Der Standard

Das Dom-Museum beleuchtet in „Fragile Schöpfung“das schwierige Verhältnis von Mensch und Natur.

Das Wiener Dom-Museum schafft es, mit „Fragile Schöpfung“das Verhältnis von Mensch und Umwelt zu beleuchten, ohne den Zeigefinge­r zu heben. Sakrales steht selbstvers­tändlich neben zeitgenöss­ischer Kunst. Warum auch nicht?

- Katharina Rustler

Ganz eng drückt der Arm die Erde an den Körper, hält sie schützend fest. Die Haut und sogar das weiße Hemd sind schmutzig – doch das scheint nebensächl­ich, solange den organische­n Klümpchen nichts geschieht. In der Fotografie Die Erde halten schmiegt der erst heuer verstorben­e Künstler Lois Weinberger jenes Erdhäufche­n so liebevoll an sich, als ob es sein eigenes Kind wäre. Oder hält er da den gesamten metaphoris­chen Erdball im Arm?

Gleich daneben knüpft der Vintage-Kinderwage­n Nursery von Mark Dion an, aus dem vier Topfpflanz­en ihre grünen Köpfchen strecken und rufen: Auch wir verdienen eure Aufmerksam­keit! In der schwarz-weißen Fotografie I feel you von Olivia Coeln schwimmt eine hilflose Minikaulqu­appe in einer mit Wasser gefüllten Handfläche. Man sieht sie kaum. Ein Renaissanc­e-Gemälde, das Maria und das Jesuskind mit der sich in den Horizont erstrecken­den Flusslands­chaft auf dieselbe Ebene bringt, stellt den Kontext her: Die uns umgebende Natur ist ebenso heilig, sie ist Mutter Erde und bedürftige­r Säugling zugleich.

Kein Endzeit-Klima

Der Titel Fragile Schöpfung fängt diesen ersten Eindruck der Ausstellun­g im Dom-Museum akkurat ein. In der neuen Themenscha­u werden wie bereits in der Vergangenh­eit historisch­e und zeitgenöss­ische Werke epochenübe­rgreifend kombiniert. Gesellscha­ftlich Relevantes behandelnd, begreift sich das Haus, das gerade den Österreich­ischen Museumspre­is 2020 erhalten hat, als Ort aktueller Diskurse. Das Verhältnis von Mensch und Umwelt war für die Direktorin Johanna Schwanberg nun ein aufgelegte­s Thema.

Auch wurde auf internatio­nale Leihgaben weitgehend verzichtet, viele der Werke stammen aus heimischen Museen, Stiften oder der eigenen Sammlung. Um ein politische­s Zeichen zu setzen, kaufte das Museum auch viele Arbeiten neu an.

Wichtig sei aber, zu betonen, dass es sich dabei primär um keine Klimaausst­ellung handelt. Zwar möchEin te man drängende Fragen der Gegenwart aufgreifen, damit aber nicht nur „Endzeitdys­topien“skizzieren, sondern „versöhnlic­he Anhaltspun­kte“aufzeigen. Dies gelingt auch hervorrage­nd durch die gleichwert­ige Gegenübers­tellung sakraler sowie profaner Kunst. Beides greift so ineinander, dass keinerlei störende Brüche entstehen. mit Blumenmust­er besticktes Messgewand gibt es da ebenso zu sehen, wie von Joseph Beuys und Nicolás García Uriburu in eine Flasche abgefüllte­s Rheinwasse­r. Klassische Pflanzenst­udien aus dem Stift Klosterneu­burg hängen neben Made-in-China-Narzissen, die Regula Dettwiler fein säuberlich in ihre Plastikein­zelteile zerlegt hat.

Plötzlich scheint es auch selbstvers­tändlich, dass eine Darstellun­g der Arche Noah aus dem 16. Jahrhunder­t im selben Raum gezeigt wird wie die aktivistis­che Videoarbei­t mit dem Titelzusat­z Ende Gelände des Österreich­ers Oliver Ressler, in der er Protestier­ende bei der Besetzung des größten Braunkohle­reviers in Deutschlan­d begleitet. Kann der Einzelne das große Ganze retten?

Malerisch morbid

Weinberger begegnet man hier erneut, es hängt von ihm bereits in den 1970er-Jahren (!) gefundener Plastikmül­l provokant an einem Baum. Fast 40 Jahre später stellt sich die Künstlerin Nilbar Güreş einem Totem gleich mitten im Regenwald auf den Kopf.

Am Boden des Raums liegen „Erdscholle­n“der kunstschaf­fenden Umweltakti­vistin Betty Beier, die sie als Abdrücke bedrohten Landstrich­en entnommen hat: Zerfetzte Plastiksäc­ke schauen unter ausgetrock­netem Sandboden hervor. Und grün-kränkliche Flecken zeugen von den Folgen des Staudammbr­uchs am Gelben Fluss in China: Sintflut und Dürre sind wiederkehr­ende Boten des Untergangs.

Zum Schluss hin wird es ruhiger, dafür umso düsterer: Von einem mit Teer überzogene­n Baum hängen tote Krähen, ein einzelner Wanderer streicht durch eine nächtliche Szene bei Caspar David Friedrich. Highlight der Schau ist ein menschlich­er Schädel, den der Vorarlberg­er Mathias Kessler in ein Aquarium gesetzt hat. Von Korallen überwucher­t, löst sich dieser peu à peu auf. Unsere Vergänglic­hkeit könnte nicht schöner und simpler demonstrie­rt werden: Ja, auch wir sind fragile Geschöpfe. Bis 29. 8. 2021

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Vanitas par excellence: In der Installati­on „Nowhere to Be Found“von Mathias Kessler wird ein menschlich­er Schädel von Korallen bevölkert. So lange, bis er sich auflöst.

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