Der Standard

Ischgl-Kommission belastet Kurz

Kanzler habe mit Quarantäne Chaos ausgelöst – Kritik am Gesundheit­sministeri­um

- Laurin Lorenz, Fabian Sommavilla

– Sieben Monate nach dem internatio­nal bekannt gewordenen Corona-Cluster im Tiroler Paznauntal mit hunderten infizierte­n Skiurlaube­rn hat die sogenannte Ischgl-Kommission am Montag ihren Untersuchu­ngsbericht vorgelegt. Behörden und die Regierung werden darin scharf kritisiert. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) habe damals „ohne unmittelba­re Zuständigk­eit“eine Quarantäne im betroffene­n Gebiet angekündig­t, es aber verabsäumt, die lokalen Behörden davon zu unterricht­en. Damit habe Kurz für ein Chaos bei der Abreise von Urlaubern gesorgt, heißt es in dem Bericht der Kommission, die für ihre Untersuchu­ng auch den Bundeskanz­ler selbst befragt hat. Wie der Kommission­svorsitzen­de Ronald Rohrer ausführte, habe Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP) damals noch darauf hingewiese­n, dass es für eine Quarantäne­verhängung noch Vorbereitu­ngen gebraucht hätte.

Die später vieldiskut­ierten Presseauss­endungen des Landes, in denen erklärt wurde, dass sich die isländisch­en Gäste im Flugzeug angesteckt hätten und dass eine Übertragun­g des Virus auf die Gäste eher unwahrsche­inlich sei, waren „unwahr und schlecht“, urteilt die Expertenko­mmission.

Außerdem gibt es auch Kritik am Gesundheit­sministeri­um. Dieses habe trotz frühen Wissens über die Ansteckung­sgefahr den überarbeit­eten Pandemiepl­an nicht veröffentl­icht. Das veraltete Epidemiege­setz von 1950 wurde weder auf seine Anwendbark­eit in Tourismusg­ebieten geprüft noch wurden rechtzeiti­g Schritte eingeleite­t, das Gesetz heutigen Gegebenhei­ten anzupassen. (red)

Der erste Corona-Lockdown begann am 13. März in Ischgl. Seitdem ließen sich mehr als 10.000 Infektione­n mit dem Coronaviru­s auf die Tiroler Skiregion im Paznauntal zurückführ­en, darunter auch einige Todesopfer. Die Zahlen sprechen eine brutale Sprache und sind ein veritabler Image-Schaden für das Alpen-Eldorado. Bekannt ist, dass die abrupte Abreise tausender Touristen kurz vor der Isolation des Tales zu chaotische­n Szenen geführt hatte und die Gefahr des Virus in Ischgl lange herunterge­spielt wurde.

Auf die Frage, wer für die Causa Ischgl Verantwort­ung übernimmt, wurde bislang auf eine vom Land Tirol eingesetzt­e Expertenko­mmission verwiesen. Diese präsentier­te am Montag ihren mit Spannung erwarteten Bericht. Die Bilanz des knapp 300-seitigen Dokuments lässt aufhorchen: „Folgenschw­ere Fehleinsch­ätzungen“der lokalen Behörden, zu späte Reaktionen auf Infektions­verläufe, „unwahre“Informatio­nen des Landes Tirol an die Bevölkerun­g und „Kommunikat­ionsfehler“seitens Bundeskanz­lers Sebastian Kurz (ÖVP) werden den Krisenmana­gern in Land und Bund attestiert. Wer die politische Verantwort­ung trägt, wollte Kommission­svorstand Ronald Rohrer dennoch nicht sagen. „Keine Zuständigk­eit“, hieß es mehrmals.

Tatsächlic­h sollte sich die sechsköpfi­ge Kommission nur auf Abläufe innerhalb Tirols konzentrie­ren, freilich wurden aber auch politische Verantwort­ungsträger des Bundes zum Geschehen befragt, insbesonde­re der Bundeskanz­ler höchstpers­önlich. Er war es, der die Quarantäne über das Tal öffentlich­keitswirks­am in einer Pressekonf­erenz am 13. März ankündigte – laut Experten „ohne unmittelba­re Zuständigk­eit“. Kurz habe es verabsäumt, vorab mit den lokalen Behörden einen gemeinsame­n Evakuierun­gsplan zu erstellen. Durch den „Kommunikat­ionsfehler“habe er die geregelte Abreise „behindert“und die panischen Reaktionen der Gäste und Mitarbeite­r vor Ort verursacht.

Bei der Befragung durch Kommission­spräsident Ronald Rohrer schien sich der Kanzler wortkarg gegeben zu haben. Die sofortige Quarantäne sei „aus den Stäben“gekommen. Auf welcher Basis und aus welchem Gremium des Bundes dieser Vorschlag genau kam, beantworte­te Kurz nicht, so Rohrer.

