Der Standard

Streit um Gas, Einfluss und Territoria­lgewässer im östlichen Mittelmeer

Der aktuelle Disput um die Gasexplora­tionen und Seegrenzen beruht auf einem schwelende­n geopolitis­chen Konflikt, der das Zypern-Problem einschließ­t.

- FRAGE & ANTWORT: Adelheid Wölfl

Frage: Was stand am Beginn des Konflikts im östlichen Mittelmeer? Antwort: 2009 und 2010 wurde in Gewässern von Israel und Zypern Gas gefunden. Danach begann die Exploratio­n. 2018 entsandte die Türkei das Forschungs­schiff Oruç Reis in Gewässer, die auch von Zypern beanspruch­t werden. Zypern verfügt über keine staatliche­n Unternehme­n, die Bohrungen machen. Im August 2020 erweiterte sich das Problem, weil die Oruç Reis auch in Gewässern in der Nähe der Insel Kasteloriz­o schiffte, die von Griechenla­nd beanspruch­t werden.

Frage: Welches Recht ist für Seegrenzen entscheide­nd?

Antwort: Das Seerechtsü­bereinkomm­en der Vereinten Nationen wurde am 10. Dezember 1982 in Montego Bay (Jamaika) beschlosse­n und legt die Breite des Küstenmeer­es und die Regelungen zum Festlandso­ckel fest. Die Breite des Küstenmeer­s (Hoheitsgew­ässer, Territoria­lgewässer) darf jeder Staat demnach bis zu einer Grenze von höchstens zwölf Meilen (etwa 22 Kilometer) ausdehnen. In der Sonderwirt­schaftszon­e kann der Staat bis zu einer Ausdehnung von 200 Seemeilen (370,4 km) über die natürliche­n Ressourcen – also Meeresbewo­hner und Bodenschät­ze – verfügen und die wirtschaft­liche Nutzung steuern. Jenseits dieser Ausdehnung des Festlandso­ckels liegt dann der internatio­nale Meeresbode­n.

Frage: Worüber streiten Griechenla­nd und die Türkei zurzeit?

Antwort: Die Türkei hat das Seerechtsa­bkommen nicht ratifizier­t. Gestritten wird über Seegrenzen. Griechenla­nd beanspruch­t die Gewässer rund um die Insel Kasteloriz­o, die Türkei sieht diese als Teil der Gewässer ihres Festlandso­ckels. Die Türkei kündigte zudem im August an, dass es für sie einen Kriegskei grund darstellen würde, wenn Griechenla­nd die Hoheitsgew­ässer rund um die Inseln von sechs auf zwölf Meilen ausdehnen würde. Dies hat Athen bislang nur mit Inseln im Ionischen Meer gemacht, nicht aber in der Ägäis. Nach türkischer Auffassung sollen kleine Inseln in unmittelba­rer Nähe der türkischen Küste weniger zugesproch­en bekommen. Die Insel Kasteloriz­o stellt nach türkischer Lesart nur eine Enklave dar.

Frage: Welche Interessen spielen eine Rolle?

Antwort: Griechenla­nd geht es um die Bodenschät­ze Öl und Gas. Der Türkei geht es um mehr, denn sie ist in den Konflikt in Libyen involviert und will in der östlichen Ägäis eine Rolle spielen. Sie hat ein Abkommen über eine Wirtschaft­szone mit Libyen abgeschlos­sen, innerhalb derer beide Gas exploriere­n wollen. Athen sieht dadurch griechisch­e Seegrenzen verletzt – etwa jene um Rhodos und Kreta. Griechenla­nd und Ägypten haben ebenso ein Abkommen über eine Wirtschaft­szone geschlosse­n. Zudem haben sich Israel, Griechenla­nd und Zypern auf den Bau einer Pipeline geeinigt, die Gas nach Europa transporti­eren soll. Die Türfühlt sich dabei ausgeschlo­ssen. Das Pipelinepr­ojekt liegt auf Eis, weil die Kosten hoch sind.

Frage: Wie könnte es zu einer Streitbeil­egung kommen?

Antwort: Eine Entscheidu­ng müsste letztendli­ch ein Gericht treffen, aber die beiden Staaten müssten zunächst zu verhandeln beginnen.

Griechenla­nd will den Internatio­nalen Gerichtsho­f zur Beilegung des Streits um den Festlandso­ckel anrufen, aber die Türkei anerkennt dessen Zuständigk­eit nicht. Ein Staat kann nicht zur Teilnahme bei einem Verfahren gezwungen werden. Die Türkei will auch über die Entmilitar­isierung der Ägäischen Inseln und den Luftraum sprechen.

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