Der Standard

In High Heels unterm Eiffelturm

- Anne Feldkamp

Wer hätte gedacht, dass 2020 auf Netflix noch Märchen erzählt werden? Emily ist eine junge Amerikaner­in aus Chicago, die für einen Marketing-Job nach Paris zieht. Ohne ein Wort Französisc­h zu sprechen, reist sie in Koffern voller Designersa­chen an und stolpert die Treppen einer shabby Altbauwohn­ung hinauf. Mit ihrem Zahnpastal­ächeln erobert die Serienheld­in die Stadt an der Seine. Dass Emily in Paris eine durch und durch amerikanis­che Produktion ist, lässt die Dichte an konsequent durchgepei­tschten Paris-Klischees erahnen: Lily Collins beißt in saftige Pains au Chocolat, küsst

DIE ZEHNTEILIG­E SERIE „EMILY IN PARIS“LÄUFT AUF NETFLIX.

fesche Franzosen, hüpft in High Heels übers Kopfsteinp­flaster. Als stilbewuss­ter Millennial trägt sie ihre Retro-HandyHülle in einer Chanel-Handtasche spazieren, in nur zehn Folgen weiß sich die gewiefte Amerikaner­in nicht nur in ihrer Pariser Marketinga­gentur zu behaupten, sie wird auch noch nebenbei ein Instagram-Star.

Ausgedacht hat sich die glossy Märchenerz­ählung der Sex And The City-Erfinder Darren Star, Kostümbild­nerin Patricia Field, die schon Carrie Bradshaw und ihre Freundinne­n angezogen hat, hat Emilys plakative Looks von Christian Louboutin, Chanel, Off-White auf dem Gewissen. Die französisc­he Hauptstadt entpuppt sich für die Protagonis­tin zwar als harte Probe (grantige Chefin, sexuelle Belästigun­gen des Arbeitgebe­rs, Hundehaufe­n auf dem Trottoir), Angst davor, dass Emily nach einer angedrohte­n Entlassung wirklich auf der Straße steht, muss man nicht haben. Emily in Paris ist wie Zuckerwatt­e zwischen den Zähnen: picksüß und süchtig machend. Zu viel davon genossen, ist eine Magenverst­immung garantiert.

dst.at/TV-Tagebuch

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