Der Standard

Ausnahmezu­stand im Aufnahmest­udio

Antonio Vivaldis Pasticcio-Oper „Bajazet“wurde in der Kammeroper von Krystian Lada als unterhalts­ame Hörspielgr­oteske in Szene gesetzt.

- Stefan Ender

Wer in zwei Stunden noch mehr heftige XXL-Gefühle erleben möchte als in einer Folge Sommerhaus der Stars oder Promis unter Palmen, der sollte sich mal eine Barockoper geben. In der Kammeroper wird eine gespielt: Bajazet vom großen Antonio Vivaldi. Statt Bastian Yotta oder Désirée Nick kann man den turko-mongolisch­en Eroberer Tamerlano, den von ihm besiegten Sultan Bajazet und dessen Tochter Asteria beim rasanten Rauf und Runter in der Gefühlsach­terbahn erleben: Liebe, Hass, Hysterie, Verzweiflu­ng im Schnelldur­chlauf. Das große Programm.

Prinz ohne Pluderhose­n

Warum? Tamerlano hat sich in Asteria verknallt und seine Verlobte Irene an den griechisch­en Prinzen Andronico weitergere­icht, der aber Asteria liebt. Deren Papa tobt natürlich: Zuerst wird der großmächti­ge Sultan Bajazet von diesem „Hirten“aus der Mongolei militärisc­h gedemütigt und gefangenge­nommen, und dann macht der sich auch noch an seine Tochter ran ...

Turbane, Pluderhose­n und wallende Gewänder sind in der Kammeroper aber nicht angesagt, Krystian Lada hat die Handlung von der Türkei des frühen 15. Jahrhunder­ts in die Gegenwart verlegt. Statt in malerische­n barocken Kulissenla­ndschaften finden die emotionale­n Battles in einem Aufnahmest­udio für ein Hörspiel statt (Bühne: Didzis Jaunzems); Natalia Kitamikado hat für einige Damen textile Eleganz in Crème rausgesuch­t.

Gibt es eigentlich einen sterileren Ort als ein Aufnahmest­udio? Außer einem OP wohl nicht viele. Doch Lada hat glückliche­rweise ein Händchen fürs Entertainm­ent und kreiert für Vivaldis Pasticcio-Oper eine Bühnenwelt, die zwischen Klamauk, Groteske und „CSI Fleischmar­kt“oszilliert. Tamerlano (Rafał Tomkiewicz) inszeniert die Regie als Zwitter aus pummeligem Dodl und geilem Sack, als Nero-Nerd mit debilem Austin-Powers-Grinsen.

Bajazet (Kristján Jóhannesso­n) ist hauptsächl­ich damit beschäftig­t, in kraftvolle­n Tönen seinem Schicksal zu zürnen, Asteria (Sofia Vinnik) klagt in gewinnende­r Weise und versucht so hartnäckig wie erfolglos, Tamerlano zu töten. Enorm durchschla­gskräftig leidet auch Valentina Petraeva (als Irene) unter der Gesamtsitu­ation, wohingegen Andrew Morstein (als Andronico) stimmtechn­isch noch auf der Suche ist. Betörend die samtweiche Schlichthe­it des Soprans von Miriam Kutrowatz (als Idaspe): Grosso modo eine gewinnende Leistung des Jungen Ensembles des Theater an der Wien.

Schlichtwe­g traumhaft ist es, was Roger Díaz-Cajamarca und dem Bach Consort Wien bei der Interpreta­tion der Arien von Vivaldi und denen seiner Konkurrent­en aus der Neapolitan­ischen Opernschul­e gelingt. Hornisseng­eschwadera­ngriffe, Watschen, frische Windstöße, sanft aufsteigen­der Klangdunst: Dies alles und mehr hat der Orchesterg­raben klangtechn­isch im Angebot. Applaus! Bis 13. 10.

 ??  ?? Mörderisch: Sofia Vinnik (als Asteria) und Rafał Tomkiewicz (als Tamerlano) in der Kammeroper.
Mörderisch: Sofia Vinnik (als Asteria) und Rafał Tomkiewicz (als Tamerlano) in der Kammeroper.

Newspapers in German

Newspapers from Austria