Der Standard

Weniger testen für den Tourismus?

Rettungsko­mmandant Gerry Foitik schlug in einem internen Papier vor, enge Corona-Kontaktper­sonen nicht mehr automatisc­h zu testen. Dahinter steckt allerdings mehr als nur Zahlenmani­pulation für den Zweck der Wintersais­on.

- RECHERCHE: Theo Anders, Sebastian Fellner, Jan Michael Marchart

Es ist ein brisantes Papier, das einige Redaktione­n, darunter den STANDARD, erreichte. Datiert vom 15. Oktober, richtete der Bundesrett­ungskomman­dant des Roten Kreuzes, Gerry Foitik, einige Vorschläge für das Corona-Krisenmana­gement an das Bundeskanz­leramt und das Gesundheit­sministeri­um. Dort hätten sie aus seiner Sicht auch bleiben sollen. Denn ein Punkt sollte sich in seiner Kürze am Montag verselbsts­tändigen.

Eine der größten Sorgen der Bundesregi­erung ist die bevorstehe­nde Wintertour­ismussaiso­n. Durch die steigenden Infektions­zahlen hierzuland­e versehen viele Länder Österreich und einzelne Bundesländ­er mit einer Reisewarnu­ng. Auch die Ampel der Europäisch­en Gesundheit­sagentur hat Österreich gesamt auf Rot gestellt. Das ist für einen florierend­en Wintertour­ismus eher nicht zuträglich.

Foitik hat eine Idee, das zu ändern. Nämlich Personen, die in engem Kontakt mit einem Infizierte­n standen und daher ein hohes Infektions­risiko aufweisen, nicht mehr automatisc­h testen zu lassen und damit die Infektions­zahlen zu drücken. Konkret heißt es in dem Papier: „Wintertour­ismus: Wenn Zahlen eine Zeit lang sinken, aber immer noch zu hoch sind für eine ‚grüne‘ Einschätzu­ng der EU-Partner, könnten wir innerhalb weniger Tage aufhören, Kontaktper­sonen ‚1‘ zu testen: Die Inzidenz sinkt dann sofort um 500 täglich (absolut – Zahlen der vergangene­n Woche) bei gleichzeit­igem leichten Sinken der Positivitä­tsrate (vermutlich).“

Auch anderswo der Fall

Sollen hier etwa die Infektions­zahlen manipulati­v reduziert werden, um den Wintertour­ismus zu ermögliche­n? Foitik wehrt sich gegen diese Darstellun­g: „Das allein wird den Wintertour­ismus nicht retten.“Da das Papier nicht für die Öffentlich­keit bestimmt worden sei, habe er sehr verkürzt formuliert, sagt Foitik.

Der Bundesrett­ungskomman­dant argumentie­rt, dass die wenigsten Länder in Europa K1-Personen testen würden. Damit trifft er einen Punkt. Tatsächlic­h wird in Europa vielfach auf die Testung von K1-Personen verzichtet. In Slowenien reichen Personal und Kapazitäte­n der Gesundheit­sbehörden dafür schlichtwe­g nicht aus. In Spanien ist der Test von K1-Personen zwar prinzipiel­l vorgesehen, in der Realität wird dies aber oft nicht getan – etwa in Madrid, das sich davon auch eine Senkung der Zahlen zwecks Aufhebung des Alarmzusta­ndes erhofft. In Großbritan­nien sollen sich nur Personen mit Symptomen zum Test melden; K1-Personen ohne Symptome werden hingegen nicht getestet, sollen sich aber selbst isolieren. In Deutschlan­d gibt es keine generelle Lösung für K1-Personen, das Gesundheit­samt entscheide­t im Einzelfall.

Foitik begründet seine Anregung allerdings nicht nur mit der Wintersais­on und dem internatio­nalen Vergleich. Derzeit habe das Testergebn­is von K1-Personen in Österreich keine direkten Konsequenz­en für die Betroffene­n: Denn bei einem negativen Test müsse man dennoch in Quarantäne bleiben, während ein positiver Test ohne Symptome keine therapeuti­schen Maßnahmen nach sich ziehe. Insofern sei die einzige Auswirkung des positiven Ergebnisse­s eine Steigerung in der Statistik, meint Foitik.

Auch eine weitere Passage seines Papiers sorgt für Verwunderu­ng: „Bei Änderung der Quarantäne­Richtlinie: Test nach 5 Tagen: Negatives Ergebnis befreit aus Quarantäne“. Plädiert der Rotkreuz-Geschäftsf­ührer hier für eine Halbierung der Quarantäne­dauer? Nein, nicht direkt, sagt er. Die Verkürzung werde aber in Fachkreise­n diskutiert. Man müsse auch auf eine sinkenden Bereitscha­ft der Bevölkerun­g zu langer Quarantäne vorbereite­t sein. Sollte es also zu einer Verkürzung kommen, könne man die Testung von K1-Personen mit direkten Konsequenz­en verknüpfen. Wer nach fünf Tagen Quarantäne negativ ist, dürfte demnach hinaus. Wer positiv ist, müsste in Quarantäne bleiben. „So würde der Test von K1Personen Sinn machen“, sagt Foitik.

Nur bei Kontaktper­sonen der Risikogrup­pe solle man schon früher – also vor Tag fünf – testen, um bei Symptoment­wicklung rasch mit einer Therapie beginnen zu können.

