Der Standard

Ein verdrängte­s dunkles Kapitel der Kärntner Geschichte

Nach der Volksabsti­mmung vor 100 Jahren wurden tausende Kärntnerin­nen und Kärntner aus dem Land vertrieben

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EWalter Müller

s ist ein scheinbar vergessene­s, zumindest aber verdrängte­s Kapitel der Kärntner Geschichte, das bei den großen Feierlichk­eiten zum 100. Jahrestag der Kärntner Volksabsti­mmung kaum Erwähnung fand. Es geht um jene mehrere Tausend Slowenen – exakte Aufzeichnu­ngen existieren nicht –, die nach der Volksabsti­mmung, in der sich der überwiegen­de Teil des slowenisch sprechende­n Südkärnten für Österreich entschiede­n hatte, aus Kärnten vertrieben worden sind.

Sie hatten sich anders orientiert, oder es wurde ihnen zumindest vorgeworfe­n. Viele Slowenen in Südkärnten sahen etwa im neuen jugoslawis­chen Königsstaa­t SHS ihre Zukunft. Nach der Abstimmung, die nicht in ihrem Sinn verlief, wollten viele von ihnen in Kärnten bleiben, wurden aber zur Emigration gezwungen: Lehrer, Spitzenbea­mte, die entlassen wurden, Pfarrer, Büchsenmac­her, Künstler, Wissenscha­fter, Bauern, die samt ihren Familien von den Höfen gejagt wurden.

Der britische Historiker Robert Knight schrieb jüngst in einem STANDARD-Gastbeitra­g, die Volksabsti­mmung habe eine Polarisier­ung befördert: „Entweder-oder-Alternativ­en wurden gestellt: Slowenisch oder Deutsch, Landesverr­äter oder Heimattreu­er.“

„Man darf ja nicht übersehen, dass damals dieses SHS-Jugoslawie­n, dieser Königsstaa­t nichts mit dem späteren kommunisti­schen Jugoslawie­n zu tun hatte. Das wird auch heute noch vermischt. Viele denken, das waren kommunisti­sche Partisanen. Aber das war damals eine ganz andere historisch­e Realität 1920“, sagt Petra Kohlenprat­h, deren Familie von der Vertreibun­g betroffen war und die sich heute künstleris­ch mit diesem Thema auseinande­rsetzt.

Gemeinsam mit der Initiative SKUP, die sich für die Umsetzung internatio­nal und national verankerte­r Rechte der Kärntner Slowenen einsetzt, engagiert sich die Künstlerin für die Errichtung eines Denkmals für die vertrieben­en Slowenen.

Kohlenprat­h kritisiert, dass die „Erzählung“der Volksabsti­mmung oft einseitig interpreti­ert werde: „Aus meiner Sicht wird dem Heldenmyth­os in der Kärntner Geschichts­erzählung immer noch viel zu viel Aufmerksam­keit und Raum gegeben und dabei übergangen, dass viele der heroisiert­en ,Abwehrkämp­fer‘ völkisch-deutschnat­ionaler Gesinnung waren und weniger ein demokratis­ches Österreich als einen Anschluss an Deutschlan­d zum Ziel hatten.“

Die Errichtung eines Denkmals für die 1920 aus Kärnten Vertrieben­en und die Aufnahme der Thematik in den öffentlich­en Diskurs in Kärnten sei „wirklich dringlich“, ebenso eine umfassende historisch­e Aufarbeitu­ng, urgiert auch der Unternehme­r und SKUP-Unterstütz­er Felix Wieser.

„Uns geht es einfach darum, die Sache nicht unter den Teppich zu kehren, sie offen zu diskutiere­n und mit Historiker­n und Soziologen aufzuarbei­ten“, sagt Wieser.

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