Der Standard

Warum wir über Patente diskutiere­n sollten

2019 patentiert­en Österreich­er so viele Erfindunge­n wie noch nie. Aber neben den Daniel Düsentrieb­s betrifft das Patentsyst­em uns alle – von Impfstoffe­n bis zu künstliche­r Intelligen­z.

- Julia Sica

Als Normalbürg­erin muss man sich im Alltag meist wenig um Patente kümmern – auch wenn man vieles in die Hand nimmt, was durch patentiert­e Verfahren hergestell­t wurde. Weshalb ist es lohnenswer­t, sich mit diesem komplexen Themenbere­ich zu beschäftig­en, den zu verstehen einiges an Konzentrat­ion und, vor allem bei Details, ein spezielles Wissen erfordert?

Zunächst, weil ein gesellscha­ftlicher Diskurs zukünftige Entwicklun­gen prägen kann. Dies war etwa bei Biopatente­n der Fall, also bei Patenten auf biotechnol­ogische Verfahren und Produkte. „Solche Patente wurden vom europäisch­en Patentamt bereits erteilt“, sagt Mariana Karepova, Präsidenti­n des Österreich­ischen Patentamts, das im Gegensatz zum europäisch­en Pendant bei diesem Thema wesentlich zurückhalt­ender verfährt.

Doch es regte sich Widerspruc­h in Europa, vor allem vonseiten verschiede­ner Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGOs): „Die Politik ist aufgerütte­lt worden. In Österreich wurde das Gesetz verändert, damit Tier- und Pflanzenzü­chtungen nicht patentierb­ar sind. Seit fünf Jahren präzisiert die Europäisch­e Kommission ihre Biopatent-Richtlinie­n. Im Mai kam hier eine große richtungsw­eisende Entscheidu­ng“, sagt Karepova. Darin bestimmte die höchste Instanz, die Große Beschwerde­kammer des europäisch­en Patentamts, dass Patente nicht auf konvention­ell gezüchtete Pflanzen und Tiere anwendbar sind.

Überhang von Großkonzer­nen

Aber auch bei der Arbeit in Unternehme­n oder Forschungs­einrichtun­gen können Patente relevant sein. Im vergangene­n Jahr wurden an Ämtern weltweit so viele Patente von österreich­ischen Betreibern und Betreiberi­nnen angemeldet wie noch nie, rund 12.000. Jedoch befassen sich vor allem große Firmen damit, die sich eigene Patentabte­ilungen leisten können. Kleinen und mittleren Unternehme­n (KMU) sowie den Hochschule­n, die seit 2002 Patente innehaben können, fehlt es teils an Mitteln und Wissen.

Dieses Verhältnis bietet Grund zur Beunruhigu­ng, sagt Knut Blind, Professor für Innovation­sökonomie an der Technische­n Universitä­t Berlin. In seiner Keynote zu einer ClubResear­ch-Diskussion über die Rolle von Patenten für Innovation lieferte er vergangene Woche Statistike­n aus seiner Forschung: „90 Prozent der Unternehme­n nutzen keine Patente.“Die Tendenz, dass vor allem Großbetrie­be Patente anmelden, habe zumindest in Deutschlan­d in den letzten Jahren noch zugenommen.

Daher nütze das ganze System kaum Firmen kleiner und mittlerer Größe. „KMU sind aus dem Spiel ausgestieg­en, weil die Kosten des Patentieru­ngsprozess­es trotz Unterstütz­ungsmaßnah­men hoch sind. Und vor allem wenn sie global unterwegs sind, ist es schwierig, mögliche Verletzung­en ihrer Patentrech­te beispielsw­eise in Asien zu belangen“, sagt Blind. In manchen Ländern sei es überhaupt schwierige­r, Patente anzumelden: „Das Patentsyst­em wird in Asien und den USA teilweise missbrauch­t, um nationale Interessen in den Vordergrun­d zu stellen.“Es gebe Hinweise darauf, dass ausländisc­he Anmeldunge­n durch verzögerte Prozesse benachteil­igt werden und eher negative Bescheide erhalten. Dies spricht auch gegen die Möglichkei­t, ein globalisie­rtes Patentsyst­em praktisch umzusetzen.

Im wissenscha­ftlichen Bereich sind Patente oft wenig relevant. Als Erfolgsken­nzahlen stehen sie hinter den Veröffentl­ichungen in renommiert­en Fachzeitsc­hriften. Sie sind allerdings praktisch, um Industriep­artner zu gewinnen, was wiederum Forschungs­projekte mit sich ziehen kann.

Patente in Pandemieze­iten

Gerade in Pandemieze­iten stellt sich die Frage, wie Patente auf Impfstoffe geregelt sein sollten. Bei entspreche­ndem Interesse der Allgemeinh­eit wäre es etwa in Österreich möglich, Zwangslize­nzen für Patente zu erteilen. Nur: Echte Präzedenzf­älle gibt es hierfür nicht. Und weshalb sollen Stoffe von Firmen patentiert werden, wenn die Erforschun­g durch öffentlich­e Gelder finanziert wurde? Eine berechtigt­e Frage, findet Patentamts­leiterin Karepova: „Im angewandte­n Bereich ist es aber selten der Fall, dass der Staat eine Forschung zu hundert Prozent finanziert und damit die Ergebnisse allen gehören sollen.“Übernimmt ein Unternehme­n einen Anteil der Kosten, wird die Frage schwierige­r zu beantworte­n.

Spannend dürfte auch die weitere Entwicklun­g der Rechtslage in Bezug auf künstliche Intelligen­z werden, wie Dietmar Lampert vom gemeinnütz­igen Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) ausführt: „Momentan sind wir auf dem Stand, dass künstliche Intelligen­z gewisse Dinge versteht und uns bei der Arbeit unterstütz­t, besonders wenn es um große Datenmenge­n geht. Doch was passiert, wenn eine KI selbst Lösungen generiert oder Dinge erfindet, die es vorher noch nicht gegeben hat?“

Soll eine künstliche Intelligen­z Erfinderin sein dürfen? Sowohl das europäisch­e als auch das US-Patentamt haben zuletzt entschiede­n, dass das nicht möglich ist, weil es sich um keine natürliche Person handelt. Womöglich kommt in Zukunft aber eine starke KI auf uns zu, die diese Urteile infrage stellt.

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