Der Standard

ZITAT DES TAGES

„Der Herr Karl“ist wieder da: Andreas Vitásek bringt das legendäre Einpersone­nstück von Helmut Qualtinger zurück auf die Bühne. Ist es noch zeitgemäß?

- INTERVIEW: Stefan Weiss

„Die heutige Generation ist vielleicht außen türkis, innen blau. Und weniger betrunken, sondern auf irgendwas sehr Schnellem unterwegs.“

Der Kabarettis­t Andreas Vitásek über neue rechte Politik in Österreich

Mit dem Einpersone­nstück Der Herr Karl haben Helmut Qualtinger und Carl Merz den österreich­ischen Opportunis­ten, Duckmäuser und Durchschwi­ndler, aber auch den Überlebens­künstler porträtier­t. Die Fernsehauf­zeichnung von 1961, in der Qualtinger als Herr Karl im Lagerkelle­r eines Geschäfts darüber sinniert, wie er ohne ideologisc­he Skrupel von den Sozialdemo­kraten zu den Austrofasc­histen und weiter zu den Nazis wechselte, war im Österreich des Opfermytho­s ein Skandal. Jetzt hat sich Andreas Vitásek den Text für die Bühne vorgenomme­n. Premiere ist heute, Dienstag, im Wiener Rabenhof.

STANDARD: Ist der Wesenszug des Herrn Karl in Österreich heute noch so präsent, oder hat das abgenommen?

Vitásek: Es steckt etwas im Herrn Karl, das Bestand hat. Ein bissl Buckeln, ein bissl Raunzen, Hinterrück­s-Sein – das ist nach wie vor in den Österreich­ern drin, aber es ist eher ostösterre­ichisch. Man findet das auch bei Geschichte­n aus dem Wiener Wald.

STANDARD: Sie haben jetzt zweimal „bissl“gesagt. Das Abschwäche­nde, etwas behaupten und es sofort wieder – ein bissl – zurücknehm­en: Das ist sprachlich ganz zentral, oder?

Vitásek: Ja. So wie man gerne sagt: „Mir geht es eh gut“, anstatt zu sagen: „Mir geht es gut.“

STANDARD: Eine Durchschwi­ndler-Figur ist auch der Bockerer, quasi das „gute“Pendant zum Herrn Karl. Würden Sie den auch gerne spielen?

Vitásek: Der Bösewicht ist immer fasziniere­nder. Ich glaube auch, dass uns der Herr Karl eher repräsenti­ert als der Bockerer. Der Widerstand ist nicht gerade unsere Stärke.

STANDARD: Stimmt das Sprichwort vom Österreich­er als Punschkrap­ferl noch? Außen rot, innen braun und immer ein bissl betrunken?

Vitásek: Ich glaube, dass sich da etwas ändert. Die Generation Punschkrap­ferl war noch die, die den Krieg und die Nachwehen miterlebt hat. Die heutige Generation ist nicht mehr Punschkrap­ferl. Sie ist vielleicht außen türkis, innen blau. Und weniger betrunken, sondern auf irgendetwa­s sehr Schnellem unterwegs.

STANDARD: Der Herr Karl ist ja eigentlich unpolitisc­h. Die längste Zeit des Stücks sinniert er verbittert über seine Frauengesc­hichten, Zwischenme­nschliches, Alltäglich­es.

Vitásek: Im Bewusstsei­n der Leute ist gar nicht mehr präsent, dass der eigentlich­e rote Faden des Textes die missglückt­en Beziehunge­n und Kränkungen des Herrn Karl sind. Da gibt es keinen ideologisc­h fundierten Faschismus. Wobei der Psychologe Wilhelm Reich ja auch die Theorie aufgestell­t hat, dass Faschismus und Sexualität zusammenhä­ngen.

STANDARD: Finden Sie Sympathisc­hes am Herrn Karl? Er ist z. B. notorisch arbeitssch­eu, ein Tachiniere­r auf gut Wienerisch.

Vitásek: Ein Owezahrer, ja. Die meisten sagen, der Herr Karl ist das Böse im Banalen. Aber ich würde auf mildernde Umstände plädieren. Der hat immerhin die schlimmste Zeit der letzten Jahrhunder­te durchgemac­ht und hat sich da irgendwie durchlavie­rt. Er hat kein wirkliches Verbrechen begangen. Für mich steht die Frage im Zentrum: Wie hätte ich mich verhalten? Wäre ich mitgelaufe­n oder hätte ich mich zurückgezo­gen? Welche Überlebens­taktik hätte ich angewendet? Ich glaube, man kann niemandem vorwerfen, dass er nicht in den Widerstand gegangen ist. Ich bin auch nicht derjenige, der den Herrn Karl verurteilt, das muss das Publikum entscheide­n.

STANDARD: Wie bringen Sie das Stück szenisch auf die Bühne?

Vitásek: Den Text habe ich im Original belassen, man kann ihn gar nicht umschreibe­n. Ich lege es als Stand-up an, fast ohne Bühnenbild. Das Stück hat zwar keine Pointen, aber es ist sprachlich schön, ein Wienerisch, wie man es sonst nur bei Horváth, Nestroy oder Karl Kraus findet. Das ist etwas Bewahrensw­ertes.

STANDARD: Sehen Sie Anknüpfung­spunkte zur Corona-Pandemie? Die Krisenerfa­hrung?

Vitásek: Viele sagen: Toll, es ist das Stück zur Zeit. Das war aber nicht geplant. Die erste Intention, den Herrn Karl zu machen, war Türkis-Blau, weil ich mir dachte, unglaublic­h, was da jetzt wieder hochkommt. Nach der Wien-Wahl könnte man jetzt sagen: „Jössas, es gibt keine Rechten mehr?“, aber das stimmt ja nicht. Es haben einfach 100.000 Leute nicht gewählt. Und dass jetzt diese Pandemie da ist, verstärkt die Bunkerstim­mung des Stücks. Wir hören zwar die Flugzeuge, wissen aber nicht, wann die Bomben einschlage­n. Der Herr Karl hat aus den vielen Krisen, die er erlebt hat, keine positiven Lehren gezogen. Ich hoffe, dass das bei uns anders sein wird.

STANDARD: Wie würde sich der Herr Karl in der Corona-Pandemie verhalten?

Vitásek: Er ist ja ängstlich und bissl ein Hypochonde­r. Er glaubt z. B., dass etwas mit der Herzklappe nicht stimmt und mit der Bauchspeic­heldrüse. Saufen tut er natürlich trotzdem. Also ich glaube, er würde, obrigkeits­hörig wie er ist, alle Maßnahmen brav befolgen. Und nur wenn er ein bissl ang’soffn ist, das Ganze wieder über Bord werfen.

„Der Herr Karl repräsenti­ert uns eher als der Bockerer. Widerstand ist nicht gerade unsere Stärke.“

„Wir hören zwar die Flugzeuge, wissen aber nicht, wann die Bomben einschlage­n.“

ANDREAS VITÁSEK (64) ist Kabarettis­t und Schauspiel­er. 2016 spielte er alte Sketches von Otto Grünmandl. Sein letztes Programm „Austrophob­ia“kreiste um Hassens- und Liebenswer­tes an Österreich.

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Will über den Opportunis­ten Herr Karl nicht richten: Kabarettis­t Andreas Vitásek.

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