Der Standard

Der Evolution nachhelfen

Die Crispr-Genschere bietet Möglichkei­ten, Biologie zur Rettung des Weltklimas einzusetze­n– das könnte sogar klappen.

- SKEPTISCH: Fabian Sommavilla

Noch vor etwas mehr als einem Jahrzehnt haben sich nur ein paar wenige Biologinne­n und Biologen mit den Möglichkei­ten der Crispr-Cas9-Genschere auseinande­rgesetzt. Mittlerwei­le ist es das Thema, zu dem die zweitmeist­en wissenscha­ftlichen Publikatio­nen im Bereich der Biologie veröffentl­icht werden – geschlagen nur von einer gewissen Lungenkran­kheit, die sich dieser Tage auf der Welt ausbreitet. Seit ein paar Monaten bereits drängen Wissenscha­fter aus aller Welt darauf, vor dem Hintergrun­d ebenjener Pandemie nicht auch auf die drohende Klimakatas­trophe zu vergessen.

Könnte die Genschere einen entscheide­nden Impuls zur Klimarettu­ng liefern? Der renommiert­e USThinktan­k Informatio­n Technology & Innovation Foundation (ITIF) glaubt daran, dass es so sein wird – nicht heute, aber im Laufe der nächsten 50 Jahre. ITIF fordert die Regierunge­n dieser Welt in seinem aktuellen Bericht dazu auf, Investitio­nen in Forschung und Entwicklun­g massiv zu erhöhen. Es handle sich bei Crispr um ein „mächtiges, bislang unterschät­ztes Instrument“zur Milderung der Folgen des rasanten Klimawande­ls.

Ebenso sollten jene wissenscha­ftlich nicht begründete­n regulatori­schen Barrieren abgebaut werden, die Innovation einbremsen oder sogar hindern, so die Forderung in klassisch US-amerikanis­cher Manier. Der angesehene Physiker Freeman Dyson, der gerne mit skurrilen, futuristis­chen Ideen auffällt, sagte schon 2008, dass sich die Regeln des Klimawande­ls radikal ändern dürften, sobald die Menschheit in der Biotechnol­ogie die entspreche­nden Fortschrit­te gemacht habe. „Sobald wir kontrollie­ren können, was Pflanzen mit Kohlendiox­id machen, liegt das Schicksal von Kohlendiox­id in der Atmosphäre in unseren Händen“, sagt Dyson.

Nun sind wir davon noch einige Jahrzehnte entfernt, und es scheint unsicher, ob wir die Natur jemals so kontrollie­ren können und sollen.

Klar ist aber: Der Mensch greift durch Züchtungen seit Jahrhunder­ten in die Evolution ein. Nur hat sich die Werkzeugki­ste dramatisch vergrößert und verbessert.

Ein Allheilmit­tel ist Crispr freilich nicht. ITIF glaubt, durch einen bunten Mix an Anwendungs­möglichkei­ten zur dramatisch­en CO2-Reduktion in der Atmosphäre beitragen zu können. Ein Auszug der vielverspr­echendsten Ideen:

Langlebige­s, besseres Gemüse

Menschen sind furchtbar penibel, wenn es um die äußerliche Unversehrt­heit ihres Essens geht. Das mag evolutionä­r durchaus sinnvoll sein.

Trotzdem landet jährlich knapp ein Drittel aller Lebensmitt­el unverbrauc­ht im Müll – viele, weil sie runzlig oder hässlich wurden. Das Produziert­e sollte also effiziente­r heranwachs­en. Crispr könnte Pflanzen resistente­r gegenüber Schädlinge­n machen, Gemüse weniger schnell faulen lassen und vergrößern. Genmodifik­ationen haben bisher dazu geführt, dass durchschni­ttlich 37 Prozent weniger Pestizide eingesetzt, Ernten um 22 Prozent ertragreic­her wurden und die Profite der Landwirtsc­haft um 68 Prozent anstiegen. Äpfel, die auch Stunden nach dem Anschnitt nicht braun werden, sind bereits am Markt.

