Ischgl-Kommission belastet Kurz
Kanzler habe mit Quarantäne Chaos ausgelöst – Kritik am Gesundheitsministerium
– Sieben Monate nach dem international bekannt gewordenen Corona-Cluster im Tiroler Paznauntal mit hunderten infizierten Skiurlaubern hat die sogenannte Ischgl-Kommission am Montag ihren Untersuchungsbericht vorgelegt. Behörden und die Regierung werden darin scharf kritisiert. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) habe damals „ohne unmittelbare Zuständigkeit“eine Quarantäne im betroffenen Gebiet angekündigt, es aber verabsäumt, die lokalen Behörden davon zu unterrichten. Damit habe Kurz für ein Chaos bei der Abreise von Urlaubern gesorgt, heißt es in dem Bericht der Kommission, die für ihre Untersuchung auch den Bundeskanzler selbst befragt hat. Wie der Kommissionsvorsitzende Ronald Rohrer ausführte, habe Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) damals noch darauf hingewiesen, dass es für eine Quarantäneverhängung noch Vorbereitungen gebraucht hätte.
Die später vieldiskutierten Presseaussendungen des Landes, in denen erklärt wurde, dass sich die isländischen Gäste im Flugzeug angesteckt hätten und dass eine Übertragung des Virus auf die Gäste eher unwahrscheinlich sei, waren „unwahr und schlecht“, urteilt die Expertenkommission.
Außerdem gibt es auch Kritik am Gesundheitsministerium. Dieses habe trotz frühen Wissens über die Ansteckungsgefahr den überarbeiteten Pandemieplan nicht veröffentlicht. Das veraltete Epidemiegesetz von 1950 wurde weder auf seine Anwendbarkeit in Tourismusgebieten geprüft noch wurden rechtzeitig Schritte eingeleitet, das Gesetz heutigen Gegebenheiten anzupassen. (red)
Der erste Corona-Lockdown begann am 13. März in Ischgl. Seitdem ließen sich mehr als 10.000 Infektionen mit dem Coronavirus auf die Tiroler Skiregion im Paznauntal zurückführen, darunter auch einige Todesopfer. Die Zahlen sprechen eine brutale Sprache und sind ein veritabler Image-Schaden für das Alpen-Eldorado. Bekannt ist, dass die abrupte Abreise tausender Touristen kurz vor der Isolation des Tales zu chaotischen Szenen geführt hatte und die Gefahr des Virus in Ischgl lange heruntergespielt wurde.
Auf die Frage, wer für die Causa Ischgl Verantwortung übernimmt, wurde bislang auf eine vom Land Tirol eingesetzte Expertenkommission verwiesen. Diese präsentierte am Montag ihren mit Spannung erwarteten Bericht. Die Bilanz des knapp 300-seitigen Dokuments lässt aufhorchen: „Folgenschwere Fehleinschätzungen“der lokalen Behörden, zu späte Reaktionen auf Infektionsverläufe, „unwahre“Informationen des Landes Tirol an die Bevölkerung und „Kommunikationsfehler“seitens Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) werden den Krisenmanagern in Land und Bund attestiert. Wer die politische Verantwortung trägt, wollte Kommissionsvorstand Ronald Rohrer dennoch nicht sagen. „Keine Zuständigkeit“, hieß es mehrmals.
Tatsächlich sollte sich die sechsköpfige Kommission nur auf Abläufe innerhalb Tirols konzentrieren, freilich wurden aber auch politische Verantwortungsträger des Bundes zum Geschehen befragt, insbesondere der Bundeskanzler höchstpersönlich. Er war es, der die Quarantäne über das Tal öffentlichkeitswirksam in einer Pressekonferenz am 13. März ankündigte – laut Experten „ohne unmittelbare Zuständigkeit“. Kurz habe es verabsäumt, vorab mit den lokalen Behörden einen gemeinsamen Evakuierungsplan zu erstellen. Durch den „Kommunikationsfehler“habe er die geregelte Abreise „behindert“und die panischen Reaktionen der Gäste und Mitarbeiter vor Ort verursacht.
Bei der Befragung durch Kommissionspräsident Ronald Rohrer schien sich der Kanzler wortkarg gegeben zu haben. Die sofortige Quarantäne sei „aus den Stäben“gekommen. Auf welcher Basis und aus welchem Gremium des Bundes dieser Vorschlag genau kam, beantwortete Kurz nicht, so Rohrer.