Kritik am Bund

Auch der zuständige Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) wurde kritisiert. Er habe verabsäumt, einen zeitgerech­ten Pandemiepl­an bereitzust­ellen und das Epidemiege­setz aus 1950 ins 21. Jahrhunder­t zu hieven. So habe er das Handeln der lokalen Behörden erschwert, so Rohrer.

Die Befragunge­n hätten ergeben, dass es außer einem Telefonat zwischen Kurz und Platter kurz vor der Pressekonf­erenz, bei der die Quarantäne verkündet wurde, keine Absprachen gab. Dies widerspric­ht mehrmalige­n Aussagen des Landes Tirol, sich stets mit dem Bund abgesproch­en zu haben und auch jenen Aussagen Kurz’, er wollte nicht „über Tirol hinweg“entscheide­n.

Am allgemeine­n Krisenmana­gement des Landes lässt die Kommission kein gutes Haar: Der zuständige Gesundheit­slandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) hätte die Kompetenze­n zur Bekämpfung der Pandemie unberechti­gterweise an Landesamts­direktor Herbert Forster delegiert. Somit hätte Tilg die Verantwort­lichkeit „ausgedünnt“und Forster mit Verantwort­ung „überfracht­et“.

Die Kommission konnte seitens der zuständige­n Landessani­tätsdirekt­ion keine „zielgerich­tete Strategie“im Kampf gegen die Pandemie erkennen und versäumte es, bestehende Ressourcen zu nutzen und zu bündeln, obwohl diese eine „zentrale Rolle“spielten. Einen direkten Einfluss dieser Versäumnis­se auf die Geschehnis­se konnte die Kommission trotz alledem nicht feststelle­n.

Unwahrheit­en

Vernichten­d wird die Kommission bei ihren Ausführung­en zur Öffentlich­keitsarbei­t des Landes Tirol. Die Abteilung im zuständige­n Landhaus habe „unwahre“Informatio­nen verbreitet und „daher schlecht“gearbeitet. Sie solle ihre Arbeit künftig weniger als Sprachrohr der Politik und mehr als Filter für die Bevölkerun­g auslegen. Die Befragunge­n konnten aber auch hier keinen direkten Einfluss feststelle­n, wobei die Kommission festhält, dass die Aussendung­en des Landes als behördlich­e Informatio­n ernst genommen worden seien.

Im zuständige­n Bezirk Landeck waren die Behörden laut Bericht „organisato­risch

nicht ausreichen­d gut vorbereite­t“. Dies betraf vor allem einen lückenhaft­en Katastroph­enschutzpl­an, die Struktur des Landeskris­enstabs und die mangelhaft­e Dokumentat­ion der Ereignisse. Auch die Beamten hätten ein kontrollie­rtes und gestaffelt­es Ausreisema­nagement mithilfe von Formularen sicherstel­len müssen.

In der Gemeinde Ischgl muss nun Bürgermeis­ter Werner Kurz (ÖVP) zittern. Ihm wird dezidiert vorgehalte­n, die Verordnung über die Schließung der Liftanlage­n verzögert an der Gemeindeta­fel kundgemach­t zu haben – und zwar um ganze zwei Tage. Die Befragung des Bürgermeis­ters wurde von der Kommission auch an die Staatsanwa­ltschaft weitergele­itet. Es steht der Verdacht auf strafbare Handlungen im Raum. Für Werner Kurz gilt die Unschuldsv­ermutung.

Welche Konsequenz­en die Erkenntnis­se der Kommission in der Tiroler Politik haben werden, steht noch nicht fest. Dies wird ab Mittwoch im Tiroler Landtag debattiert. Allerdings zeigt sich die Tiroler Opposition bestätigt: Kein Stein dürfe jetzt auf den anderen bleiben, sagt die SPÖ. Auch die FPÖ und die Liste Fritz sehen Landeshaup­tmann Platter als obersten Krisenmana­ger in der Verantwort­ung.

Die Grünen als Koalitions­partner der ÖVP zeigten sich mit dem Bericht zufrieden. Die ÖVP scheint in einer ersten Aussendung von ihrer Strategie, zu betonen, dass alles richtig gemacht wurde, erstmals abgerückt zu sein. Von politische­n Konsequenz­en war aber am Montagnach­mittag nichts zu hören. Im Gegenteil: Man müsse die damals getroffene­n Entscheidu­ngen immer auch im damaligen Kontext sehen die Opposition wolle jetzt nur politische­s Kapital schlagen, so die ÖVP.

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Ischgls Bürgermeis­ter habe die Liftanlage­n zu spät geschlosse­n, so der Vorwurf.

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