Der Standard

Hier hab ich Raum, hier kann ich sein

Das Wiener Stadterkun­dungsfesti­val Urbanize betont die Wichtigkei­t des öffentlich­en Raums als Gemeingut – Corona-bedingt ist das aktueller denn je.

- Amira Ben Saoud

Zynisch könnte man behaupten, dass Urbanize, das Festival für urbane Erkundunge­n, elf Jahre alt werden musste, um erstmals wirklich wichtig zu sein. Doch ist es umgekehrt: Das Festival und die Fragen, die es stellt, waren immer aktuell, seine Relevanz wird aber heuer besonders augenschei­nlich – die Pandemie verbannt uns in die Privaträum­e, von einem zweiten Biedermeie­r ist die Rede.

Wie sehr das verstimmt, sieht man nicht zuletzt daran, wie unterschie­dlich die Gruppen gesinnt sind, die einfach nur rauswollen: Verschwöru­ngstheoret­iker demonstrie­ren auf den Straßen, die Jugend wollte sich Orte wie Karlsplatz oder Donaukanal nicht wegnehmen lassen. Verantwort­ungslos mag das beides sein, aber es zeigt, wie sehr der Wunsch nach Gemeinscha­ft und einem Zusammenko­mmen auch mit dem Wunsch, im wahrsten Sinne des Wortes in der Öffentlich­keit zu stehen, verbunden ist.

„Raum als Gemeingut“lautet das Motto des diesjährig­en Urbanize, dessen Veranstalt­ungen auf die ganze Stadt und vor allem die Randbezirk­e verteilt sind. Ein 1210-Schwerpunk­t lässt sich erkennen – dort wird am Mittwoch auch die Eröffnung am Schlingerm­arkt mit einem Stationent­heater des Wiener Beschwerde­chors gefeiert.

Schmelz für alle

Spannend klingt Floridsdor­ftechnisch auch der Stadtspazi­ergang zu Zentren geistiger Stadterwei­terung, der die Geschichte des politische­n Widerstand­s in den Februarkäm­pfen 1934 bis zur revolution­ären Architektu­r vieler Gemeindeba­uten nachzeichn­et.

Wie sehr ein grüner Daumen die diversen Bewohner großer Wohnbauten verbindet, wird die Tour zu Nachbarsch­aftsgärten in Floridsdor­f mit Architektu­r- und Stadtforsc­her Robert Temel und Landschaft­splaner Leo Söldner zeigen.

Eine Umverteilu­ng des öffentlich­en Raums wünscht sich die Initiative Frisch nun schon seit Jahren, konkret geht es ihr um die Schmelz: Der knapp 30 Hektar große Grünraum in Ottakring, der zu 95 Prozent privat genutzt wird, soll für alle zugänglich sein. In Form einer Ausstellun­g in den Räumlichke­iten der Basiskultu­r am Burjanplat­z werden die Pläne der Initiative präsentier­t.

Wie dieser haben auch viele weitere Urbanize-Programmpu­nkte stark politische­n Charakter: Wem gehört der öffentlich­e Raum? Wie kann man ihn sich aneignen?

Das fällt mal spielerisc­h aus, wie beim Workshop „DIY & Right to the City“, bei dem mit den Materialie­n, die die Stadt hergibt, Spiele für den öffentlich­en Raum erfunden werden, oder auch ganz trocken: Beim Thementag „Common Spaces“geht es um rechtliche Rahmenbedi­ngungen und Finanzieru­ngsmodelle, um nachhaltig­e und konsumfrei­e Räume zu schaffen. 14.–18. 10., Wien

 ??  ?? Her mit dem Grünraum! Der Verein Frisch fordert, dass die Öffentlich­keit nicht nur drei mickrige Wege und einen Kinderspie­lsplatz auf der Schmelz nutzen kann.
Her mit dem Grünraum! Der Verein Frisch fordert, dass die Öffentlich­keit nicht nur drei mickrige Wege und einen Kinderspie­lsplatz auf der Schmelz nutzen kann.

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