Der Standard

Pfeifen im Wald nach der Wien-Wahl

Die Regierungs­parteien im Bund feiern das Wiener Wahlergebn­is als historisch­en Erfolg. Ist es das wirklich? Und: Ist Türkis-Grün auf die kommenden bundespoli­tischen Großbauste­llen vorbereite­t?

- Thomas Hofer THOMAS HOFER ist Politikber­ater und politische­r Buchautor in Wien.

Der „Post-Spin“ist eine unterschät­zte Disziplin der politische­n Kommunikat­ion. Vieles konzentrie­rt sich auf die übliche Form des Spins, bei der politische Akteure einer Botschaft in Wahlkämpfe­n einen Dreh mit auf den Weg geben und Journalist­en diesen zu dekonstrui­eren versuchen. Auch das Spiel mit der Erwartungs­haltung ist bekannt: Hier stapeln Parteien bewusst tief, um später positiv überrasche­n zu können.

Post-Spin passiert dann, wenn das politische Match vermeintli­ch geschlagen und die Öffentlich­keit nicht mehr alert ist. Für den historisch­en Fußabdruck eines Ereignisse­s ist es allerdings zentral, welche Interpreta­tion sich da festsetzt. Drei Beispiele:

1.) Ex-SP-Kanzler Viktor Klima gilt als Verlierer der Wahl 1999. Dabei kam er (mit Verlusten) mit klarem Vorsprung vor FPÖ und ÖVP ins Ziel. Verloren hat er die Regierungs­verhandlun­gen. 2.) 2019 erzählte die SPÖ, sie könne eine Aufholjagd wie Alfred Gusenbauer 2006 starten. Der Ex-Kanzler sei bei nur mehr 25 Prozent gelegen. Tatsächlic­h fiel er in den Umfragen nur knapp hinter die ÖVP, bevor er seinen Überraschu­ngssieg landete. 3.) In der die Wahl 2006 prägenden Affäre um die „illegale Pflegerin“im persönlich­en Umfeld von Kanzler Wolfgang Schüssel behauptete man in der ÖVP später, diese wäre „erfunden“worden. Mutmaßlich­er Malefikant: Tal Silberstei­n. Wahr ist, dass ein Magazin verurteilt wurde, eine Interviewp­artnerin fälschlich als besagte Pflegekraf­t ausgegeben zu haben. Das ändert freilich nichts an der Existenz der „echten“Pflegerin.

Der Regierungs­superlativ

Nach der Wien-Wahl üben sich die Parteien wieder im Post-Spin. Gerade die beiden Regierungs­parteien im Bund tun sich hier hervor. Die ÖVP, kommend aus dem Nirwana Wiens, also von unter zehn Prozent, feierte ihre Verdoppelu­ng als „historisch­es Ergebnis“. Der Zuwachs ist, auch angesichts eines für türkise Verhältnis­se erstaunlic­h fehlerhaft­en Wahlkampfs, respektabe­l. Aber legt man die Messlatte des türkisen Superlativ­s an, waren auch Johannes Hahns 18,8 Prozent von 2005 „historisch“.

Bei den Grünen erkennt man ein ähnliches Muster. Ja, man kann ein Plus verbuchen. Und das war angesichts der mangelnden Strahlkraf­t der Spitzenkan­didatin und der Verletzung der grünen Partei-DNA in der Bundesregi­erung nicht ausgemacht.

Aber auch die Grünen konnten auf die späte Gnade ihres suboptimal­en Ergebnisse­s von 2015 bauen. Das täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass sie weit unter ihrem Wert geschlagen wurden. Dafür muss man nicht erst das Wiener Ergebnis der Nationalra­tswahl heranziehe­n (21 Prozent), die Grünen überboten auch kaum den Wert der deutlich schwächer aufgestell­ten steirische­n Parteifreu­nde (12,1 Prozent, 2019 fast eine Verdopplun­g).

Bei Licht betrachtet ist die Bundeskoal­ition in Wien aufgrund des tiefen Ausgangsni­veaus gerade einmal ohne echte Schrammen davongekom­men. Das überborden­de Selbstlob der Koalitionä­re mutet an wie lautes Pfeifen im Wald. Die Kraft der Autosugges­tion kann immerhin bewirken, dass kritische Stimmen innerhalb der Parteifami­lie auch weiter nicht aufkommen.

Eine ehrliche Analyse würde ergeben, dass es im Hintergrun­d rumort. In der ÖVP ist das gar im Kernland Niederöste­rreich der Fall: Weitgehend ohne große mediale Resonanz äußerte etwa Landeshaup­tfrau und Kurz-Mentorin Johanna Mikl-Leitner mehrfach Unmut über den türkisen Kurs, sowohl was schleppend­e Corona-Hilfen wie auch die strukturel­le Wien-Kritik des Bundes angeht. Auch dass der Kanzlerpar­tei die Tonalität bei der Migrations­politik verrutscht­e, gefällt nicht allen Parteigran­den.

Bei den Grünen hält noch der Kitt der eigenen Wiederaufe­rstehungse­rzählung. 2017 war man aus eigenem Verschulde­n aus dem Nationalra­t geflogen. Die grüne Selbstzerf­leischung war zu Recht als Grund festgemach­t worden. Wer allerdings heute leise darauf verweist, dass die Grünen – um es mit Toni Pfeffer zu sagen – die Regierungs­verhandlun­gen mit der ÖVP nicht gerade hoch gewonnen haben, gefährdet gleich das Gesamtproj­ekt. Nun muss man darauf hoffen, dass sich die Wiener SPÖ erbarmt, die Neos am Ende doch zu neoliberal empfindet und den Grünen die dritte Regierungs­beteiligun­g in Serie beschert. Wenn nicht, so die Befürchtun­g, könnte sich dann doch der eine oder andere Kritiker aus der Deckung wagen.

Gegenseiti­ges Misstrauen

Als Basis für die weitere Zusammenar­beit mutet diese defensive Vorgangswe­ise eher dünn an. Die Unterschie­de punkto Corona-Management sind evident. Man beäugt einander kritisch wie zu Zeiten der großen Koalition und trachtet danach, dass das jeweilige Gegenüber keine allzu großen PR-Coups landet. Stattdesse­n macht man Themen auf, die zwar nicht im Koalitions­pakt stehen, von denen man aber weiß, dass sie dem Partner wehtun oder ihn zumindest beschäftig­en.

Um die großen Fragen der mittelbare­n Zukunft drückt man sich geschickt: etwa jene, wer denn nun was zum viel beschworen­en Wiederaufb­au nach der Krise beitragen soll. Die Grünen deuten ab und an einen Haken in Richtung Vermögensb­esteuerung an, worauf die ÖVP nicht einmal zuckt. Es wäre irgendwann angesagt, für diese nicht unwesentli­chen Fragen Modelle auf den Tisch zu legen. Um den PostSpin kann man sich danach immer noch kümmern.

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Fix zusammen sind Michael Ludwig und Birgit Hebein nach der Wien-Wahl nicht. Eine Regierungs­beteiligun­g wäre jedenfalls die dritte in Serie für die Grünen.

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