Kritik am Bund
Auch der zuständige Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) wurde kritisiert. Er habe verabsäumt, einen zeitgerechten Pandemieplan bereitzustellen und das Epidemiegesetz aus 1950 ins 21. Jahrhundert zu hieven. So habe er das Handeln der lokalen Behörden erschwert, so Rohrer.
Die Befragungen hätten ergeben, dass es außer einem Telefonat zwischen Kurz und Platter kurz vor der Pressekonferenz, bei der die Quarantäne verkündet wurde, keine Absprachen gab. Dies widerspricht mehrmaligen Aussagen des Landes Tirol, sich stets mit dem Bund abgesprochen zu haben und auch jenen Aussagen Kurz’, er wollte nicht „über Tirol hinweg“entscheiden.
Am allgemeinen Krisenmanagement des Landes lässt die Kommission kein gutes Haar: Der zuständige Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) hätte die Kompetenzen zur Bekämpfung der Pandemie unberechtigterweise an Landesamtsdirektor Herbert Forster delegiert. Somit hätte Tilg die Verantwortlichkeit „ausgedünnt“und Forster mit Verantwortung „überfrachtet“.
Die Kommission konnte seitens der zuständigen Landessanitätsdirektion keine „zielgerichtete Strategie“im Kampf gegen die Pandemie erkennen und versäumte es, bestehende Ressourcen zu nutzen und zu bündeln, obwohl diese eine „zentrale Rolle“spielten. Einen direkten Einfluss dieser Versäumnisse auf die Geschehnisse konnte die Kommission trotz alledem nicht feststellen.
Unwahrheiten
Vernichtend wird die Kommission bei ihren Ausführungen zur Öffentlichkeitsarbeit des Landes Tirol. Die Abteilung im zuständigen Landhaus habe „unwahre“Informationen verbreitet und „daher schlecht“gearbeitet. Sie solle ihre Arbeit künftig weniger als Sprachrohr der Politik und mehr als Filter für die Bevölkerung auslegen. Die Befragungen konnten aber auch hier keinen direkten Einfluss feststellen, wobei die Kommission festhält, dass die Aussendungen des Landes als behördliche Information ernst genommen worden seien.
Im zuständigen Bezirk Landeck waren die Behörden laut Bericht „organisatorisch
nicht ausreichend gut vorbereitet“. Dies betraf vor allem einen lückenhaften Katastrophenschutzplan, die Struktur des Landeskrisenstabs und die mangelhafte Dokumentation der Ereignisse. Auch die Beamten hätten ein kontrolliertes und gestaffeltes Ausreisemanagement mithilfe von Formularen sicherstellen müssen.
In der Gemeinde Ischgl muss nun Bürgermeister Werner Kurz (ÖVP) zittern. Ihm wird dezidiert vorgehalten, die Verordnung über die Schließung der Liftanlagen verzögert an der Gemeindetafel kundgemacht zu haben – und zwar um ganze zwei Tage. Die Befragung des Bürgermeisters wurde von der Kommission auch an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Es steht der Verdacht auf strafbare Handlungen im Raum. Für Werner Kurz gilt die Unschuldsvermutung.
Welche Konsequenzen die Erkenntnisse der Kommission in der Tiroler Politik haben werden, steht noch nicht fest. Dies wird ab Mittwoch im Tiroler Landtag debattiert. Allerdings zeigt sich die Tiroler Opposition bestätigt: Kein Stein dürfe jetzt auf den anderen bleiben, sagt die SPÖ. Auch die FPÖ und die Liste Fritz sehen Landeshauptmann Platter als obersten Krisenmanager in der Verantwortung.
Die Grünen als Koalitionspartner der ÖVP zeigten sich mit dem Bericht zufrieden. Die ÖVP scheint in einer ersten Aussendung von ihrer Strategie, zu betonen, dass alles richtig gemacht wurde, erstmals abgerückt zu sein. Von politischen Konsequenzen war aber am Montagnachmittag nichts zu hören. Im Gegenteil: Man müsse die damals getroffenen Entscheidungen immer auch im damaligen Kontext sehen die Opposition wolle jetzt nur politisches Kapital schlagen, so die ÖVP.