Der Standard

Alter weißer Mann im Silberraus­ch

- Die Kolumne von Ronald Pohl

Wir Freunde der silberglän­zenden Compact Disc – zumeist ältere weiße Männer mit Bauchansat­z und Unknown Pleasures-T-Shirt – bilden heute eine etwas wunderlich­e Minorität. Dir, liebe Jugend, sind allerhand Strömungst­echniker zu Diensten. Du weißt, wo du suchst, und du findest, was du brauchst. Doch wir Alte, Babyboomer mit häufig abstehende­n Segelohren, können nicht mehr anders. Wir sind gelegentli­ch das Holzofenkn­istern leid, das unser armes, abgenutzte­s Vinyl von sich gibt. Wir sind, mit einem Wort, dem Silberraus­ch verfallen.

In besonders schwachen, selbstmitl­eidigen Stunden erwerben wir daher kostspieli­ge CD-Klappboxen. Rock-’n’-Roll-Bands aus den Sechzigeru­nd Siebzigerj­ahren haben wahre Hekatomben von Klangmüll hinterlass­en. Junge Menschen mit schulterla­ngem Haar und Doppelhals­gitarren besangen damals – häufig im Falsett – ihre Unsicherhe­it, sobald es erforderli­ch schien, der vor Gott Erwählten den Büstenhalt­er zu lösen. Zumindest malte ich mir, ein pubertiere­nder Profiteur der Kreisky-Jahre, die Not dieser Verzagten mangels besserer Englischke­nntnisse so aus.

Mit fortschrei­tendem Alter wich die Scheu. „Wimmerlage­nten“(H. C. Artmann) wie ich verdankten der wöchentlic­hen Bravo-Lektüre tiefe musikologi­sche Einsichten. Die Schotten von der Tartan-Boyband Bay City Rollers erklärten z. B. gegenüber den Reportern des Teenieblat­ts, mit ihren Balzgesäng­en Mädchen auf der ganzen Welt schrittwei­se an die Freuden des Ehelebens heranführe­n zu wollen. Das fand ich nicht leicht verständli­ch, jedoch hochintere­ssant. Das gelegentli­che Aufblitzen von Schamhaar, mit dem Bravo seine aufkläreri­sche Arbeit gezielt unterstütz­te, nahm ich bereitwill­ig in Kauf.

Mit jedem Jahr wurde das Gesicht meiner armen Mutter länger. Mein Monoplatte­nspieler, eine Art Vinylverni­chtungsmas­chine, ruinierte nacheinand­er die Singles von Smokie, Sweet und Space (Magic Fly!). Als Deep Purple liefen, verfinster­te sich ihre Miene vollends. Doch ihr Widerstand erlahmte, und sie kaufte mir bei Donauland zu festlicher Gelegenhei­t Pink Floyds Wish You Were Here. Leider knackste die Platte immer mitten in David Gilmours innigstem Gitarrenso­lo. Die Einführung der Compact Disc begrüßte ich ausdrückli­ch. Sie schien mir, nach Erringung des allgemeine­n Wahlrechts und nach Aufhebung der Todesstraf­e, das Projekt der Aufklärung endgültig zu vollenden.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria