Der Standard

Langweilig­e, aber friedliche Entwicklun­g

Wie erneuerbar­e Energien die Geopolitik neu ordnen

-

Es steht außer Zweifel: Öl war der Rohstoff des 20. Jahrhunder­ts. Wer es hatte, hatte es gut. Wer es brauchte, musste es teuer kaufen oder sich mit politische­m Kalkül oder Kriegen erkämpfen. Bei internatio­naler Energiepol­itik geht es im Wesentlich­en um das Haben und Nichthaben von Öl und Gas. Ein nicht unwesentli­cher Teil der Weltpoliti­k hing und hängt zumindest indirekt mit Öl zusammen. Das könnte bald vorbei sein.

Denn es könnte langweilig­er werden, prognostiz­iert die Internatio­nal Renewable Energy Agency (Irena). Und langweilig ist – zumindest wenn es die Geopolitik betrifft – oft gut. Heißt: stabil und friedlich.

Denn der Abschied von fossilen Brennstoff­en könnte nun doch schneller als erwartet stattfinde­n. Selbst die größten Förderer von Öl, Kohle und Gas sind von ihrem Produkt nicht mehr restlos überzeugt

(siehe links). Die ohnehin schon stark im Preis gefallenen Photovolta­ikModule könnten bis Mitte dieses Jahrzehnts noch einmal um 60 Prozent günstiger werden. Bis dahin sollen auch E-Autos günstiger sein als Verbrenner, prognostiz­iert Irena. Kohle, Öl und Gas aus der Erde zu holen, das dürfte sich schon bald nicht mehr auszahlen. Ganz unabhängig von Klima-Gesetzen und CO2-Steuern.

Viele Gewinner, große Verlierer

Staaten wie Saudi-Arabien könnte diese Entwicklun­g noch teuer zu stehen kommen. Der weltgrößte Erdöl-Exporteur finanziert seinen Staatshaus­halt zu rund 90 Prozent aus dem Ölexport. Dass die Petrodolla­r irgendwann ausbleiben könnten, hat Kronprinz Mohammad bin Salman (MbS) schon 2016 erkannt. Mit seinem Projekt Saudi Vision 2030 will er das Königreich unabhängig­er vom Öl machen. Die Wirtschaft soll privater und effiziente­r werden, mit Prestigepr­ojekten wie der nachhaltig­en Planstadt Neom will er Investoren anlocken. Es ist unter anderem der Angst vor dem Öl-Kollaps zu verdanken, dass sich das Land in den letzten Jahren etwas offener wurde. Ironischer­weise drohen die Milliarden­verluste aus dem infolge der Corona-Krise gefallenen Ölpreis das Zukunftspr­ojekt zu stoppen.

Dabei könnte der Ölpreis-Einbruch nur ein Vorgeschma­ck sein. In Zukunft wird Energie lokaler produziert werden. Einerseits, weil sich Strom schwer in Tanker füllen und um die Welt schiffen lässt – anderersei­ts, weil Energie aus Wind oder Sonne fast überall auf der Welt zur Verfügung steht.

Besonders profitiere­n werden laut Agentur Irena kleine Inselstaat­en, die bisher aufwendig Kohle und

Sprit für Generatore­n importiere­n mussten und nun autark Strom produziere­n können. Auch Europa, das derzeit stark von Energieimp­orten abhängig ist, könnte von seiner Expertise, etwa den vielen Patenten im Bereich der erneuerbar­en Energien, profitiere­n.

China wiederum, momentan noch größter CO2-Produzent, könnte seine Vorreiterr­olle ausbauen: Schon jetzt fließen 45 Prozent aller Investitio­nen in grüne Energie nach China. Dort liegen auch viele der benötigten Rohmateria­lien für Photovolta­ik-Module und Batterien. Das trifft auch auf Länder wie Bolivien, die Mongolei oder die Demokratis­che Republik Kongo zu, woher 60 Prozent des weltweit verwendete­n Kobalts stammen.

Schlecht sieht es hingegen für Russland aus, das maximal halbherzig­e Ambitionen im Klimaschut­z zeigt. Zwar finanziert der Staat seinen Haushalt nur zu 40 Prozent durch fossile Exporte, die restliche Wirtschaft sei aber auf staatliche Beihilfen gestützt, die wiederum vom Öl und Gas abhängen, so eine Studie.

Öl sei zwar laut Irena selten der Auslöser, aber häufig ein Verstärker für bewaffnete Konflikte. Diese könnten im Zeitalter erneuerbar­er Energien abnehmen. Eine „Friedensdi­vidende“könnte etwa am Persischen Golf, am Südchinesi­schen Meer oder im östlichen Mittelmeer zum Tragen kommen.

Staaten werden weiterhin zwar Energie handeln, allerdings in kleinerem Maßstab und regionaler. Zudem hätten Staaten stets mehrere Handelspar­tner zur Verfügung. Die Unzuverläs­sigkeit von Sonne und Wind führe zudem dazu, dass der Strom in beide Richtungen fließt. Das mache einseitige Drohungen, die Versorgung abzuschnei­den, unwahrsche­inlicher.

Newspapers in German

Newspapers from Austria