Das Dom-Museum beleuchtet in „Fragile Schöpfung“das schwierige Verhältnis von Mensch und Natur.
Das Wiener Dom-Museum schafft es, mit „Fragile Schöpfung“das Verhältnis von Mensch und Umwelt zu beleuchten, ohne den Zeigefinger zu heben. Sakrales steht selbstverständlich neben zeitgenössischer Kunst. Warum auch nicht?
Ganz eng drückt der Arm die Erde an den Körper, hält sie schützend fest. Die Haut und sogar das weiße Hemd sind schmutzig – doch das scheint nebensächlich, solange den organischen Klümpchen nichts geschieht. In der Fotografie Die Erde halten schmiegt der erst heuer verstorbene Künstler Lois Weinberger jenes Erdhäufchen so liebevoll an sich, als ob es sein eigenes Kind wäre. Oder hält er da den gesamten metaphorischen Erdball im Arm?
Gleich daneben knüpft der Vintage-Kinderwagen Nursery von Mark Dion an, aus dem vier Topfpflanzen ihre grünen Köpfchen strecken und rufen: Auch wir verdienen eure Aufmerksamkeit! In der schwarz-weißen Fotografie I feel you von Olivia Coeln schwimmt eine hilflose Minikaulquappe in einer mit Wasser gefüllten Handfläche. Man sieht sie kaum. Ein Renaissance-Gemälde, das Maria und das Jesuskind mit der sich in den Horizont erstreckenden Flusslandschaft auf dieselbe Ebene bringt, stellt den Kontext her: Die uns umgebende Natur ist ebenso heilig, sie ist Mutter Erde und bedürftiger Säugling zugleich.
Kein Endzeit-Klima
Der Titel Fragile Schöpfung fängt diesen ersten Eindruck der Ausstellung im Dom-Museum akkurat ein. In der neuen Themenschau werden wie bereits in der Vergangenheit historische und zeitgenössische Werke epochenübergreifend kombiniert. Gesellschaftlich Relevantes behandelnd, begreift sich das Haus, das gerade den Österreichischen Museumspreis 2020 erhalten hat, als Ort aktueller Diskurse. Das Verhältnis von Mensch und Umwelt war für die Direktorin Johanna Schwanberg nun ein aufgelegtes Thema.
Auch wurde auf internationale Leihgaben weitgehend verzichtet, viele der Werke stammen aus heimischen Museen, Stiften oder der eigenen Sammlung. Um ein politisches Zeichen zu setzen, kaufte das Museum auch viele Arbeiten neu an.
Wichtig sei aber, zu betonen, dass es sich dabei primär um keine Klimaausstellung handelt. Zwar möchEin te man drängende Fragen der Gegenwart aufgreifen, damit aber nicht nur „Endzeitdystopien“skizzieren, sondern „versöhnliche Anhaltspunkte“aufzeigen. Dies gelingt auch hervorragend durch die gleichwertige Gegenüberstellung sakraler sowie profaner Kunst. Beides greift so ineinander, dass keinerlei störende Brüche entstehen. mit Blumenmuster besticktes Messgewand gibt es da ebenso zu sehen, wie von Joseph Beuys und Nicolás García Uriburu in eine Flasche abgefülltes Rheinwasser. Klassische Pflanzenstudien aus dem Stift Klosterneuburg hängen neben Made-in-China-Narzissen, die Regula Dettwiler fein säuberlich in ihre Plastikeinzelteile zerlegt hat.
Plötzlich scheint es auch selbstverständlich, dass eine Darstellung der Arche Noah aus dem 16. Jahrhundert im selben Raum gezeigt wird wie die aktivistische Videoarbeit mit dem Titelzusatz Ende Gelände des Österreichers Oliver Ressler, in der er Protestierende bei der Besetzung des größten Braunkohlereviers in Deutschland begleitet. Kann der Einzelne das große Ganze retten?
Malerisch morbid
Weinberger begegnet man hier erneut, es hängt von ihm bereits in den 1970er-Jahren (!) gefundener Plastikmüll provokant an einem Baum. Fast 40 Jahre später stellt sich die Künstlerin Nilbar Güreş einem Totem gleich mitten im Regenwald auf den Kopf.
Am Boden des Raums liegen „Erdschollen“der kunstschaffenden Umweltaktivistin Betty Beier, die sie als Abdrücke bedrohten Landstrichen entnommen hat: Zerfetzte Plastiksäcke schauen unter ausgetrocknetem Sandboden hervor. Und grün-kränkliche Flecken zeugen von den Folgen des Staudammbruchs am Gelben Fluss in China: Sintflut und Dürre sind wiederkehrende Boten des Untergangs.
Zum Schluss hin wird es ruhiger, dafür umso düsterer: Von einem mit Teer überzogenen Baum hängen tote Krähen, ein einzelner Wanderer streicht durch eine nächtliche Szene bei Caspar David Friedrich. Highlight der Schau ist ein menschlicher Schädel, den der Vorarlberger Mathias Kessler in ein Aquarium gesetzt hat. Von Korallen überwuchert, löst sich dieser peu à peu auf. Unsere Vergänglichkeit könnte nicht schöner und simpler demonstriert werden: Ja, auch wir sind fragile Geschöpfe. Bis 29. 8. 2021