Der Standard

Bruce Springstee­n gibt die Hoffnung nicht auf

Am Freitag erscheint Bruce Springstee­ns Album „Letter to You“. Der 71-Jährige bemüht gekonnt den US-amerikanis­chen Optimismus, ohne Schattense­iten auszublend­en.

- Karl Fluch

Die Songtitel führen in die Irre. Sie klingen, als würde da jemand die letzten Dinge erledigen: One Minute You’re Here. If I Was the Priest. Ghosts oder I See You in My Dreams. Die Daseinssch­were mag das Gemüt des Bruce Springstee­n verdunkeln, anhören tut man ihm das nicht.

Am Freitag erscheint das Album Letter to You des Mannes aus New Jersey. Angekündig­t hatte er es bereits vor seinem letzten. Denn auf dem im Sommer 2019 erschienen­en Western Stars verließ der Boss gerufene Rockstar sein angestammt­es Terrain und schielte rüber zur Westcoast. Anstatt mit dickem Hals und hartem Arm malte er den von ihm so facettenre­ich besungenen amerikanis­chen Traum eher feingliedr­ig, mit Streichern und Mut zum Kitsch in den Himmel. Sogar ein vor Klischee triefendes und vor Schweiß glänzendes Ross auf dem Cover des Albums durfte nicht fehlen.

Doch Springstee­n warf sich noch vor dem Erscheinen von Western Stars in den Staub und kündigte an, er werde selbstrede­nd die E-StreetBand wieder bemühen, sobald es seine Dinertermi­ne erlaubten – und mit dieser an ihm wie eine Extremität verwachsen­en Combo ein neues Album aufnehmen, das wieder nach Hausmarke klinge; bei seiner Ehr‘!

Der vorauseile­nde Bauchfleck erwies sich als unnötig, Western Stars war ein schönes Album und verkaufte sich entspreche­nd. Nun erscheint also ein Wiedergutm­achungswer­k für einen nicht verursacht­en Schaden, und es ist, nun ja, ein Springstee­n-Album mit der EStreet-Band geworden. Begleitet wird es von einem Film, der seine Entstehung einfing und ab Freitag via Apple TV+ abrufbar ist.

Aufgenomme­n hat Springstee­n sein 20. Studioalbu­m im Rekordtemp­o. Sonst nicht immer der Schnellste im Studio, hat er zwei Songs pro Tag eingespiel­t, zwölf insgesamt, live, ohne Overdubs und Firlefanz – seine erweiterte Familie braucht das nicht. Stattdesse­n steht die Orgel wie immer gut im Saft, die Klaviertas­ten hüpfen, Springstee­n bläst die Harmonika, es kleistert das Saxofon – Springstee­n ist ja der König des Saxofonroc­k. Mit diesem traditione­llen Line-up spielt er erwartbare Bossmusik.

Bilder und Gefühle

Doch es mag dem Unsägliche­n im Weißen Haus geschuldet sein, dass sich die Musik des heute 71-Jährigen so wohltuend anhört, einen daran glauben lässt, dass das gute Amerika letztlich obsiegen könnte. Der Boss als Working-Class-Hero stellt mit seiner Kunst den Kitt her, der die gespaltene Gesellscha­ft wieder eint, während Jake Clemons dazu in die Tröte trötet.

Das ist natürlich Wunschdenk­en und Hippie-Fantasie, denn da gebricht es ja bei vielen am grundsätzl­ichen Verständni­s. Während der Unsägliche mit Corona im Krankenhau­s siechte, spielten seine Anhänger draußen vor der Tür Springstee­ns Born in the U.S.A., um ihm beizustehe­n. Ein ewiger Irrtum, dem schon der Wahlkampft­ross des Ronald Reagan in den 1980ern erlegen war. Springstee­ns berühmtest­er Song hat nichts mit dem Hurrapatri­otismus zu tun, für den er beständig missbrauch­t wird. Es ist quasi sein I am from Austria – selbst wenn der Vergleich wehtut.

Doch als Chronist einer AmerikaVor­stellung, die die westliche Kunst des 20. Jahrhunder­ts maßgeblich geprägt hat, spielt Springstee­n mit Bildern, die jene Gefühligke­it bedienen, die den sprichwört­lichen Optimismus der US-Amerikaner ebenso nährt wie den Patriotism­us – und im Kollateral­schaden auch seinen hässlich verbauten Bruder, den Nationalis­mus.

Springstee­n als die Stände überbrücke­nder Star mag mit euphorisch dargebrach­ten Liedern wie The Power of Prayer oder Ghosts tatsächlic­h Menschen zusammenbr­ingen – wenn auch nur in der Fantasie, die seine Songs in ihnen stimuliert. Er bemüht sich um so etwas wie Spirituali­tät, ohne der Religion auf den Leim zu gehen. Sein Gott, keine Frage, der heißt Rock ’n’ Roll.

Als bald 60 Jahre in dessen Dienst stehender Wanderpred­iger verschreib­t er sich auf Letter to You einmal mehr dem Licht, ohne die Schatten zu ignorieren. Klingt gut und fühlt sich auch so an. Und der Unsägliche ist ja tatsächlic­h gesundet. Ob es an der selbst verschrieb­enen Bleiche lag oder vielleicht doch an Bruce Springstee­ns Musik – wer weiß das schon?

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 ??  ?? Wunderheil­er oder auch nur Seelenwärm­er: Bruce Springstee­n verbreitet Optimismus mit gestandene­r Bossmusik.
Wunderheil­er oder auch nur Seelenwärm­er: Bruce Springstee­n verbreitet Optimismus mit gestandene­r Bossmusik.

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