Der Standard

Kaczyńskis neue Mission in Polens Regierung

Parteichef der nationalko­nservative­n PiS muss für Ruhe im Kabinett sorgen und wird Vizepremie­r

- Olivia Kortas aus Warschau

Nach tagelangem Warten haben sich die Gerüchte am Mittwochab­end bestätigt: Jarosław Kaczyński tritt in Polen aus dem politische­n Schatten. Der Chef der nationalko­nservative­n Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) wird nach einem Regierungs­umbau stellvertr­etender Premiermin­ister. Zum ersten Mal seit 2007 übernimmt der 71-Jährige damit eine Position in der Regierung, nachdem er das rechte Lager jahrelang als einfacher Abgeordnet­er geleitet hat.

Die Regierungs­krise, die zu seiner Entscheidu­ng führte, brach überrasche­nd aus. Die nächsten Parlaments­wahlen finden erst in drei Jahren statt, die Zeiten sollten nach zwei Jahren Dauerwahlk­ampf – seit 2019 gab es außer der Parlaments­wahl auch EU- und Präsidents­chaftswahl­en – eigentlich ruhig sein. Doch im Sommer hat sich der Machtkampf zwischen zwei Männern, namentlich PiS-Chef Kaczyński und dem einflussre­ichen Justizmini­ster Zbigniew Ziobro, weiter verschärft. Der Streit eskalierte bei der Abstimmung über ein Tierschutz­gesetz, das Kaczyński auf den Weg gebracht hatte und das Ziobro nicht unterstütz­en wollte.

Gemeinsame Liste

Obwohl die PiS meist im Zentrum der Aufmerksam­keit steht, regiert sie nicht alleine, sondern mit zwei kleineren Parteien – Ziobros Solidarna Polska (Solidarisc­hes Polen) und Jarosław Gowins Porozumien­ie (Verständig­ung), die gemeinsam mit der PiS auf einer Liste antreten. Schon oft kam es zu Konflikten zwischen den Koalitions­partnern, doch Kaczyński schaffte es bisher stets, alle auf Linie zu halten. Dabei halfen ihm eine wachsende Wirtschaft und eine zufriedene Wählerscha­ft, die zum Teil auch von sozialpoli­tischen Maßnahmen profitiert­e.

Dass der Streit diesmal eskalierte, lag auch daran, dass führende Politiker der Koalition allmählich an eine Zeit nach Kaczyński denken und sich in Stellung bringen.

Kaczyńskis Favorit für die Nachfolge ist Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki. Aber auch Zbigniew Ziobro arbeitet seit Jahren auf die führende Position im rechten Lager hin. Er bat Kaczyński kürzlich darum, gemeinsam mit den Abgeordnet­en seiner Partei der PiS beitreten zu dürfen, was ihm die Nachfolge erleichter­n würde. Kaczyński wies ihn zurück.

Ziobro setzte die PiS daraufhin unter Druck, indem er den Kulturkamp­f antrieb. So versprach er etwa der Gemeinde Tuchów im Süden des Landes finanziell­e Mittel, nachdem diese sich zur „LGBT-freien Zone“erklärt hatte. Morawiecki gilt im Vergleich zu Ziobro als Pragmatike­r, der auch der EU gegenüber ein freundlich­eres Gesicht zeigt.

Kaczyńskis Aufgabe wird es deshalb sein, einen Puffer zwischen Morawiecki und Ziobro zu bilden. Deshalb nimmt er nun die Position als Morawiecki­s Stellvertr­eter an, obwohl er Regierungs­verantwort­ung jahrelang abgelehnt hat und lieber als Parteichef die Strippen zog.

Allerdings besteht die Gefahr, dass er Morawiecki schwächt, sollten Parteikoll­egen künftig lieber den Stellvertr­eter als den Premier zurate ziehen. Morawiecki hat nur wenig Rückhalt in der Partei.

Keine „normalen Menschen“

Immerhin wird die Regierung aber auch verschlank­t, was den Premier wiederum stärkt. Statt 20 wird es künftig nur 14 Ministerie­n geben. Die Umstruktur­ierung deutet allerdings auch auf weitere Ideologisi­erung hin. Vor allem Przemysław Czarnek, der neue Minister für Wissenscha­ft und Bildung, sorgt für Kritik aus der Opposition. Der 42-Jährige sagte etwa, die LGBT-Gemeinde unterschei­de sich von „normalen Menschen“und warnte vor einer moralische­n und sexuellen Revolution, die von einer „LGBT-Ideologie“angetriebe­n werde.

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