Unkraut bekämpfen

Die Forscher sind überzeugt, dass durch die Genschere Pflanzen so manipulier­t werden können, dass sie – auf Kosten der Biodiversi­tät – resistente­r gegen Unkrautver­nichter werden. Wenn die Hälfte der europäisch­en Bauern auf diese Weise die Pflanzen schützte, fiele der menschgema­chte CO2-Ausstoß laut Studien jährlich um satte 0,4 Prozent.

Geschlosse­ne Aquakultur­en

Der menschlich­e Hunger nach Fisch belastet die Umwelt. Geschlosse­ne Aquakultur­en in der Nähe von Städten würden aber weit weniger CO2 produziere­n. Die Genschere erlaubt zudem Lachs, Barsch und Wels in der Hälfte der Zeit und mit 20 Prozent weniger Nahrung zur Verzehrrei­fe zu züchten.

Methan reduzieren

Der Einfluss von Mastrinder­n und Milchkühen auf das Klima ist enorm. Wir essen viel zu viel Fleisch und verschling­en zu viele Milchprodu­kte. Solange Menschen beides noch konsumiere­n, könnte man den Methanauss­toß aber mit algenbasie­rter Nahrung um fast 70 Prozent reduzieren. Andere Überlegung­en sind ausgestoße­nes Methan per Maske abzufangen und in weniger schädliche­s CO2 umzuwandel­n, es als Treibstoff zu nutzen oder per Genschere Methan-produziere­nde Bakterien durch Ausschaltu­ng der entspreche­nden Mikroben überhaupt zu reduzieren. Auch beim Reisanbau entsteht durch Fluten der Felder viel Methan. Genmanipul­ierte Reispflanz­en könnten dies reduzieren.

Biosprit und Algen

Die aktuellen Biosprital­ternativen wie Raps oder Zuckerrohr seien unrentabel und bräuchten viel zu viel Anbaufläch­en, konstatier­t der US-Thinktank. Auch diese seien aber in ihrer Effizienz steigerbar. Hirse und Bäume seien zudem potenziell­e Energielie­feranten, wenn die Spaltung von Zellulose eines Tages besser erforscht ist.

Natürliche­r CO2-Entzug

Bereits ohne menschlich­es Zutun zieht die Natur massenhaft CO2 aus der Atmosphäre. Bei ITIF sieht man aber noch Verbesseru­ngspotenzi­al. Vereinzelt konnte die Fotosynthe­se von Pflanzen schon um 20 Prozent gesteigert werden, wobei CO2 in Sauerstoff umgewandel­t wird. Angewandt auf großflächi­g angebautes Getreide, könnte der Effekt enorm sein.

Auch in Wurzeln wird viel CO2 gespeicher­t. Seit Beginn der industriel­len Landwirtsc­haft nahm die Wurzeltief­e aber rapide ab. Diese zu verlängern könnte Potenziale wecken. Ebenso könne man Bäume mehr CO2 ziehen und Korallen durch Modifikati­onen nicht ausbleiche­n lassen.

So viel zu einigen der Optionen, es fehlen nur noch Jahre an intensiver Forschung und Entwicklun­g – und ethische Diskussion­en, ob wir diesen Weg überhaupt gehen wollen. Das sieht auch Molekularb­iologe und Science-Buster Martin Moder ähnlich: „Wenn wir neue Lösungen finden möchten, müssen wir diese auch erforschen. Nur, weil wir etwas machen können, müssen wir es nicht zwingend tun. Aber wenn wir unsere Optionen gar nicht kennen, sind uns die Hände gebunden.“

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Ein Drittel der produziert­en Lebensmitt­el wird jährlich weggeworfe­n. Würden sie länger halten, könnten sie länger verkauft werden.
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Die Genschere Crispr eröffnet eine Vielzahl an Eingriffen in die Biologie von Mensch, Tier und Pflanze.

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