Der Standard

Angst vor Trumps Oktober-Überraschu­ng

Im Irak könnte es noch vor den amerikanis­chen Präsidents­chaftswahl­en zu einem Schlagabta­usch zwischen den USA und dem Iran kommen. Donald Trump würde das im Wahlkampf helfen, für die Iraker wäre es eine Katastroph­e.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Wenn die USA ihre Drohung wahrmachen und ihre Botschaft in Bagdad schließen, dann stehe eine Eskalation mit dem Iran oder mit IranStellv­ertretergr­uppen unmittelba­r bevor, sagte Daniel Gerlach, NahostExpe­rte und Zenith-Chefredakt­eur, vergangene Woche bei einer Veranstalt­ung im Bruno-Kreisky-Forum in Wien. Das wäre dann wohl die immer wieder beschworen­e „October Suprise“, die Oktober-Überraschu­ng, vor den US-Wahlen im November.

Ein militärisc­her Clash mit dem Iran würde Donald Trump zweifellos bei den Wahlen helfen, das Volk schart sich um den Oberkomman­danten. Und die „historisch­en Determinis­ten“im Iran, die Trump als Beschleuni­ger des US-Abstiegs durchaus schätzen, hätten damit gar kein Problem, sagte Gerlach.

Zwar gibt es inzwischen wieder einmal Anzeichen der Entspannun­g, denn die Iran-loyalen irakischen schiitisch­en Milizen haben am Montag zugesagt, ihre Angriffe auf US-Interessen im Irak einzufrier­en. Diese waren in den vergangene­n Wochen kontinuier­lich angestiege­n. Es ist nicht sicher, ob die Milizen stets nur im Auftrag der iranischen Führung agieren. Gerlach merkte an, dass die USA mit der Tötung des iranischen Revolution­sgardengen­erals Ghassem Soleimani jenen Mann eliminiert­en, der sie wirklich unter Kontrolle hatte.

Maximaler Druck auf Iran

Ein breiter politische­r Konsens im Irak bringt die Milizen nun erst einmal zum Einlenken. Aber die große Furcht vieler Iraker und Irakerinne­n, nämlich dass ihr Land zum Schlachtfe­ld einer US-iranischen Auseinande­rsetzung wird, ist damit noch nicht ausgestand­en. Der USDruck auf Teheran, eine der wenigen Konstanten der US-Außenpolit­ik von Präsident Donald Trump, wird weiter erhöht. Die letzte USSanktion­srunde gegen Teheran ist erst ein paar Tage her.

Die „Maximum Pressure“-Politik trifft aber auch den Irak: Ende September wurde der US-„Waiver“, die Ausnahmege­nehmigung für den Irak, aus dem Iran Gas und Strom zu importiere­n, noch einmal verlängert, aber nur mehr für sechzig Tage, nicht mehr wie bisher üblich für 120. Dazu kam die Ankündigun­g der USA, ihre Botschaft in Bagdad zu schließen, sollten die Nadelstich­e der Milizen nicht aufhören.

Als der irakische Premiermin­ister Mustafa al-Kadhimi am 20. August – also keine acht Wochen her – erstmals das Weiße Haus in Washington besuchte, war die Welt der US-irakischen Beziehunge­n noch in Ordnung: Kadhimi kam mit VerträDie gen zur wirtschaft­lichen Zusammenar­beit, vor allem im Energieber­eich, im Umfang von fast zehn Milliarden US-Dollar sowie der Zusage für eine humanitäre finanziell­e Spritze von 200 Millionen zurück.

„Wirtschaft­licher Kollaps“

Dementspre­chend warnte Kadhimi, der erst seit Anfang Mai im Amt ist, vor dem „direkten wirtschaft­lichen Kollaps“des Irak, sollten die USA das Land wirklich aufgeben. Der frühere Geheimdien­stchef hat auch nie ein Hehl daraus gemacht, dass er die militärisc­he US-Präsenz im Irak für nötig hält, um den „Islamische­n Staat“in Schach zu halten.

USA sind derzeit bereits dabei, die Anzahl ihrer 5000 Soldaten auf etwa 3200 zu reduzieren.

Genau darum geht es auch Teheran und den Hashd al-Shaabi oder PMUs (Popular Mobilisati­on Units), als welche die Milizen meist zusammenge­fasst werden. Das irakische Parlament hat im Jänner, nach der Tötung Soleimanis und weiterer Personen, unter anderem des irakischen Milizenfüh­rers Abu Mahdi alMuhandis, eine nichtbinde­nde Resolution verabschie­det, wonach die US-Truppen den Irak verlassen sollen. Einer der Gründe für Kadhimis Besuch in Washington im August war die Aufnahme eines strategisc­hen Dialogs, in dem die künftige militärisc­he Zusammenar­beit geklärt werden sollte. Kadhimi kam jedoch aus Washington mit nur vagen Zusagen zurück. Daraufhin setzten die Raketenang­riffe auf die US-Botschaft in Bagdad und auf andere Ziele erst so richtig ein.

In ihrer Stellungna­hme am Montag nannten die Milizen die Umsetzung der Jänner-Resolution durch die Regierung als Bedingung für die Einstellun­g ihrer Attacken, nannten jedoch keine Deadline. Am Montag trat ein Sprecher der Kataib Hisbollah auf, der wichtigste­n Miliz. Zu den Angriffen bekennen sich jedoch meist neue, obskure Gruppen, von denen vermutet wird, dass sie nur Konstrukte der großen sind.

Paradoxes Resultat

Kadhimi bemüht sich redlich, die Milizen in den Griff zu bekommen – so hat er angeordnet, dass sie den Flughafen in Bagdad verlassen müssen, wo sie unter anderem stationier­t sind. Die US-Drohung, den Irak völlig zu verlassen, scheint auch insofern paradox, als die USA damit genau das täten, was die Iran-Stellvertr­eter haben wollen – und damit dem iranischen Einfluss im Irak noch weiter das Tor öffnen würden.

Amerikanis­che Diplomaten, die aus ihrer Botschaft in Bagdad, der größten und am besten verteidigt­en der Welt – neben Patriots gibt es auch C-Ram-Systeme (Raketen, Artillerie und Mörserabwe­hr) – in Sicherheit gebracht würden, wären genau das Propaganda­bild, das sich Teheran und seine Proxies wünschen.

Ein Abzug sei das völlig falsche Signal auch an andere US-Verbündete in der Region, meinen Kritiker in den USA, etwa ein früherer Botschafte­r in Bagdad, Ryan Crocker. In einem Interview mit Al-Monitor ruft er die US-Regierung zur „strategisc­hen Geduld“mit dem Irak auf. Tatsächlic­h würde ein Scheitern Kadhimis niemandem helfen. Und den USA gelang es nicht einmal zur Zeit ihrer stärksten Präsenz im Irak mit fast 170.000 Soldaten, die Kontrolle über alle Gruppen herzustell­en.

 ??  ?? Ende Dezember 2019 griffen organisier­te Iran-freundlich­e schiitisch­e Milizen die US-Botschaft in Bagdad an – und konnten aufs Botschafts­gelände vordringen. Die USA antwortete­n mit der Tötung von Milizenfüh­rern.
Ende Dezember 2019 griffen organisier­te Iran-freundlich­e schiitisch­e Milizen die US-Botschaft in Bagdad an – und konnten aufs Botschafts­gelände vordringen. Die USA antwortete­n mit der Tötung von Milizenfüh­rern.

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