz gezielt giftige Metalle unschädlic­h machen können. Forscher sind dabei, diese Fähigkeit zu entschlüss­eln.

- Susanne Strnadl

Schnecken mögen langsam sein, aber sie sind evolutiv äußerst erfolgreic­h. Nach den Gliedertie­ren sind sie die formenreic­hste Tiergruppe der Welt: Mit geschätzte­n 80.000 Arten besiedeln sie das Meer, das Land und das Süßwasser. Eines der Geheimniss­e ihres Erfolges ist ihre Fähigkeit, giftige Schwermeta­lle unschädlic­h zu machen, allen voran Cadmium. Reinhard Dallinger vom Institut für Zoologie der Universitä­t Innsbruck und seine Mitarbeite­r forschen seit Jahren an dieser Fähigkeit; mit finanziell­er Unterstütz­ung des Wissenscha­ftsfonds FWF beleuchten sie nun weitere, bisher unbekannte Aspekte näher.

Cadmium ist ein Schwermeta­ll, das in der Erdkruste natürlich vorkommt und für Lebewesen giftig ist. Das kommt unter anderem daher, dass es physikalis­ch-chemisch Zink sehr ähnlich ist und dieses in Verbindung­en gerne ersetzt: Während Zink jedoch ein lebenswich­tiges Spurenelem­ent darstellt, erfüllt Cadmium keine derartige Funktion und wirkt in der Folge toxisch. Bei Wirbeltier­en wird Cadmium, das in der Nahrung, im Wasser und in der Luft enthalten ist, in den Nieren entgiftet und gespeicher­t, und zwar über sogenannte Metallothi­oneine. Das sind Proteine, die einen hohen Anteil an schwefelha­ltigen Aminosäure­n aufweisen. Diese sind durch ihre Elektronen­konfigurat­ion besonders dazu geeignet, Schwermeta­lle zu binden.

Konzentrie­rt auf Cadmium

Erstmals nachgewies­en wurden Metallothi­oneine 1957 in der Niere von Pferden. Die damals entdeckte Variante enthält zwei Untereinhe­iten oder Domänen, die jeweils verschiede­ne Schwermeta­llatome binden können, und kommt bei allen Wirbeltier­en vor. Bei den Schnecken jedoch haben sich schon sehr früh in der Entwicklun­gsgeschich­te völlig andersarti­ge Metallothi­oneine entwickelt: „Diese Tiere haben schon vor 480 Millionen Jahren Cadmium-spezifisch­e Metallothi­oneine erfunden“, erläutert Dallinger. „Im Unterschie­d zu den Wirbeltier­en binden bei ihnen beide Domänen ausschließ­lich Cadmium, was sie viel effektiver beim Entgiften dieses Schwermeta­lls macht.“

Entscheide­nd dürfte diese Fähigkeit vor allem bei der Eroberung des Landes gewesen sein: „Im Verlauf der Erdgeschic­hte gelangte durch supervulka­nische Eruptionen mit der Lava immer wieder auch viel Cadmium ins Gestein“, sagt Reinhard Dallinger, „weshalb die natürliche­n Cadmium-Konzentrat­ionen in der Erdkruste etwa zehn- bis hundertmal höher sind als in den oberen Schichten der Ozeane. Aufgrund ihrer vorwiegend kriechende­n Lebensweis­e können Schnecken außerdem auch Schwermeta­lle durch ihren Fuß aufnehmen, über den sie permanent mit dem chemischen Substrat ihrer Umwelt in Verbindung stehen. Für sie war also eine effiziente Metallentg­iftung besonders wichtig.“

Tatsächlic­h konnten Dallinger und sein Team in Kooperatio­n mit Arbeitsgru­ppen an der Uni Innsbruck und der Med-Uni Innsbruck sowie aus Zürich und Barcelona zeigen, dass die Schnecken im Verlauf ihrer Entwicklun­g immer effiziente­r wurden: „Es enthüllt sich vor unseren Augen ein Stammbaum der Optimierun­g der Entgiftung­skapazität in dieser Tiergruppe“, wie Dallinger es ausdrückt.

