Der Standard

Angriff mit wenig Wirkung

Ein E-Mail-Skandal rund um Joe Biden soll Präsident Trump im Wahlkampff­inale helfen. Das Medieninte­resse hält sich in Grenzen.

- Manuel Escher

Das Skript ist bekannt: Zwei Wochen vor der Wahl führt der Kandidat der Demokraten deutlich in allen Umfragen, Donald Trump muss vor einer schweren Niederlage zittern. Doch dann kommt es zum Paukenschl­ag. Bisher geheime E-Mails dringen an die Öffentlich­keit und lösen Untersuchu­ngen aus. Dass sie aus äußerst dubiosen Quellen stammen, kümmert die Medien nicht. Am Ende siegt der Kandidat der Republikan­er.

So hat es 2016 beim Duell Trumps gegen Hillary Clinton schon einmal funktionie­rt. Und so sollte es nach dem Plan des Trump-Vertrauten und New Yorker Ex-Bürgermeis­ters Rudy Giuliani nun heuer erneut funktionie­ren. Allein: Bisher beißen die Medien nicht an, und auch die Wählerinne­n und Wähler sind am neuen Aufguss von E-Mail-Gate zumindest vorerst deutlich weniger interessie­rt als vor vier Jahren.

Vielleicht liegt es daran, dass die neue Geschichte, die Trumps Gegner Joe Biden mit ukrainisch­en Oligarchen in Verbindung zu bringen scheint, noch deutlich dubioser ist als die Gerüchte um Hillary Clintons E-Mails 2016. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Medien in den USA mittlerwei­le dazugelern­t haben.

Schon knapp eine Woche ist es immerhin her, dass die schwer konservati­ve Boulevardz­eitung New York Post mit einer explosiven Geschichte auf dem Cover erschien. Ihr Vorwurf: Joe Biden habe im Amt als Vizepräsid­ent auf Wunsch seines Sohnes Hunter einen hohen Mitarbeite­r des ukrainisch­en Gasunterne­hmens Burisma getroffen, in dessen Vorstand Hunter damals saß. Wenig später habe Biden dann zur Entlassung des damaligen Generalsta­atsanwalts der Ukraine, Viktor Schokin, beigetrage­n. Behauptet wird von Trump und Co: weil dieser gegen Burisma ermittelt habe. Biden stellt das in Abrede, tatsächlic­h hatten damals neben den USA auch die EU und der Internatio­nale Währungsfo­nds auf Schokins Ablöse gedrängt, weil dieser selbst als massiv korrupt galt.

Die Post will die Geschichte über das Treffen Bidens mit dem Burisma-Mann mit einer E-Mail belegen, die angeblich auf einem Laptop gefunden worden sei. Und spätestens da wird die Geschichte fragwürdig. Glaubt man den Angaben der Zeitung, habe sie die Mails von Giuliani erhalten, der sie wiederum von einem Laptop-Reparaturg­eschäft habe. Dort habe Biden, der am anderen Ende des Landes wohnt, einen Computer zur Reparatur abgegeben, aber nie wieder abgeholt. Dem Besitzer, der wegen eines Augenleide­ns leider nicht bestätigen könne, dass tatsächlic­h Biden im Laden gewesen sei, sei das so komisch erschienen, dass er nach einigen Monaten das FBI alarmiert habe. Dieses habe den Computer mitgenomme­n, sich aber nie wieder gemeldet. Die Mails habe der Mann trotzdem weiterhin: Er hatte sie nämlich – illegalerw­eise – kopiert. Später will sich der Mann mit Giuliani kurzgeschl­ossen haben. Dieser wartete dann Monate, bis er die Post über den Fund in Kenntnis setzte.

Zweifel an der Geschichte hatte es bald gegeben. Die großen Leitmedien des Landes ließen sie zunächst links liegen, auch weil Giuliani ihnen die Mails nur als Screenshot­s, nicht aber mit Metadaten zugänglich machen wollte. Twitter und Facebook blockierte­n vorübergeh­end Links zu der Geschichte.

Nur zu 50 Prozent ein Agent

Die Zweifel nährte auch, dass schon seit Wochen unter anderem in Russland darüber spekuliert wird, dass genau solche Daten auftauchen könnten. Kurz: Die Geschichte trägt alle Merkmale, die man sonst bei einer Einflussop­eration der russischen Geheimdien­ste erwarten würde. Giuliani selbst kann dies nur halbherzig entkräften. Er hatte auf der Suche nach Material gegen die Bidens nachweisli­ch mit dem ukrainisch­en Parlamenta­rier Andrii Derkach zusammenge­arbeitet, der vom US-Außenminis­terium als russischer Agent eingestuft wird. „Die Chancen, dass Derkach ein russischer Agent ist, sind nicht höher als 50/50“, sagte Giuliani dazu der Plattform The Daily Beast.

Und auch bei der Post glaubte man offenbar nicht so recht an die eigene Veröffentl­ichung. Wie die New York Times am Sonntag berichtete, haben sich mehrere Redakteuri­nnen und Redakteure der Zeitung geweigert, ihren Namen unter den fertigen Text zu setzen.

Die Zeitung und andere Trumpnahe Medien wie Fox News und Breitbart hindert das freilich nicht, die Geschichte weiterzuve­rbreiten. Und Trump selbst wettert auf Twitter wie auf Wahlverans­taltungen seit den Veröffentl­ichungen gegen den angeblich korrupten Biden. Verfangen hat die Kampagne noch nicht. Biden führt in Umfragen sowohl landesweit als auch in Swing-States deutlich. Das hat man auch unter Trumps Parteifreu­nden registrier­t. Auffällig viele republikan­ische Senatoren haben sich in den vergangene­n Tagen kritisch über den Präsidente­n geäußert.

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