Van der Bellen und Co im Visier chinesischer Datensammler
Die „Zhenhua Files“belegen, wie Peking Profile über ausländische Persönlichkeiten und deren Familien anlegt
Wien – Was haben Bundespräsident Alexander Van der Bellen, die grüne Klubobfrau Sigi Maurer, Bundesheeroffiziere, Wirtschaftsmanager und freiheitliche Ex-Politiker gemeinsam? Sie alle tauchen in einem neuen Leak auf, den „Zhenhua Files“. Über Jahre hat eine chinesische Firma Profile über ausländische Persönlichkeiten und deren Umfeld angelegt. Ihre Datenbank gewährt einen Einblick in die Arbeitsweise der regimenahen Datensammler und erinnert an den Cambridge-Analytica-Skandal. Sicherheitsexperten rufen zu mehr Datenschutz und -sicherheit auf.
In Ungarn sorgte die Veröffentlichung der Daten für einen Skandal. Die Regierung berief den Nationalen Sicherheitsrat ein. (red)
Ein eng mit dem chinesischen Militär und der Regierung in Peking verwobenes Unternehmen hat systematisch österreichische Politiker und deren Familien ausgespäht. Darunter Bundespräsident Alexander Van der Bellen, die grüne Klubobfrau Sigi Maurer und ihr ÖVP-Gegenüber August Wöginger. Insgesamt wurden Daten von 444 in Österreich lebenden Personen von Zhenhua Data Technology mit Firmensitz im südchinesischen Shenzhen gespeichert, einem Unternehmen, das sich selbst als eine „patriotische Firma“bezeichnet, mit dem chinesischen Militär als Kunde. Das Big-Data-Unternehmen sammelt und analysiert Daten aus verschiedensten Quellen, um sie nach den Wünschen von Sicherheitsbehörden und der chinesischen Regierung aufzubereiten.
Insgesamt wurden persönliche Daten von 2,4 Millionen „ausländischen Personen“gespeichert, darunter Adresse, Telefonnummer, Geburtsdatum, Familienstand, Verwandte, Bilder und Social-MediaAccounts. Die Informationen stammen größtenteils aus sozialen Medien, also Facebook, Twitter, Instagram, Youtube. Solche Dossiers gelten seit dem Cambridge-AnalyticaSkandal als verpönt. Facebook hat derlei Datensammlung auf seiner Plattform verboten. Abgeschöpft wurde auch aus öffentlichen Quellen, wie Wikipedia oder der kommerziellen Dow-Jones-Datenbank Factiva, sowie österreichischen Medien. Aber auch nicht öffentlich zugängliche Daten wurden gesammelt.
Auszüge daraus, die dem STANDARD vorliegen, wurden in den vergangenen Wochen unter dem Namen „Zhenhua Files“in den USA, Australien, Island, Großbritannien und Ungarn von Medien veröffentlicht. In Ungarn sorgte die Enthüllung für große Empörung, weil auch Daten über ein Kind des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán gesammelt wurden. Es wurde der Nationale Sicherheitsrat einberufen, um Reaktionen zu beraten. Dem australischen Sender ABC News sagte ein Geheimdienstanalyst, Zhenhua Data sei „Cambridge Analytica auf Steroiden“. Für den US-Wissenschafter Christopher Balding und den australischen Sicherheitsexperten Robert Potter sind die Zenhua Files ein erster direkter Beweis für die Datensammlung über ausländische Personen und Institutionen zum Zweck der Aufklärung und Einflussnahme. Liberale Demokratien sollten Datenschutz und Datensicherheit verstärken und die Bedrohung ernst nehmen.
Bei der Auswahl der Zielpersonen in den jeweiligen Ländern folgt Zenhua Data einem Muster: Politiker, Wirtschaftsmanager, Geistliche, Militärs, Polizisten, Diplomaten, Richter, aber auch islamistische Terroristen. Auffällig ist, dass nicht nur Schlüsselpersonen und wichtige Entscheidungsträger darunter sind, sondern – wie das Beispiel Ungarn zeigt – auch deren Angehörige: Kinder, Eltern, aktuelle und ehemalige Ehepartner. In Österreich etwa die Ex-Frau des früheren Wiener Bürgermeisters Michael Häupl und des ORF-Generaldirektors Alexander Wrabetz.
In drei Kategorien eingeteilt
Die Österreicher werden in drei Kategorien eingestuft: „politisch exponierte Person“, „Verwandter oder enger Vertrauter“und „Person von besonderem Interesse“. Aus den Daten geht nicht hervor, was mit „besonderem Interesse“gemeint ist, jedoch fällt auf, dass das Interesse Personen gilt, denen Korruption, Betrug, Steuerhinterziehung, Mord, Kriegsverbrechen und terroristische Aktivitäten vorgeworfen werden. So haben etwa der in einem österreichischen Gefängnis sitzende serbische Kriegsverbrecher Zoran Žigić und der IS-Terrorist Mohamed Mahmoud das Interesse der chinesischen Datenfänger geweckt.
Wenig überraschend ist, dass die chinesische Datenbank Namen von Dutzenden Politikern enthält. Der prominenteste darunter ist Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Doch auch die Mutter und der Großvater des Präsidenten wurden samt Bild extra dokumentiert. Auch mehrere Mitglieder des Teams der Präsidentschaftskanzlei sind im Visier der Datensammler. Auffallend zahlreich werden Informationen über Botschafter, Bundesheeroffiziere und Richter des Verfassungsgerichtshofes gesammelt. Die Zhenhua Files enthalten auch Informationen über den ÖBB-Chef Andreas Matthä, den Gewerkschaftschef Wolfgang Katzian und Bischöfe.