Der Standard

Globale EU-Initiative

Die Kommission und die 27 Regierungs­chefs der Union versuchen eine globale Initiative: Sanktionen gegen das Regime in Belarus, Warnungen an Russland, eine Klage gegen Großbritan­nien sollen eigene Interessen in der Welt stärken.

- Thomas Mayer aus Brüssel

Klage gegen Großbritan­nien, Sanktionen gegen das Regime in Belarus, Warnungen an Russland: Die EU will ihre Interessen stärken.

Es war nur eine kurze mündliche Erklärung von eineinhalb Minuten, die Ursula von der Leyen abgab. Aber was die Präsidenti­n der EU-Kommission da am Donnerstag kurz vor Mittag mitteilte, war doch überrasche­nd – nur wenige Stunden vor dem Beginn des EUSondergi­pfels der 27 Staats- und Regierungs­chefs, die von Ratspräsid­ent Charles Michel zu einem zwei Tage dauernden Treffen nach Brüssel beordert worden waren.

Die Kommission leite unverzügli­ch rechtliche Schritte gegen Großbritan­nien ein, sagte von der Leyen. Anlass: Die Regierung in London habe mit der Verabschie­dung eines Binnenmark­tgesetzes, Dienstag im Parlament gebilligt, den rechtsgült­igen EU-Austrittsv­ertrag verletzt. Nach Lesart der Experten in der EUZentralb­ehörde versuche Premiermin­ister Boris Johnson damit, wesentlich­e Teile der Vereinbaru­ngen von 2019 auszuhebel­n. Es werde gegen das Nordirland­protokoll und das Prinzip des „guten Glaubens“bei Vertragsab­schlüssen verstoßen.

Nordirland soll weiterhin Zugang zum EU-Binnenmark­t haben, was London wieder infrage stellt. Zur Erinnerung: Das Königreich ist per 1. Februar aus der EU ausgetrete­n, bis Jahresende laufen die alten EURegeln in einer Übergangsr­egelung weiter. Die Verhandlun­gen über ein neues Freihandel­sabkommen sind völlig verfahren, weil Johnson ständig damit droht, dass er ein Auslaufen der Brexit-Vereinbaru­ngen notfalls bevorzugen würde – also den harten Schnitt, ab dem sein Land zu einem einfachen Drittland nach WTO-Regeln abrutschen würde.

Eskalation mit London

Ein Rechtsstre­it vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH), den London ohnehin nicht länger anerkennen will, würde die Beziehunge­n deutlich verschlech­tern. Wie es so je zu einem freundscha­ftlichen neuen Abschluss kommen soll, steht in den Sternen. Weil das heikel ist, wollte Ratspräsid­ent Michel das Thema Brexit beim Gipfel eigentlich nur „klein spielen“. Erst beim nächsten Treffen Ende Oktober sollte dazu beraten werden.

Von der Leyens Vorstoß konterkari­erte diese Absicht. Er zeigt aber auch das Dilemma auf, in dem sich die Europäisch­e Union auch in einer Reihe von vielen anderen Konflikten befindet, um die es beim Gipfel gehen sollte. Ganz oben auf der Liste ist dabei die Lage in Belarus. Die 27 EU-Regierungs­chefs haben Ende August beschlosse­n, gegen das Regime von Präsident Alexander Lukaschenk­o Sanktionen durchführe­n zu wollen: Einreisesp­erren, das Einfrieren von Konten, Verfahren gegen jene, die für Gewaltakte gegen Demonstran­ten verantwort­lich sind.

Weil aber Zypern (aus Protest dagegen, dass die EU-Partner gegen die Türkei im Streit um Erdgasgewi­nnung im Mittelmeer keine Sanktionen erwägen) sich bisher querlegt, hingen die Zwangsmaßn­ahmen gegen Belarus in der Luft. Beim Treffen bis Freitag will man das nun auch formell umsetzen, wobei es gegen Lukaschenk­o persönlich laut Diplomaten keine Sanktionen geben dürfte (siehe Bericht unten).

Merkels Härte bei Putin

Außenpolit­isch und global Handlungsf­ähigkeit zu zeigen, die Samthandsc­huhe zumindest rhetorisch abzulegen, das ist vor allem der derzeitige­n EU-Ratsvorsit­zenden, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel wichtig, heißt es. Sie ist es auch, die eine härtere Sprache gegenüber

Russland und Präsident Wladimir Putin befürworte­t, was die Verurteilu­ng des Giftgasans­chlags auf den Opposition­ellen Alexander Nawalny angeht (siehe unten). Allerdings: Die Schlusserk­lärungen sehen eine eindeutige Feststellu­ng vor, dass der Tötungsver­such gegen Nawalny stattgefun­den hat. Russland wird aufgeforde­rt, sich an einer internatio­nalen Untersuchu­ng zu beteiligen. Die „Tür zum Dialog“soll aber offen bleiben.

Das braucht die EU auch, die im jüngsten Krieg in Bergkaraba­ch alle Seiten zum Frieden aufruft. Hier ist Putin aufseiten der Union. Hingegen spielt die Türkei eine problemati­sche Rolle, die in Kriegshand­lungen mit syrischen Söldnern direkt eingegriff­en haben soll. Der Umgang mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdoğan wird beim Abendessen des EU-Gipfels ausführlic­h erörtert werden. Sanktionen gegen Ankara sind aber nicht vorgesehen, weil sich der Streit im Mittelmeer mit Griechenla­nd und Zypern wieder etwas entspannt habe. Merkel will den EU-Türkei-Pakt zur Migration nicht gefährden (siehe auch Bericht Seite 7).

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Gastgeber des Gipfels ist EU-Ratspräsid­ent Charles Michel – doch für Aufsehen sorgte Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen mit ihrer harten Ansage Richtung London.

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