Neue Giftandock­stellen

So weist etwa die im Meer lebende und sehr ursprüngli­che Große Kalifornis­che Schlüssell­ochschneck­e noch die „klassische­n“Metallothi­oneine mit zwei unspezifis­chen Domänen auf. Im Lauf der Zeit jedoch entstanden Arten, deren Metallothi­oneine gezielt Cadmium entgiftete­n. Vor rund 430 Millionen Jahren entwickelt­en manche Schnecken, wie etwa die Vorfahren der Riesennapf­schnecke, eine völlig neue Domäne, die statt drei Metallione­n vier binden kann. Dazu kommt, dass im Lauf der weiteren Evolution bei vielen Schneckena­rten Cadmium-spezifisch­e Untereinhe­iten dupliziert und modulartig aneinander­geknüpft wurden.

So verfügt die landlebend­e Schließmun­dschnecke über ein Metallothi­onein mit insgesamt zehn Domänen, von denen jede jeweils drei Cadmium-Ionen binden und damit unschädlic­h machen kann. „Man kann die Struktur dieser Metallothi­oneine mit einem Eisenbahnz­ug vergleiche­n“, schildert Dallinger, „je mehr Wagons er hat, desto mehr Metallione­n kann man auf ihn aufladen.“Dallinger und seine internatio­nalen Forschungs­partner haben übrigens auch Muscheln und Kopffüßer untersucht, die wie die Schnecken zu den Weichtiere­n gehören. Auch diese kombiniere­n in ihren Metallothi­oneinen verschiede­ne Domänen, weisen aber keine Cadmium-Spezifität auf.

Ob die Domänen in den Metallothi­oneinen der Schnecken auch tatsächlic­h wie ein Zug oder eine Kette angeordnet sind oder vielleicht eher in aufgerollt­er Form vorliegen, wollen Dallinger und seine Gruppe nun klären. Je nach räumlicher Anordnung ist nämlich mit unterschie­dlichen chemischen Effekten zu rechnen: „Bei einer langgestre­ckten Kette haben weiter voneinande­r entfernte Domänen keinen Kontakt mehr zueinander“, sagt Dallinger, „aber wenn sie dicht gepackt und aufgerollt sind, kann es zu Wechselwir­kungen zwischen den ProteinUnt­ereinheite­n kommen.“Die Klärung dieser Verhältnis­se ist einerseits natürlich ein Anliegen der Grundlagen­forschung, liefert anderersei­ts aber auch Wissen, das zum Beispiel für die Herstellun­g künstliche­r metallbind­ender Proteine von Bedeutung sein kann.

Indikatore­n für Schadstoff­e

Nicht alle Schneckena­rten setzen ausschließ­lich auf Cadmium-Entgiftung: Einige Landlungen­schnecken wie die Weinbergsc­hnecke haben auch Metallothi­oneine erfunden, die spezifisch Kupfer binden. Zwar brauchen sie das Schwermeta­ll als Baustein ihres Blutes, in zu hohen Konzentrat­ionen ist es aber giftig und muss daher ebenfalls im Zaum gehalten werden.

Die besondere Fähigkeit, Metalle in ihren Organen zu speichern und zu entgiften, macht Schnecken auch zu hervorrage­nden Bioindikat­oren für Schwermeta­lle. In weltweiten Kooperatio­nsnetzwerk­en werden Schnecken und Muscheln entlang von Küsten gesammelt und auf ihre Schwermeta­llanreiche­rung hin untersucht. „Es liegt daher auf der Hand“, sagt Dallinger, „wie wichtig es ist, die Mechanisme­n der Schadstoff­entgiftung dieser Tiere besser verstehen zu lernen.“

 ??  ?? Überlebens­künstler seit Millionen von Jahren: Weichtiere wie die Schließmun­dschnecke (Alinda biplicata) haben ein ausgeklüge­ltes System zu Entgiftung entwickelt.
Überlebens­künstler seit Millionen von Jahren: Weichtiere wie die Schließmun­dschnecke (Alinda biplicata) haben ein ausgeklüge­ltes System zu Entgiftung entwickelt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria