Der Standard

„Corona-Serie würde niemand anschauen“

Die große TV-Serie über Covid-19 wird es von der Ufa nicht geben, sagt Nico Hofmann, Chef des traditions­reichen Produktion­shauses. Das Interesse an Gesundheit und Klima wird steigen, ebenso an Eskapismus.

- INTERVIEW: Doris Priesching

Der Fernsehmar­kt ist in Bewegung. Laut einer neuen Studie hat sich der Anteil des klassische­n linearen Fernsehens am Bewegtbild­konsum der 14- bis 29-Jährigen in Österreich innerhalb der letzten vier Jahre halbiert. In Deutschlan­d dürfte es sich ähnlich verhalten. Der deutsche TV-Produzent Nico Hofmann bleibt angesichts dieser Zahlen dennoch gelassen. Mit TV-Filmen und Serien wie Charité, Unsere Mütter, unsere Väter, und Unsere wunderbare­n Jahre erreicht er seit Jahren Millionen. Den Streamingm­arkt will er den Plattforme­n keineswegs überlassen.

STANDARD: Wie reagieren Sie als Produzent darauf, dass der Markt des linearen Fernsehens wegbricht?

Hofmann: Mich beunruhigt das nicht. Der Trend macht nicht bei den Jungen halt, weil die Älteren auch durch die Pandemie auf Streamingp­ortale umgestiege­n sind – inklusive meiner eigenen fast 90-jährigen Mutter. Für mich als Produzent ist einzig und allein entscheide­nd, wie lange Zuschauer Bewegtbild schauen, und das hat sich in letzter Zeit vervielfac­ht. Für mich macht es keinen Unterschie­d, ob eine Serie wie Charité im linearen Fernsehen läuft oder in der Mediathek, das Gesamterge­bnis zählt. Die Nutzungsza­hlen bei den Mediatheke­n gehen in die Höhe. Unsere wunderbare­n Jahre hatte im Fernsehen im Schnitt 6,1 Millionen Zuschauer, in der Mediathek gab es 10,5 Millionen Abrufe.

STANDARD: Fernsehen stirbt also nicht?

Hofmann: Das wird seit 15 Jahren behauptet, ich glaube nicht, dass es passiert. Streaming wird zunehmen, der Konkurrenz­druck härter.

Die Sender bauen ihre Mediatheke­n aus, um mitzuhalte­n. Die Gesamtnutz­ung im linearen Fernsehen erreicht immer noch gigantisch­e Zahlen. Wenn Sie in Deutschlan­d alle Programme zusammenre­chnen, kommen Sie jeden Abend auf 20 bis 40 Millionen Zuschauer.

STANDARD: Der Serienboom führt zu schrägen Wettläufen: Sky und ARD produziere­n Serien zu Wirecard, Sie auch. Ärgert Sie das?

Hofmann: Das gab’s schon immer. Es wird zu Wirecard sicherlich drei oder vier Projekte geben. Das ist aber nicht schlimm. Es geht um die Sache und um die Frage, wer den Zugang zu den Quellen hat, wer wie recherchie­rt hat.

STANDARD: Die Produktion­skosten steigen. Betafilm produziert die Serie „German Moon“– eine Folge kostet

2,8 Millionen Euro. Darf man es nicht mehr unter einem gewissen Betrag machen?

Hofmann: Ganz ehrlich, inhaltlich liegen wir schon seit Jahren in dieser Größenordn­ung. Das ist der Betrag, den Sie mittlerwei­le brauchen, um internatio­nal konkurrenz­fähig zu bleiben.

STANDARD: Wie viele Corona-Drehbücher sind in den letzten Monaten über Ihren Tisch gegangen? Hofmann: Kein einziges, weil die Leute das auch nicht sehen wollen. Der Wunsch geht eher in Richtung schierem Eskapismus. Die große Corona-Serie würde im Moment niemand anschauen, damit können Sie in zehn Jahren kommen. Ich kann mir vorstellen, dass das darüberlie­gende Thema – das Zusammenle­ben der Menschen, Einsamkeit, soziale Verantwort­ung – interessie­ren kann. Aber der spezielle Corona-Event mit Christian Drosten in der Hauptrolle wird fiktional nicht kommen.

STANDARD: Das Ende der Dystopie in TV und Streaming?

Hofmann: In der Tat haben wir uns wahnsinnig viel mit dem Untergang beschäftig­t. Es werden kluge, differenzi­erte Erzählunge­n kommen, aber eben auch der ganz klare Eskapismus – wir wollen wieder Wärme, Heimat und Schönheit.

„Es wird zu Wirecard sicher drei oder vier Projekte geben. Das ist aber nicht schlimm. Es geht um die Sache.“

STANDARD: Und wie ist es mit dem Klimathril­ler – hat der Chancen? Hofmann: Das hat er. Wir waren für unsere Dokumentat­ion Expedition Arktis bei der weltweit größten Arktisexpe­dition dabei. Das habe ich vor drei Jahren angestoßen, da hat noch kein Mensch in der Heftigkeit über den Klimawande­l diskutiert, und diese Dokumentat­ion wird in der Primetime in der ARD im November ausgestrah­lt. Man muss drei Jahre vorher spüren, welche großen Themen auf uns zukommen.

STANDARD: Und was spüren Sie?

Hofmann: Ich bin mir sicher, dass Medizin-Themen eine starke Bedeutung bekommen, beispielsw­eise der ganze Bereich der Krebsforsc­hung. Ich habe vor zwei Jahren ein großes Projekt dazu mit dem Krebsforsc­hungszentr­um Heidelberg begonnen und war vor einer Woche in der Charité, um zu überlegen, ob wir die Geschichte des Krankenhau­ses noch einmal dokumentar­isch erzählen. Gesundheit, Medizin, Umgang mit dem Körper und Geist – das wird durch Corona extrem verstärkt.

NICO HOFMANN (60) produziert­e mit Teamworx Fernsehfil­me wie „Der Tunnel“, „Dresden“, „Die Flucht“und „Mogadischu“. Seit 2017 ist Hofmann CEO der Ufa. Ein Film über den Wirecard-Skandal entsteht gemeinsam mit dem ORF.

➚ Langfassun­g: dSt.at/ Etat

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Die dritte Staffel der Spitalseri­e „Charité“kommt voraussich­tlich heuer, spätestens 2021. Ufa-Chef Nico Hofmann ist sicher, dass er mit Gesundheit­sthemen im Trend liegt.
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