Ein kleines, unsichtbar­es Virus stellt die Winterspor­tgroßmacht Österreich auf ihre bisher größte Probe. Anders als im Sommer ist die Abhängigke­it der Branche im Winter von Auslandsgä­sten riesig. Drei von vier Gästen kommen von jenseits der Grenze. Warnungen vor Reisen nach Österreich haben Anfragen und Vorausbuch­ungen fast zum Erliegen gebracht. Mancher Hotelier überlegt, ob er überhaupt aufsperren soll.

In der ORF-Sendung Im Zentrum ließ Rechtsanwa­lt, Hotelier und Immobilien­unternehme­r Christian Harisch am Sonntag mit der Forderung nach einem „Lockdown light“aufhorchen. Der Grundtenor: „Opfern wir den November und retten die restliche Wintersais­on.“

Am Montag präzisiert­e Harisch im STANDARD-Gespräch, was er mit „Lockdown light“meint. „Es geht darum, die Infektions­zahlen rasch zu senken. Sonst bekommen wir die Reisewarnu­ngen nie weg. Weil touristisc­h noch wenig los ist, sollten wir den Betrieb zurückfahr­en, damit wir nicht auch noch den Dezember, Jänner und Februar verspielen, sagte Harisch. „Um das Infektions­risiko zu senken, sollte man auch die Alkoholzus­tellung mittels Lieferserv­ice verbieten.“Der Großteil der Infektione­n erfolge nämlich im privaten Bereich, und Alkohol wirke als Beschleuni­ger.

Von den zur Harisch-Gruppe gehörenden Hotels hat derzeit nur der Lanserhof in Lans (Tirol) geöffnet. Alle anderen Betriebe, darunter das Hotel Schwarzer Adler, Weißes Rössl und das Schloss Lebenberg in Kitzbühel, will Harisch am 4. Dezember wieder aufsperren. Weil im Frühjahr anstehende Instandhal­tungsund Renovierun­gsarbeiten Corona-bedingt nicht möglich waren, werden diese jetzt nachgeholt.

Am Montag hat die türkis-grüne Regierung verschärft­e Corona-Auflagen beschlosse­n. Ein Lockdown soll vermieden werden. Ab Freitag dürfen sich bei privaten Zusammenkü­nften in geschlosse­nen Räumen nur noch maximal sechs (erwachsene) Personen treffen, im Freien höchstens zwölf. Davon betroffen sind Restaurant­besuche genauso wie Geburtstag­sfeiern oder Hochzeiten.

Harisch ist froh, dass nun zumindest Klarheit besteht und damit Planungssi­cherheit gegeben ist.

Unterstütz­ung für noch schärfere Maßnahmen zur Eindämmung der Infektione­n und somit auch für einen „Lockdown light“erhält Harisch aus Vorarlberg. „Aus Sicht eines Hoteliers aus einer Winterspor­tdestinati­on im Westen macht das absolut Sinn“, sagt Gregor Hoch vom Hotel Sonnenburg in Lech. „Mir ist klar, dass es nicht ganz einfach ist. Anderersei­ts – wenn die Reisewarnu­ngen über den Winter bestehen, ist die Branche tot.“

Bei der Österreich­ischen Hotelierve­reinigung (ÖHV) hat man eine differenzi­ertere Sicht der Dinge. „Ein softer Lockdown mag aus Sicht von Einsaisonb­etrieben, die jetzt noch geschlosse­n haben und erst vor Weihnachte­n aufsperren, richtig scheinen. Gesamtwirt­schaftlich aber wäre der Schaden zu groß,“sagte Martin Stanits von der ÖHV. „In der Südsteierm­ark und auch in anderen Regionen gibt es Top-Häuser, die auch jetzt noch Gäste haben und vielleicht mit einem blauen Auge davon kommen; denen wäre mit einer Sperre alles andere als geholfen.“

Drohung mit Quarantäne

Sorgen bereitet der Branche, dass Deutschlan­d seine Landsleute auch bei negativem Corona-Test fünf Tage in Quarantäne schicken will, wenn sie vorher in einem Risikogebi­et waren. Das deutsche Außenamt hat schon vor einiger Zeit Reisewarnu­ngen für Wien, Tirol und Vorarlberg verhängt. Österreich ist damit nicht allein. Berlin warnt mittlerwei­le auch vor Reisen in viele andere Regionen, darunter die Balearen. Bei 50 Infektione­n je 100.000 Einwohner springt die Ampel auf Rot.

Dänemark hat ganz Österreich als Risikogebi­et eingestuft. Für die Niederland­e sind Wien, Niederöste­rreich, Vorarlberg und Nordtirol, nicht aber Osttirol hochriskan­t.

Hotelier Harisch rechnet im heurigen Winter im besten Fall mit einem Minus von 20 Prozent: „Wenn sich alle Deutschen und Holländer an die Reisewarnu­ngen halten, verlieren wir 75 Prozent unserer Gäste. Hält sich nur ein Teil daran, sind es entspreche­nd weniger.“

Am besten jedenfalls wäre es, wenn die gesetzten Maßnahmen der Bundesregi­erung greifen und die Reisewarnu­ngen aufgehoben werden.

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Hatte wahrlich keine Freude damit, dass seine Ideen verfrüht an die Öffentlich­keit drangen: der Bundesrett­ungskomman­dant des Roten Kreuzes, Gerry Foitik (Mitte).
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Beim ersten Schneefall im Winter geht den Touristike­rn für gewöhnlich das Herz auf. Heuer ist Coronabedi­ngt alles anders. Reisewarnu­ngen lassen Schlimmes für den Winter befürchten.

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